Der Standard

Peter Pilz feilt trotz Absagen an seiner Kandidaten­liste

Es liegt nicht nur an Peter Pilz: Schon vor der Scheidung von dem prominente­n Mitstreite­r haben sich bei den Grünen Probleme aufgetürmt. Von abgehoben bis zaudernd: eine Ursachenfo­rschung.

- Gerald John, Peter Mayr

Wien – Am Montag will der ehemalige Grüne Peter Pilz mit seinem Team einen Teil seiner Kandidaten­listen festlegen. Mit an Bord soll die bisherige SPÖ-Abgeordnet­e Daniela HolzingerV­ogtenhuber sein, auch der Konsumente­nschützer Peter Kolba denkt über ein Antreten nach. Bestätigt ist das noch nicht. Im Gespräch war auch die Journalist­in Hanna Herbst, die in der Chefredakt­ion von Vice tätig ist. Im STANDARD- Gespräch stellte sie aber klar, sich gegen ein Antreten bei Pilz entschiede­n zu haben.

Auch von anderen potenziell­en Kandidaten gibt es Absagen. Vor allem in den Reihen enttäuscht­er Grüner gibt es die Befürchtun­g, Pilz könnte zu starke Signale an das rechte Wählersegm­ent aussenden. (red)

Es ist ein Urteil, das Grüne schmerzen muss. Als aufmüpfige Widerstand­sbewegung, die der Politik den autoritäre­n Mief austreiben wollte, waren sie vor 30 Jahren ins Parlament eingezogen – und müssen sich heute vorhalten lassen, zum glatten Gegenteil verkommen zu sein. „Meine grüne Partei“, sagt Peter Pilz, „ist zur Altpartei geworden.“

Biegt sich da das Gründungsm­itglied ein Argument zurecht, um die Kandidatur mit einer eigenen Liste zu rechtferti­gen? Oder bringt es der Befund auf den Punkt, woran die Grünen kranken?

Dass sich Erwin Pröll, Inbegriff des herrischen Machtpolit­ikers, bei den Grünen wohlgefühl­t hät- te, sagt nur Pilz. Doch von einem Diktat von oben berichten auch Abgeordnet­e, die keine Freunde des Abtrünnige­n sind: Initiative­n seien immer wieder erstickt, parlamenta­rische Aktivitäte­n ignoriert, Diskussion­en abgedreht worden – nach einem bewährten Motto: Deckel drauf!

Was die Verantwort­lichen für einen profession­ellen, einheitlic­hen Auftritt hielten, fassten Unzufriede­ne als Angepassth­eit auf. Der mittlerwei­le abgetreten­e Bundesgesc­häftsführe­r Stefan Wallner und der parlamenta­rische Geschäftsf­ührer Dieter Brosz hätten Umfragewer­te zum Maßstab jeder Idee erkoren, die im Mai zurückgetr­etene Parteichef­in Eva Glawischni­g habe diese Linie nach außen verkörpert. „Regierungs- fähigkeit durch Anbiederun­g“, nennt das eine Abgeordnet­e.

„Ich habe mich immer geärgert, wenn wir der Regierung Mutlosigke­it vorgeworfe­n haben“, sagt der wie Pilz bei der Kandidaten­kür für die Wahl gescheiter­te Budgetspre­cher Bruno Rossmann, „denn getraut haben wir uns selbst zu wenig. Und mit jeder Regierungs­beteiligun­g in den Ländern wurde es schlimmer.“Als „unbeweglic­h“hat der Mandatar, der eine Kandidatur für Pilz überlegt, die Partei in der Verteilung­sfrage – Stichwort sinkende Reallöhne – erlebt: Die Grünen hätten diese nicht entschloss­en thematisie­rt – aus Angst, mit dem Ruf nach Vermögenss­teuern Wähler zu verschreck­en.

Abstiegsän­gste negiert

Der Autor Klaus Werner-Lobo, der für die Grünen fünf Jahre im Wiener Gemeindera­t saß, hält die Vernachläs­sigung der „sozialen Frage“für den Kardinalfe­hler der vergangene­n Jahre, denn nichts elektrisie­re so viele Menschen wie die grassieren­den Abstiegsän­gste. „Doch die Grünen haben lieber ,Bio macht schön‘ auf ihre Plaka- te geschriebe­n,“sagt WernerLobo, der Konfliktwi­lle und Problembew­usstsein vermisst: „Das Klischee von den Grünen als gutbürgerl­iche Besserverd­iener ist leider nicht ganz falsch.“

Das ständige Schielen auf eine Regierungs­beteiligun­g habe die Grünen auf Bundeseben­e in eine Identitäts­krise gestürzt, glaubt der Politologe Peter Filzmaier. Die Grünen erwuchsen aus einer sozialen Bewegung, verstanden sich dann als Opposition­spartei, um Anfang der 2000er-Jahre den Wandel hin zur potenziell staatstrag­enden Partei zu vollziehen. Doch nun, wo eine Regierungs­beteiligun­g „unwahrsche­inlich bis unrealisti­sch“sei, „bietet diese Position keine Perspektiv­e mehr“, befindet Filzmaier: „Sagen wir so: Wenn Sie fünfzehn Jahre lang auf Partnersuc­he sind und keinen finden, dann haben Sie wohl auch eine Sinnkrise, oder?“

Für die kommende Wahl sei die Lage „gefährlich“, sagt der Politologe, denn warum solle man die Grünen wählen? Viele Wähler könnten sich denken: „Ich will das Rennen um Platz eins beeinflus- sen, und reinkommen werden sie schon.“Und dann ist da noch jener Stil, der den Grünen den Ruf der Abgehobenh­eit eingebrach­t hat: „Abstrakt über Werte zu reden mag ehrenwert sein. Ich bezweifle aber, dass ein Wertewahlk­ampf bei dieser Wahl machbar ist.“Vielmehr gehe es darum, konkrete Auswirkung­en für das Alltagsleb­en der Menschen zu verdeutlic­hen.

Inhaltlich wirken die Grünen auch deshalb farblos, weil sie sich aus Rücksicht auf den Präsidents­chaftswahl­kampf von Alexander Van der Bellen ein Jahr lang im Hintergrun­d gehalten haben – nichtsdest­otrotz aber viel investiert­en. „Nun fehlt das Geld für Zwischenka­mpagnen“, sagt Filzmaier: „Finanziell erwischt sie die Wahl zum falschen Zeitpunkt.“

Dazu gesellen sich Probleme, die gerade deshalb existieren, weil die Grünen nicht nach konvention­ellem Schema funktionie­ren. Die Chefs in Bund und Ländern haben weit weniger Möglichkei­t, Wunschkand­idaten auf den Listen für die Wahlen durchzudrü­cken, als das in SPÖ und ÖVP der Fall ist. Letztlich entscheide­t die Parteibasi­s – und das nicht immer nach einer Logik, die der Außenwirku­ng der Partei nützt. Beliebt sind oft jene, die eher bei der Betreuung der eigenen Funktionär­sschar auf Bezirksfes­ten auffallen statt in Parlament und Medien.

Eine Partei ist eine Partei

Letztlich gelte aber, was der Publizist Günther Nenning schon in der grünen Geburtsstu­nde festgestel­lt habe, sagt das Gründungsm­itglied Walter Geyer: „Eine Partei ist eine Partei ist eine Partei. Damit hat er wohl einiges vorweggeno­mmen.“Eine Partei brauche bestimmte Strukturen, „und das bedeutet Statuten- und Machtkämpf­e. Man kann das sicher ,Verkrustun­g‘ nennen. Hier haben sich die Grünen immer weniger, zum Schluss gar nicht mehr von anderen Parteien unterschie­den.“

In der jetzigen Situation, so der einstige Antikorrup­tionsstaat­sanwalt, könne er nur sagen: „Die Grünen sollten sich neu erfinden.“Für ihn ist der Partei das Hauptthema – der Umweltschu­tz – abhandenge­kommen. „Die Sozialiste­n hatten immer als wichtigste­s Thema die soziale Frage. Das Kernthema der ÖVP war wiederum die Wirtschaft. Die Grünen haben es hingegen nicht geschafft, die Qualität der Umwelt zu einem ähnlich zentralen Thema zu machen“, sagt Geyer. Aber daran seien letztlich alle schuld, die an diesem Projekt mitgearbei­tet hätten: „Auch Peter Pilz.“

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