Politik fordert Aufklärung von deutschen Autobauern
Deutschlands Autobranche ist um einen Skandal reicher. Nach manipulierter Software in VW-Diesel-Autos besteht nun ein Kartellverdacht gegen fünf Konzerne wegen Absprachen in wesentlichen Punkten.
Berlin/Wien – Die deutsche Autobranche steht nach Vorwürfen der Absprache unter Druck. GrünenFraktionschef Anton Hofreiter forderte Kanzlerin Angela Merkel auf, die Aufklärung des Dieselskandals Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) zu entziehen. Er habe seit zwei Jahren alle Probleme vertuscht. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz fordert Aufklärung von den Herstellern. Diese sprachen von „Spekulationen“. BMW wies die Vorwürfe zurück. (red)
Berlin/Brüssel/Wien – Seit dem Bekanntwerden, dass sich mehr als 200 Mitarbeiter von VW, Audi, Porsche, BMW und Daimler seit den 1990er-Jahren in mehr als 60 Arbeitsgruppen bezüglich technischer Standards, Kosten, Zulieferer und Strategien abgesprochen haben sollen, herrscht Stille. Die betroffenen Firmenchefs äußern sich zu diesen „Spekulationen“nicht. Die EU-Kommission prüft die Vorwürfe, die deutsche Regierung forderte das Kartellamt zu Ermittlungen auf. Treffen die Vorwürfe zu, die der Spiegel aufgebracht hat, könnte es sich um eines der größten Kartelle der deutschen Wirtschaftsgeschichte handeln – und hohe Strafen könnten fällig werden.
Kartellrechtliche Absprachen wären jedenfalls „eine zusätzliche Belastung für die Thematik, die wir gerade mit der Automobilindustrie haben“, sagte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt von der CSU. Auch Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) fordert Aufklärung, es gehe um nicht weniger als die Glaubwürdigkeit der Autoindustrie.
Grundstein für Dieselgate
Branchenexperten sehen in den angeblichen Absprachen auch den Grundstein für die unter Dieselgate bekanntgewordenen verfälschten Abgaswerte. Denn laut Spiegel sollen sich die fünf Hersteller auch darüber abgestimmt haben, wie groß die Tanks für AdBlue sein sollten – ein Harnstoffgemisch, mit dessen Hilfe Stick- oxide in die harmlosen Bestandteile Wasser und Stickstoff aufgespalten werden. Weil große Tanks teurer gewesen wären, hätten sich die Firmen auf kleine Tanks geeinigt. Diese hätten später jedoch nicht ausgereicht, die Abgase ausreichend zu reinigen. Laut dem Handelsblatt hat die Staatsanwaltschaft München II bei Durchsuchungen im Zuge der VW-Ermittlungen eine Audi-Präsentation mit dem Namen „Clean Diesel Strategie“von April 2010 gefunden. Darin sei von einem „Commitment der deutschen Automobilhersteller auf Vorstandsebene“die Rede. Dieses betreffe den Ein- bau kleinerer Ad-Blue-Tanks. Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer kritisierte die Nähe der Branche zur Politik. Die Politik habe die Unternehmen zu lange und zu stark geschützt. Die Beziehungen seien zu gut gewesen. „Insgesamt darf die deutsche Politik künftig keine falsch verstandene Rücksicht mehr auf die Automobilindustrie nehmen“, schlägt Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management in dieselbe Kerbe. Branche und Politik treffen einander jedenfalls am 2. August zum Dieselgipfel. Dabei will die Regierung mit Ländern und Autobauern Schritte für einen geringe- ren Schadstoffausstoß festlegen. Dabei geht es auch darum, die Modelle der Emissionsklassen Euro fünf und sechs mit neuer Software nachzurüsten. Der deutsche Verbraucherminister Heiko Maas sieht hier die Autobauer in der Pflicht. „Die Kosten dürfen nicht an den Autokäufern hängenbleiben“, sagte der SPD-Politiker.
Druck auf die Dieseltechnik kommt auch wegen immer wieder diskutierter Fahrverbote in Kommunen oder Stadtzentren. VWKonzernchef Matthias Müller fordert eine deutschlandweite Entscheidung über Dieselfahrverbote statt verschiedener Regelungen in den Städten. „Die Verunsicherung ist ja groß. Das spüren wir auch an den Dieselbestellungen, die merklich zurückgegangen sind“, sagte Müller zur Rheinischen Post.
Wird das Kartell nachgewiesen, könnten Autokäufer klagen. „Die Frage ist, ob Autos durch mögliche Kartellabsprachen auf einem schlechteren technischen Stand verkauft wurden, als sie hätten sein können“, erklärt Christian Kersting von der Universität Düsseldorf. Einen diesbezüglichen finanziellen Schaden vor Gericht nachzuweisen, sei allerdings sehr schwierig, so der Rechtsprofessor. (Reuters, dpa, red) Kommentar S. 20