Priesteramt mit Politik und Philosophie
Nigeria kann über Priestermangel nicht klagen: Im westafrikanischen Riesenstaat sind die Seminare voll. Damit die Männer in den zwölf Ausbildungsjahren nicht abspringen, sind politische Diskussionen und die Fähigkeit zur Selbstkritik heute Teil des Unterr
Aniobi John Nnamdi stellt sich schon einmal probeweise hinter das Rednerpult, rückt das Mikrofon zurecht und breitet die Arme aus. Der junge Mann, der aus der Stadt Enugu im Südosten Nigerias stammt, hat zuerst einen ernsten Blick. Doch dann fängt er immer mehr an zu lächeln. Es gibt dem 28-Jährigen einen Vorgeschmack auf das, was kommen wird, wenn er im Laufe des Jahres zum katholischen Priester geweiht wird.
Nnamdi ist einer der 779 Studenten, die an Nigerias größtem Priesterseminar, dem Bigard Memorial Seminary in der Stadt Enugu, studieren. Es ist eine der größten Ausbildungsstätten für angehende katholische Geistliche weltweit. Längst nicht alle halten aber die zwölfjährige Ausbildung durch. Einige Studenten verlassen die Schule nach den ersten drei Jahren und mit einem Bachelorabschluss in Philosophie, um sich stattdessen auf eine weltlichere Ausbildung vorzubereiten.
Mit der Hilfe der Eltern
Für Aniobi John Nnamdi kam das aber nie infrage. „Als ich mich bewarb, war ich noch nicht einmal volljährig. Meine Eltern mussten unterschreiben und mir Geld für die Einschreibung geben. Verstanden haben sie meinen Wunsch nicht“, sagt Nnamdi, der bereits Diakon ist und zugibt: „Wirklich ausgereift war meine Idee damals nicht. Aber die Vorstellung hat mir sehr viel Freude gemacht.“Er steigt vom Lesepult herunter, um sich in eine schlichte dunkle Holzbank zu setzen. Der junge Mann blickt in Richtung Altar und schweigt für einen Moment. Nach der zweistündigen Sonntagsmesse genießt er die Ruhe in der Kirche.
Von draußen dringen die Stimmen seiner Kommilitonen in das große Gebäude. Längst sind nicht alle in ihre Gemeinschaftsunterkünfte zurückgegangen. Auf dem parkähnlichen Gelände, auf dem viele alte Bäume stehen, wird vor allem eins gern gemacht, Ausbil- dung zum Priester und zu einem Leben ohne Familie hin oder her: Auch hier ist die nigerianische Politik allgegenwärtig, und es wird kräftig darüber diskutiert. Besonders genau verfolgen die jungen Männer soeben mehrere Separatistenbewegungen, die die Abspaltung des Südostens fordern. Jeder Student hat eine eigene Meinung dazu.
Diskutiert wird jedoch nicht nur zwischen Messe und Mittagessen, sondern auch im Unterricht. Zum Studium, das die meis- ten in zwölf Jahren absolvieren, gehören neben Theologie und Philosophie auch Politikwissenschaften. Das ist Schulleiter Albert Okey Ikpenwa wichtig. „Wir laden politische Schwergewichte ein, wie wir das in Nigeria nennen“, sagt der 50-Jährige, der als Priester acht Jahre lang in der deutschen Diözese Passau gearbeitet hat. In diesem Jahr sei bereits der stellvertretende Senatspräsident zu Gast gewesen, aber auch Matthew Hassan Kukah. Der Bischof von Sokoto gehört seit Jahrzehnten zu Nigerias prominentesten Regierungsbeobachtern und gilt als sehr kritisch.
Diese Kontakte, erklärt Ikpenwa, würden die Studenten schätzen und sie inspirieren. Doch nicht nur das: Aktuelle Diskussionen werden auch eingefordert. Eigene Missstände innerhalb der Kirche dürfen für Priesteranwärter Nnamdi deshalb ebenfalls nicht verschwiegen werden. Dazu gehört der Missbrauch von Kindern. „Dass die Kirche in solche Skandale verwickelt war, ist bekannt und offensichtlich.“Deshalb sei es für ihn wichtig, dass Skandale wie diese Teil des Unterrichts werden. „Wir müssen schließlich lernen, wie wir unser eigenes Leben als Priester später kontrollieren.“
Hoffen auf Gottes Hilfe
Aniobi John Nnamdi schaut noch einmal nachdenklich zum Altar, bevor er zurück in sein Wohnheim geht. „Vatikan heißt es“, sagt er und lacht. Dort will sich der junge Mann den restlichen Tag über auf seine Abschlussprüfungen vorbereiten. Sind die vorüber, steht nur noch die Priesterweihe an. „Einen Termin habe ich noch nicht, aber es könnte die erste Augustwoche sein“, sagt er.
Ob Nnamdi sich bei allen Diskussionen gut auf die Prüfung vorbereitet fühlt? Nnamdi seufzt und zuckt mit den Schultern. „Je näher sie rückt, desto häufiger stelle ich mir die Frage, manchmal mehrmals am Tag. Ich bin sicherlich nicht der beste Student. Aber ich hoffe sehr, dass Gott mir hilft.“