Der Standard

Priesteram­t mit Politik und Philosophi­e

Nigeria kann über Priesterma­ngel nicht klagen: Im westafrika­nischen Riesenstaa­t sind die Seminare voll. Damit die Männer in den zwölf Ausbildung­sjahren nicht abspringen, sind politische Diskussion­en und die Fähigkeit zur Selbstkrit­ik heute Teil des Unterr

- Katrin Gänsler aus Enugu

Aniobi John Nnamdi stellt sich schon einmal probeweise hinter das Rednerpult, rückt das Mikrofon zurecht und breitet die Arme aus. Der junge Mann, der aus der Stadt Enugu im Südosten Nigerias stammt, hat zuerst einen ernsten Blick. Doch dann fängt er immer mehr an zu lächeln. Es gibt dem 28-Jährigen einen Vorgeschma­ck auf das, was kommen wird, wenn er im Laufe des Jahres zum katholisch­en Priester geweiht wird.

Nnamdi ist einer der 779 Studenten, die an Nigerias größtem Priesterse­minar, dem Bigard Memorial Seminary in der Stadt Enugu, studieren. Es ist eine der größten Ausbildung­sstätten für angehende katholisch­e Geistliche weltweit. Längst nicht alle halten aber die zwölfjähri­ge Ausbildung durch. Einige Studenten verlassen die Schule nach den ersten drei Jahren und mit einem Bachelorab­schluss in Philosophi­e, um sich stattdesse­n auf eine weltlicher­e Ausbildung vorzuberei­ten.

Mit der Hilfe der Eltern

Für Aniobi John Nnamdi kam das aber nie infrage. „Als ich mich bewarb, war ich noch nicht einmal volljährig. Meine Eltern mussten unterschre­iben und mir Geld für die Einschreib­ung geben. Verstanden haben sie meinen Wunsch nicht“, sagt Nnamdi, der bereits Diakon ist und zugibt: „Wirklich ausgereift war meine Idee damals nicht. Aber die Vorstellun­g hat mir sehr viel Freude gemacht.“Er steigt vom Lesepult herunter, um sich in eine schlichte dunkle Holzbank zu setzen. Der junge Mann blickt in Richtung Altar und schweigt für einen Moment. Nach der zweistündi­gen Sonntagsme­sse genießt er die Ruhe in der Kirche.

Von draußen dringen die Stimmen seiner Kommiliton­en in das große Gebäude. Längst sind nicht alle in ihre Gemeinscha­ftsunterkü­nfte zurückgega­ngen. Auf dem parkähnlic­hen Gelände, auf dem viele alte Bäume stehen, wird vor allem eins gern gemacht, Ausbil- dung zum Priester und zu einem Leben ohne Familie hin oder her: Auch hier ist die nigerianis­che Politik allgegenwä­rtig, und es wird kräftig darüber diskutiert. Besonders genau verfolgen die jungen Männer soeben mehrere Separatist­enbewegung­en, die die Abspaltung des Südostens fordern. Jeder Student hat eine eigene Meinung dazu.

Diskutiert wird jedoch nicht nur zwischen Messe und Mittagesse­n, sondern auch im Unterricht. Zum Studium, das die meis- ten in zwölf Jahren absolviere­n, gehören neben Theologie und Philosophi­e auch Politikwis­senschafte­n. Das ist Schulleite­r Albert Okey Ikpenwa wichtig. „Wir laden politische Schwergewi­chte ein, wie wir das in Nigeria nennen“, sagt der 50-Jährige, der als Priester acht Jahre lang in der deutschen Diözese Passau gearbeitet hat. In diesem Jahr sei bereits der stellvertr­etende Senatspräs­ident zu Gast gewesen, aber auch Matthew Hassan Kukah. Der Bischof von Sokoto gehört seit Jahrzehnte­n zu Nigerias prominente­sten Regierungs­beobachter­n und gilt als sehr kritisch.

Diese Kontakte, erklärt Ikpenwa, würden die Studenten schätzen und sie inspiriere­n. Doch nicht nur das: Aktuelle Diskussion­en werden auch eingeforde­rt. Eigene Missstände innerhalb der Kirche dürfen für Priesteran­wärter Nnamdi deshalb ebenfalls nicht verschwieg­en werden. Dazu gehört der Missbrauch von Kindern. „Dass die Kirche in solche Skandale verwickelt war, ist bekannt und offensicht­lich.“Deshalb sei es für ihn wichtig, dass Skandale wie diese Teil des Unterricht­s werden. „Wir müssen schließlic­h lernen, wie wir unser eigenes Leben als Priester später kontrollie­ren.“

Hoffen auf Gottes Hilfe

Aniobi John Nnamdi schaut noch einmal nachdenkli­ch zum Altar, bevor er zurück in sein Wohnheim geht. „Vatikan heißt es“, sagt er und lacht. Dort will sich der junge Mann den restlichen Tag über auf seine Abschlussp­rüfungen vorbereite­n. Sind die vorüber, steht nur noch die Priesterwe­ihe an. „Einen Termin habe ich noch nicht, aber es könnte die erste Augustwoch­e sein“, sagt er.

Ob Nnamdi sich bei allen Diskussion­en gut auf die Prüfung vorbereite­t fühlt? Nnamdi seufzt und zuckt mit den Schultern. „Je näher sie rückt, desto häufiger stelle ich mir die Frage, manchmal mehrmals am Tag. Ich bin sicherlich nicht der beste Student. Aber ich hoffe sehr, dass Gott mir hilft.“

 ??  ?? Aktuell bereitet sich Aniobi John Nnamdi auf die Abschlussp­rüfung an Nigerias größtem Priesterse­minar in Enugu vor. Als er sich eingeschri­eben hatte, war er noch minderjähr­ig.
Aktuell bereitet sich Aniobi John Nnamdi auf die Abschlussp­rüfung an Nigerias größtem Priesterse­minar in Enugu vor. Als er sich eingeschri­eben hatte, war er noch minderjähr­ig.

Newspapers in German

Newspapers from Austria