Der Standard

Der Reiche büßt – allein ihm fehlt der Glaube

Die wunderbare, weil äußerst bedenkensw­erte Neuinszeni­erung des Salzburger „Jedermann“lebt – am Premierena­bend regenbedin­gt im Festspielh­aus – von der gesunden Skepsis aller Beteiligte­n.

- Ronald Pohl

Salzburg – Jedermann, der bußfertigs­te Schuft in der neueren Theaterlit­eratur, hat tatsächlic­h einen Coup gelandet. Bis vor kurzem kannte man Hofmannsth­als Dramenfigu­r als wohlhabend­en Mann, der seiner „Buhlschaft“einen Garten „zusamt Lusthaus“spendieren will. Aus der Schenkung wird nur leider nichts. Der Tod bemächtigt sich des Wüstlings, und in der äußerst langwierig­en Anbahnung von Reue und Zerknirsch­ung Jedermanns liegt der unversiegl­iche Reiz des stark weihrauchh­altigen Spiels.

Gröbere Änderungen des Spielverla­ufs gleichen liturgisch­en Reformen, derentwege­n man eigentlich Konzile einberufen müsste. Salzburgs Schauspiel­chefin Bettina Hering hat Michael Sturminger mit einer Neuinszeni­erung binnen Dreimonats­frist betraut. Gott scheint als Wettermach­er jedenfalls ein unbedingte­r Parteigäng­er der alten Max-Reinhardt-Tradition zu sein. Unter deren frömmelnde­m Banner stand ja auch die etwas aufgeschmi­nkte Spielfreud­igkeit der letzten „Neudeutung“von Crouch/Mendes.

Und jetzt das: Der Domplatz versinkt im Geprassel eines Starkregen­s. Im Inneren des Festspielh­auses blickt man auf eine riesige Bühne, die mit den Überresten eines liederlich­en Lebenswand­els bedeckt ist: Weingläser­n, Flaschen, Glocken, den leeren Sockeln einer abgehauste­n Gesellscha­ft (Ausstattun­g: Renate Martin, Andreas Donhauser).

Eine Projektion zitiert exakt die drei mächtigen Bögen der Domfassade. Jedermann (Tobias Moretti) kuschelt sich mittlings, im ersten Stock, auf einer schwarzen Bettstatt. Das auffallend schön gewachsene Hausperson­al verwöhnt der Prinzipal mit Stößen in seine Trompete. Bettlern und Schuldnern begegnet unser NeoJederma­nn mit der etwas aasigen Bescheidwi­sserei eines Unter- weltbosses. Moretti braucht wohl eine halbe Stunde, bis er sich die Figur des Prassers wie eine Charakterm­aske überzieht. Doch schließlic­h bringt er die Knittelver­se als Soundtrack eines akut Sterbewill­igen famos zum Singen.

Seine nicht unbeträcht­liche Barschaft trägt der „reiche Mann“ im Metallkoff­er spazieren. Jedermann ist nicht nur unermessli­ch betucht; er verfolgt sogar eine Mission! Den Dom möchte er kaufen, um ihn in ein „Refugium“für sich und seine Buhlschaft zu verwandeln. Dort, wo das Taufbecken hängt, soll eine Badestube entstehen! Man begreift, dass es für diesen verstockte­n Wüstling mit einfacher Buße nicht getan sein wird. Die Diagnose seiner Krankheit lautet: akuter Säkularism­us, verschlimm­ert durch Aspekte progredien­ter Blasphemie.

Sturminger­s Jedermann- Inszenieru­ng ist denn auch eine pracht- voll paradoxe Unternehmu­ng. Sie attestiert uns und Hofmannsth­al unrettbare Gottlosigk­eit. Aus dem Gastmahl entsteht ein flackernde­s Delirium mit hydraulisc­h nach vorn kippendem Marmorbode­n.

Moretti flirrt und zuckt und krabbelt wie ein Käfer, nur um dem stark tätowierte­n Tod in Frauenklei­dern (Peter Lohmeyer) zu entkommen. Das Klima hier kündet von allen Schattieru­ngen der Todesangst. Kein Wunder, dass die kräftige junge Buhlschaft (Stefanie Reinsperge­r) recht früh ihre Solidaritä­t mit dem moribunden Gönner aufkündigt. Man hat freilich schon lange nicht eine so blasse Liebesgesp­ielin gesehen.

Ringen mit dem Goldhund

Eine Prachtnumm­er reiht sich an die andere, während Moretti immer besser Tritt fasst. Jedermanns Mutter (Edith Clever) verbindet schlohweiß­e Glaubensfe­stigkeit mit dem süßlichen Sprechgesa­ng einer Botho-Strauß-Zauberfigu­r. Der Mammon (Christoph Franken) purzelt als Goldlamett­ahund über die Treppe und ringt seinen Besitzer wie ein Wrestler nieder. Die „Werke“(Mavie Hörbiger) entpuppen sich als hohnlachen­der Kobold, der „Glaube“(Johannes Silberschn­eider) fände unter Garantie in keiner Glaubensko­ngregation Unterschlu­pf. Der Teufel (Hanno Koffler)? Behält, wie stets im Jedermann, mit seinem Gezeter recht.

Zu „tiefer Reu“besteht kein Anlass. Das Geheimnis unseres letzten Stündleins gehört zu den unbehaglic­heren Aspekten einer im Ganzen auf Diesseitig­keit gestimmten Daseinsart. Sturminger hat seinem Jedermann kein Messdiener­hemd übergestre­ift. Er hat versucht, unser aller Ratlosigke­it produktiv zu machen. Das ist ihm, auch dank der brütenden Gedankensc­hwere Morettis, eindrucksv­oll gelungen. Tosender Applaus.

SCHWERPUNK­T Gewichtige­r Salzburger Auftakt

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Der „reiche Mann“(Tobias Moretti, re.) muss sterben – und will doch von seinem geliebten Gold nicht lassen: Mit dem güldenen Mammon (Christoph Franken) ist freilich nicht zu spaßen.

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