Keine Lorbeeren für den Weltmeister
Deutschland, einst kranker Mann Europas, heute wirtschaftliche Supermacht und auch politisch von Gewicht. widmet dem Nachbarland vor den Wahlen eine Serie. Erster Teil: Exportüberschuss.
Wien – Einen „regelrechten Blitzkrieg“nannten die italienische Medien die Flut an deutschen Waren im Jahr 1967. Ein halbes Jahrhundert später fürchtet sich die Welt noch immer vor dem Exportweltmeister. „Bad, very bad“nannte US-Präsident Donald Trump im April den Handelsüberschuss Deutschlands mit seinem Land. Angriffsfläche bot ihm das Leistungsbilanzdefizit der USA gegenüber der Bundesrepublik von 65 Mrd. Euro im Jahr 2016. Den Großteil, über 48 Milliarden, machte allein der Warenverkehr aus. Insgesamt wuchs das positive Exportsaldo Deutschlands mit der Welt auf rekordhohe 270 Milliarden – oder 8,6 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung.
Vor allem die Autoindustrie ist Trump ein Dorn im Auge. Zwar exportierten deutsche Firmen im Vorjahr um elf Prozent weniger Pkws in die USA als noch 2015, bei deutlich über einer halben Million Stück ist die Konkurrenz für lokale Hersteller spürbar. Trumps Botschaft bedient seine Kernwählerschaft aus dem Rostgürtel, der einst bedeutendsten Industrieregion der USA. Die deutsche Stärke sei Amerikas Schwäche, so das Argument.
Dass eine positive Exportbilanz mit der Stärke der Volkswirtschaft gleichgesetzt wird, kommt der deutschen Regierungskoalition mitten im Wahlkampf gelegen. Fi- nanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) verfassten ein Strategiepapier als Antwort auf die US-Kritik. Der Sukkus: Die Regierung nehme nicht Einfluss auf die Handelsbilanz. Dass deutsche Unternehmen hochwertige Waren herstellen, die im Ausland gerne gekauft würden, sei kein Grund, sich zu entschuldigen. Ökonomen sträuben sich, Exportüberschüsse automatisch mit der Stärke gleichzusetzen. Schließlich steht ihnen ein Abfluss von Kapital gegenüber. Experten debattieren trotzdem, ob das aktuelle Ungleichgewicht ein Problem darstellt. Ein Kritikpunkt betrifft das Eurosystem. Mit Abstand am meisten handelt Deutschland mit den übrigen EULändern. Zusammen importiert der Rest der Union um 150 Mrd. mehr, als sie exportiert. In der Ver- gangenheit stärkte ein derartiges Ungleichgewicht die D-Mark. Deutsche Produkte wurden teurer, und die Exporte gingen zurück. Innerhalb der Eurozone ist eine nationale Aufwertung aber nicht möglich. Die Kommission verlangt daher vom größten Mitglied, die Inlandsnachfrage und somit die Importe anzukurbeln.
Kritik an Sparsamkeit
Die Bundesregierung ist direkt aufgefordert, mehr Geld auszugeben, wie etwa die OECD forderte. Tatsächlich hat Kanzlerin Merkel ein Investitionsprogramm angekündigt. Darunter fünf Milliarden für Computer in Schulen. Für den Ökonomen Clemens Fuest ist das ein richtiger Schritt. Allerdings belaufen sich die notwendigen Mittel auf rund zehn Milliarden Euro im Jahr. Ein Tropfen auf den heißen Stein.
Der politische Handlungsspielraum endet aber nicht bei den Ausgaben. Im Gegenteil: Im Land klafft eine jährliche Investitionslücke von 100 Milliarden Euro, sagt der Ökonom Marcel Fratzscher. Nicht nur mangelhafte Infrastruktur, sondern auch bürokratische Hürden und regulatorische Unsicherheit – etwa im Bereich der erneuerbaren Energien – halten Unternehmen davon ab, im eigenen Land zu investieren. Sollte der Standort attraktiver werden, könnten in Zukunft die Exportweltmeister wieder mehr Kapital zu Hause einsetzen. Politisch opportune Kritik an ihrer Stärke wird dadurch nicht abreißen.