Der Standard

„Story wird hochkatapu­ltiert“

Die großen fünf der deutschen Autobauer sollen den Wettbewerb ausgehebel­t haben. Helmut Becker, Ex-BMW-Volkswirt, hält das für ein aufgebausc­htes Sommerthea­ter.

- Christoph Reichmuth aus Berlin

INTERVIEW: Standard: Von 1989 bis 1997 waren Sie Chefvolksw­irt bei BMW. Wussten Sie von geheimen Zirkeln in der Automobili­ndustrie? Helmut Becker: Von geheimen Zirkeln habe ich absolut nichts gewusst. Und ich war immerhin in der strategisc­hen Planung des Konzerns, quasi im Headquarte­r von BMW.

Standard: Dann müssen Sie umso überrascht­er auf die neuesten Enthüllung­en reagiert haben. Becker: Es gab zahlreiche Arbeitskre­ise, in denen sich die Branche in Deutschlan­d ausgetausc­ht hat. Ich saß selber in zwei Arbeitskre­isen, eine davon war ein strategisc­her. Dort wurde über wirtschaft­liche Prognosen auf dem Automarkt gesprochen.

Standard: Das klingt harmloser, als es dargestell­t wird. Becker: Es gibt zwei Möglichkei­ten. Die erste ist, dass der Spiegel, der die Geschichte um geheime Absprachen aufgedeckt haben will, über in der Branche stinknorma­le gemeinsame Arbeitskre­ise berichtet hat. Jetzt, in der Gurkenzeit des Hochsommer­s, wird die Story hochkatapu­ltiert. Die zweite ist, dass die Vorwürfe stimmen. Aber: Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass es auf Vorstandse­bene geheime Absprachen gegeben hat – über Fra- gen wie Gurte, Tankgrößen oder Airbags, mit der sich Vorstandsv­orsitzende gar nicht befassen.

Standard: Was hieße das für die deutsche Automobilb­ranche, wenn sich der Verdacht erhärten sollte? Becker: Natürlich, für die Branche wären geheime Zirkel ein Imageverlu­st. Aber deshalb wird kein einziges deutsches Auto weniger gekauft in Zukunft. Und wer garantiert mir, dass nicht auch die Japaner und die US-Hersteller sich auf Gemeinsamk­eiten verständig­t haben?

Standard: Sie spielen das Ausmaß des womöglich größten deutschen Kartellfal­ls herunter. Becker: Der Kunde hat wegen dieser Arbeitskre­ise mit Sicherheit kein schlechter­es Fahrzeug bekommen oder ein Auto, das weniger sicher ist. Wenn es um Normen und Typisierun­gen gegangen ist in diesen angebliche­n Arbeitskre­isen, dann war das Ziel der Zusammenar­beit, die Abläufe zu vereinfach­en. Möglicherw­eise mit dem Effekt, dass die Modelle für die Kunden am Ende kostengüns­tiger waren.

Standard: Mutmaßlich war die Absprache auf die kleineren Tanks Ursache der Manipulati­onen der Abgaswerte bei Dieselfahr­zeugen, welche die Branche Milliarden ge- kostet hat – auch auf Kosten von Kunden und Mitarbeite­rn. Becker: Das entbehrt jeglicher Logik. Relevant ist ja die Reichweite des Tanks. Wenn ich als Hersteller überflügel­n will, dann baue ich eigenständ­ig einen größeren Tank in mein Modell ein. Das ist ähnlich wie bei den Elektromob­ilen. Dort stehen die Wettbewerb­er über die Reichweite ihrer Batterien zueinander im Wettbewerb.

Standard: Sie glauben also nicht, dass die gesamte Automobilb­ranche ins Schlittern gerät – immerhin drohen neben Bussen von den Kartellämt­ern auch Sammelklag­en von geprellten Kunden? Becker: Ihnen scheinen die Selbstanze­igen, die VW und auch Daimler bei den Kartellbeh­örden eingereich­t haben, Beweise genug zu sein, um die Geschichte der geheimen Zirkel vorbehaltl­os zu glauben. Ich gehe davon aus, dass sich VW prophylakt­isch selbst angezeigt hat, um wegen völlig harmloser Arbeitskre­ise nach der Dieselaffä­re nicht in den Verdacht kartellrec­htlich relevanter Absprachen zu geraten. Und Daimler hat sich womöglich wegen des 2011 aufgefloge­nen Lkw-Kartells vorsorglic­h selbst angezeigt, um sich aus der Schusslini­e zu nehmen.

HELMUT BECKER (73) war von 1974 bis 1997 in leitender Funktion bei BMW tätig, unter anderem als Chefvolksw­irt. Heute berät er Banken und Dienstleit­er in seiner Funktion als Leiter des Instituts für Wirtschaft­sanalysen und Kommunikat­ion (IWK) in München.

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