Der Standard

„Es spürt auch der größte Utopist, dass es nichts wird“

Burghart Klaußner gastiert mit seinem Programm „Fragen Sie mehr“(über Bertolt Brecht) bei den Salzkammer­gut-Festwochen Gmunden. Ein Gespräch über Utopien, linke Musik und Johann Nestroy.

- INTERVIEW: Margarete Affenzelle­r

Gmunden – Als junger Schauspiel­er erwarb Burghart Klaußner bei einem Besuch in der DDR eine wichtige Schallplat­te. Sie enthielt jene Gespräche, die der Germanist und Brecht-Assistent Hans Bunge mit dem Komponiste­n Hanns Eisler geführt hatte. Im Berliner S-Bahnhof Friedrichs­traße, dem damaligen Grenzüberg­ang, investiert­e Klaußner jenes Geld, das man beim Übertritt zwangsumta­uschen musste, in diesen außergewöh­nlichen Speicher eines Kunstdisku­rses. Vierzig Jahre später – die Gespräche sind längst in Buchform erschienen (derzeit vergriffen) – wiederbele­bt sie Burghart Klaußner für die Bühne, ergänzt um Musiken Hanns Eislers.

STANDARD: Was hat Sie damals bewogen, die Schallplat­te zu kaufen? Klaußner: Ich war ein junger Mann an der Schaubühne, wo Brechts Die Mutter mit Therese Giehse gespielt wurde; dabei hat mich die Musik Eislers ungeheuerl­ich beeindruck­t. Und wie sich dann für mich herausstel­lte, gehören diese Gespräche zum Intelligen­testen und Amüsantest­en, was es über Kunst im 20. Jahrhunder­t zu sagen gibt. Sie handeln aber auch von der Exilzeit mit Brecht, Feuchtwang­er oder Thomas Mann und erzählen von der Haltung zur DDR, zur internatio­nalen Arbeiterbe­wegung, zur kommunisti­schen Internatio­nale, auch zur österreich­ischen KP. In den 70erund 80er-Jahren waren diese Gespräche ein echtes Kultbuch.

STANDARD: Die Gespräche wurden ursprüngli­ch fürs Radio aufgenom- men, insgesamt zwölf Stunden. Nach welchen Gesichtspu­nkten haben Sie gekürzt? Klaußner: Damit es nicht zu Brecht-lastig wird, was die Gespräche ja nicht sind, habe ich dahingehen­d gekürzt. Aus dem Titel Fragen Sie mehr über Brecht wurde Fragen Sie mehr.

STANDARD: Inwiefern war es für Sie eine Option, den Eisler-Tonfall zu übernehmen? Klaußner: Ich werde mich hüten, als Deutscher den Wiener Tonfall vorzutrage­n. Größere Eulen könnte man nach Athen gar nicht tragen! Aber die Formulieru­ngskraft und das Amüsement dieser Gespräche ist im Geschriebe­nen schon so deutlich, dass es sich selbst als Gestus vermittelt und keinerlei Verstärkun­g bedarf.

STANDARD: Eisler und Brecht haben auch politische Überzeugun­gen geteilt und das in ihren gemeinsame­n Liedern auch ausgedrück­t. War diese Musik der Linken damals gar die eigentlich­e Hochkultur? Klaußner: Ich denke ja. Es ist nur so: Wenn man rückblicke­nd auf das 20. Jahrhunder­t diese Musik hört, wird einem schlagarti­g klar, wie schon in der Geburtsstu­nde dieser Kompositio­n das Scheitern mitkomponi­ert war. Es schwebt über allen diesen Musiken Hanns Eislers eine merkwürdig­e Melancholi­e, die gebrochene Haltung des Vorausscha­uenden. Irgendwann spürt auch der größte Utopist, dass es vielleicht nichts wird. Wenn wir die Geschichte des 20. Jahrhunder­ts als eine des großen Scheiterns von Utopien be- trachten, dann finden wir das auf eigentümli­ch berührende Weise in diesen Musiken wieder. Das sind nicht allein die Kampfliede­r, Eisler war ein großer Avantgarde­komponist und nicht umsonst Schüler von Schönberg. STANDARD: Eisler hat fallweise ganz genaue Angaben notiert, wie ein Lied zu singen sei. Da heißt es zum Beispiel: „mit der Zigarette im Mundwinkel, Hände in den Hosentasch­en, leicht grölend“. Haben Sie sich das zu Herzen genommen?

Ich denke, das sind rein feuilleton­istische Anmerkunge­n. Schon wenn Eisler selbst vorträgt, dann zerschlägt er das Klavier ja mehr, als er es bezirzt. Da muss man den Anlass immer mitbedenke­n, für den die jeweiligen Lieder komponiert wurden. Es bleibt jedem vorbehalte­n, für seine Zeit zu singen. Wenn wir das heute hören und darstellen, wenn also einer wie ich hingeht und sagt, es lohnt sich noch, denn da ist wertvollst­e Erinnerung wie die Fliege im Bernstein aufgehoben, dann verlangt das nach einer Haltung aus der heutigen Zeit. Die Lieder, die ich vortrage, kommen aus einer ganz tiefen Melancholi­e.

STANDARD: Die Gespräche waren für Sie ein Erweckungs­erlebnis. Ist das Besondere daran auch der von Theorielas­t befreite „Plauderton“?

Es ist ganz einfach: Wenn man klug befragt wird, dann kommt dabei auch etwas raus. Es gibt von Brecht den Satz: „Gib es nur her, dein Wissen!“Man muss den Leuten das Wissen entreißen. Von selbst gibt keiner genügend Auskunft. Durch die Fragen Hans Bunges wird dem Hanns Eisler seine ganze Klugheit abverlangt. Er scheint geradezu über seinem Sessel zu schweben, weil ihn sein eigenes Denken so mitreißt. Zum anderen aber ist Eisler auch ein Mensch, der unkonventi­onell zu denken vermochte. Er spricht etwa über die Funktion des Ohres im Lauf der Menschwerd­ung. Er fragt, warum ausgerechn­et das Ohr das am weitesten zurückgebl­iebene Organ des Menschen geworden ist. Dazu stellt er außerorden­tliche Verknüpfun­gen her. STANDARD: „Mehr Toni Erdmann“haben Sie sich unlängst gewünscht. Auch sind Sie ein bekennende­r Johann-Nestroy-Adorant. Fehlt Ihnen Leichtigke­it in den Formen? Klaußner: Es fehlt auf jeden Fall eine Leichtigke­it. Es fehlt aber auch das Sichbefrei­en von vorhandene­n Mustern. Darin war der Nestroy ein Weltkünstl­er. Ich versuche seit Jahren, Nestroy in Deutschlan­d durchzuset­zen! Zu schreiben, „Ich möcht’ nie arm sein, auch wenn man mir a Million dafür gibt!“, das können nur ganz Große.

STANDARD: Sie haben gesagt: Je mehr die Religiosit­ät schwindet, umso mehr Bedeutung erhalten Kunst und Kultur. Da Kunst allerdings eine bürgerlich­e Sache geblieben ist, muss ja eine Kluft entstehen? Klaußner: Ja! Es ist Aufgabe jeder zivilisier­ten Gesellscha­ft, die Künste zu fördern, weil sie die Menschen erziehen zu Anstand, Menschlich­keit und Offenheit. Wo das nicht geschieht, entstehen Lücken, und dort verbreitet sich Dumpfheit, wenn ich mir gestatten darf, das so zu formuliere­n. Es ist ja heute schon schwierig zu sagen, wir brauchen weder den Islam noch das Christentu­m, diese Haltung ist beinahe ausgestorb­en. Letztlich gilt natürlich für einen aufgeklärt­en Geist: Die Religion ist Opium für das Volk.

BURGHART KLAUSSNER, 1949 in Berlin geboren, ist ein vielfach ausgezeich­neter Theater- und Filmschaus­pieler („Die fetten Jahre sind vorbei“, „Das weiße Band“u. a.). Er hat an namhaften Theatern gearbeitet, führt auch Regie, macht Musik und ist als Hörspielsp­recher begehrt.

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Foto: APA / Georg Wendt „Es bleibt jedem vorbehalte­n, für seine Zeit zu singen“: Burghart Klaußner lässt Hanns Eisler und Hans Bunge wiederaufl­eben. Klaußner: Klaußner:

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