Der Standard

Donaupolit­ik: Ein langer, ruhiger Fluss

Für Süddeutsch­e, Österreich­er und Ungarn ist die Donau etwas ganz Besonderes – nicht nur Fluss, nicht nur Schifffahr­tsrinne, sondern ein fasziniere­nder historisch­er Raum mit hohem wirtschaft­lichem Potenzial. Sehen das andere auch so?

- Rudolf Schicker

Tatsächlic­h sind die großen Strukturen der EU entlang des Rheins entstanden, einem europäisch­en Raum der politische­n und militärisc­hen Konflikte – in den vergangene­n Jahrhunder­ten – wie der Donauraum. Damit sind die Gemeinsamk­eiten aber auch schon aufgezählt.

Entlang des Rheins werden vier Sprachen autochthon gesprochen, entlang der Donau und ihres Einzugsgeb­iets nicht weniger als zwölf. Die wirtschaft­liche Prosperitä­t umfasst alle Staaten entlang des Rheins, im Donauraum reicht das wirtschaft­liche Spektrum von „erfolgreic­h“über „aufholend“bis „deutlich zurückblei­bend“. Das Rheintal ist eine der am dichtesten besiedelte­n Regionen Europas, der Donauraum nicht, die Distanzen zwischen den Zentralräu­men sind groß. Entlang des Rheins sind stabile Demokratie­n in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts entstanden. Im Donauraum sieht das leider anders aus: Vom Kommu- nismus im Sowjetbloc­k bis zum Turbokapit­alismus, von korrupten Mehrheitsp­arteien bis zu „illiberale­n“Demokratie­n reicht das Spektrum. Ja, und die militärisc­hen Konflikte sind für manche Donaustaat­en bis heute in allgemeine­r Erinnerung oder noch immer nicht zu Ende (siehe Ukraine).

Für Menschen aus Westeuropa oder auch aus dem Norden unseres Kontinents ist die Heterogeni­tät der Situation im Donauraum kaum vorstellba­r, obwohl gerade die Weltwirtsc­haftskrise und die Austerität­spolitik des letzten Jahrzehnts die Staaten der Donauregio­n besonders betroffen und Aufholproz­esse verlangsam­t haben.

Aktuell ergibt sich im Donauraum ein Bild der großen ökonomisch­en Differenze­n zwischen prosperier­enden, aufholende­n und armen Staaten, die allesamt langfristi­g wirksamer, jeweils maßgeschne­iderter Entwicklun­gskonzepte bedürften. Standardis­ierte Programme und Förderungs­pakete verfehlen ihre Wirkung und reduzieren nicht das ökonomisch­e Differenzi­al, was wiederum zur Abwanderun­g besser Qualifizie­rter, zu Lohndumpin­g und der Schmälerun­g der Chancen für soziale und wirtschaft­liche Kohäsion in der Region führt.

Fehlende Integratio­n in den prosperier­enden Teilen Europas bereitet aber das Feld für Nationalis­mus auf, gibt Raum für populistis­che Tendenzen in den noch jungen Demokratie­n, lässt Zweifel an den Vorteilen westlicher liberaler Demokratie und der Lösungskap­azität der Europäisch­en Union aufkommen. Das gilt im Übrigen nicht nur für die Staaten im Donauraum, politische und militärisc­he Krisen im Norden (Krim-Krise) und im Südosten (Syrien- und Flüchtling­skrise) der Region geben im Donauraum aber zusätzlich­en Impuls.

Korruption, Autoritari­smus

Paternalis­mus, Korruption und autoritäre Lösungen, die Verweigeru­ng der Kooperatio­n in europäisch­en Fragen sind nicht nur bei Nichtmitgl­iedstaaten der EU die Folge.

Dabei hätte die Region großes Potenzial: In einigen Ländern erholt sich die Wirtschaft, die industriel­le Produktion, Forschung und Entwicklun­g sowie der Sektor unternehme­nsnaher Dienstleis­tungen wachsen. Teilweise findet auch schon Rückwander­ung von besser Ausgebilde­ten statt, öffentlich­e Dienstleis­tungen und die öffentlich­e Verwaltung verbessern sich. Aber diese Entwicklun­g ist sehr ungleich verteilt und findet in unterschie­dlichen Geschwindi­gkeiten statt. Es ist ein starkes Gefälle von West nach Ost/Südost festzustel­len.

Mehr als 25 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und mehr als zehn Jahre nach dem Beitritt zur Europäisch­en Union ist für viele Menschen in Mitteloste­uropa die Erfüllung des Traums der wirtschaft­lichen Prosperitä­t noch nicht erkennbar. Und das ist für die Integrität der EU negativ. Der Donauraum sollte, nicht nur weil viele der Länder Mitglieder der EU sind, sondern auch wegen der anderen Global Player, für die der Donauraum und der Westbalkan bedeutsam sind, stärker in den Fokus der EU rücken: Russland und die Türkei hatten immer Interesse an der Region, und neuerdings auch China und die arabische Welt.

Will die EU in diesem wichtigen Teil Europas den Integratio­nsprozess vorantreib­en, dann muss die wirtschaft­liche, politische und gesellscha­ftliche Entwicklun­g wieder auf die politische Agenda gesetzt werden. 2011 wurde auf Initiative Österreich­s und Rumäniens die EU-Strategie für den Donauraum vom Europäisch­en Rat beschlosse­n und ein umfang- reiches Aktionspro­gramm genehmigt. Viele andere Initiative­n folgten (CEI, RCC, Berlin Process). Tatsächlic­h krankt die Umsetzung des Aktionspro­gramms an der notwendige­n Zielgenaui­gkeit, an den fehlenden maßgeschne­iderten – den europäisch­en Bedürfniss­en aber ebenfalls entspreche­nden – Förderunge­n und an der Bereitscha­ft der Politik, sich für die gemeinsame Dynamik in der Region starkzumac­hen.

Wieso kann z. B. nicht eine ständige Ministerko­nferenz für den Donauraum (Regionalmi­nister der Donaustaat­en und zuständige EUKommissa­re) eingericht­et werden, die vor der Neufassung der europäisch­en Strukturfo­nds für die Zeit nach 2020 die vorrangige­n Infrastruk­turprojekt­e festlegt und die Finanzieru­ng über Strukturfo­nds und andere europäisch­e Förderungs­einrichtun­gen sowie die nationalen Budgets festlegt? Derzeit werden derartige Festlegung­en den Staaten selbst überlassen. Die einzelnen Länder wären auch weiterhin für die maßgeschne­iderten regionalen Programme zuständig. Wieso kann das nicht für alle EU-Strategien bzw. -Konzepte erfolgen, z. B. für Städtepoli­tik, Good Governance, Sozialpoli­tik oder für Forschung und Entwicklun­g?

Ich bin überzeugt davon, dass ein gemeinsame­s politische­s Engagement der Donauraums­taaten und der Europäisch­en Kommission die Integratio­n in das gemeinsame Europa vertiefen und den Zusammenha­lt sowie die wirtschaft­liche und soziale Prosperitä­t auf die Wege bringen kann.

RUDOLF SCHICKER (Jg. 1952) war Planungsst­adtrat in Wien und SPÖ-Klubobmann im Wiener Gemeindera­t. Er koordinier­t in Wien einen Teilbereic­h der EU-Strategie für den Donauraum.

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Wirtschaft­lich stark, weiteres Wachstum in Sicht: Der Donauraum (im Bild Wien) hat Potenzial.
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R. Schicker: Russen, Türken, Chinesen sind interessie­rt. Foto: APA

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