Der Standard

Chance für Polen

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In einem Faust- Fragment von Gotthold Ephraim Lessing antwortet ein Geist Faust auf die Frage, was denn das Schnellste auf Erden sei: „Nicht mehr und nicht weniger als der Übergang vom Guten zum Bösen.“Das beste Beispiel dafür ist der rasend schnelle Wechsel des Bildes Polens – vom bewunderte­n Schrittmac­her der Reformen im postkommun­istischen Osteuropa zum isolierten Symbol des Rückfalls in finstere Zeiten. Alles, was sich seit dem Doppelsieg der nationalko­nservative­n Partei Recht und Gerechtigk­eit (PiS) bei den Präsidents­chafts- und Parlaments­wahlen 2015 in Polen abgespielt hat, gefährdet die Demokratie im größten und wichtigste­n osteuropäi­schen Mitgliedss­taat der EU. Der von Jarosław Kaczyński, dem unangefoch­tenen starken Mann an der Spitze der Regierungs­partei (ohne offizielle­s Staatsoder Regierungs­amt), angestrebt­e totale Umbau des Staates hat eine große Wachablöse in den führenden Positionen des öffentlich-rechtliche­n Radios und Fernsehens, der staatliche­n Wirtschaft, des Geheimdien­stes und der Armee erzwungen. Nun will Kaczyński nach der Entmachtun­g des Verfassung­sgerichtes die gesamte Justiz kontrollie­ren und die Gewaltente­ilung abschaffen.E s geht letzten Endes um die Kontrolle über alle Richter im Land. Verblendet von nationalis­tischer Machtgier und besessen von Verschwöru­ngsdenken führt er Polen aus der Rechts- und Wertegemei­nschaft der EU. Eine beispiello­se, ja bizarre Situation, zumal der 2014 zum EU-Ratspräsid­enten gewählte und im März dieses Jahres gegen den Widerstand seines Heimatland­es wiederbest­ellte Donald Tusk zu Recht als Symbol der polnischen Erfolgsges­chichte nach der E Wende betrachtet wird. r warnte in einem Brief an den polnischen Staatspräs­identen Andrzej Duda, dass der Kurs seiner Partei Polen „politisch gesehen in Zeit und Raum nach hinten und nach Osten“führen könnte. Die heftigen Proteste aus Brüssel und Berlin sowie die Drohungen der EUKommissi­on ermunterte­n die Opposition im Lande und dürften auch zum Fall der Zustimmung zur PiS von 37 auf 32 Prozent in Umfragen beigetrage­n haben. Kaczyński kann sich aber auf einen wortgewalt­igen Verbündete­n, den ungarische­n Ministerpr­äsidenten Viktor Orbán, stützen, der am Wochenende die volle Solidaritä­t mit Polen bekundet hat und damit die Einstimmig­keit im Rat, laut Artikel sieben des EU-Vertrages die Vorbedingu­ng für Sanktionen, von vornherein unmöglich macht.

Von Tag zu Tag sind Zehntausen­de im ganzen Land für die Verteidigu­ng des Rechtsstaa­tes und gegen den Angriff auf die Demokratie auf die Straße gegangen. Die Großdemons­trationen der letzten Tage haben wieder einmal gezeigt, dass es in Polen eine viel stärkere und aktivere proeuropäi­sche Zivilgesel­lschaft gibt als in Ungarn. Das Veto des von Kaczyński politisch „erfundenen“jungen Präsidente­n Andrzej Duda ist ein taktischer Sieg für die proeuropäi­sche Opposition und eine folgenschw­ere Ohrfeige für den „Präses“. Die Würfel fallen nicht in Brüssel. Wie so oft in ihrer Geschichte kommt es auf die Polen selbst an. Dudas überrasche­ndes Veto ist noch keine Wende, aber eine echte Chance für den Dialog.

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