Der Standard

„Diese Bundeskanz­lerin hat keine Verlängeru­ng verdient“

Ein Deutschlan­d, in dem man „gut und gerne“lebt, wie es Kanzlerin Angela Merkel formuliert, sieht die deutsche Linke im Wahlkampf nicht. Sie weist auf soziale Benachteil­igungen hin. Von SPD-Mann Martin Schulz ist sie enttäuscht, behält ihn aber im Blick.

- Birgit Baumann aus Rostock

Der Übergang ist etwas abrupt. Gerade noch haben in Rostock vor dem Rathaus die Ready Teddys Rote Lippen soll man küssen gesungen, da steht plötzlich Dietmar Bartsch auf der Bühne. Der Fraktionsc­hef und Spitzenkan­didat der deutschen Linksparte­i macht zum Warm-up einen Scherz, der zum Standardre­pertoire gehört, aber beim älteren Publikum gut ankommt: „Die Sonne scheint, die Sonne lacht, das hat die Linksparte­i gemacht.“

Rostock in Mecklenbur­g-Vorpommern ist ein Heimspiel für ihn, er hat hier seinen Wahlkreis. Nach wie vor bekommen die Linken in den neuen Bundesländ­ern Zustimmung von 20 Prozent – sehr viel mehr als im Westen, wo viele von ihnen als linke Sektierer gelten. Wohingegen im Osten die Pragmatike­r das Sagen haben. In Thüringen ist sogar ein Linker, Bodo Ramelow, Ministerpr­äsident. Er regiert dort geräuschlo­s mit der SPD und den Grünen.

Um derlei Höhenflüge geht es aber bei der Bundestags­wahl am 24. September nicht. Die Linke ist derzeit vor den Grünen drittstärk­ste Kraft im Bundestag, und so soll es aus ihrer Sicht auch bleiben. Man will wieder vor den Grünen ins Parlament einziehen, auch vor der FDP und der AfD.

Deshalb steht Bartsch jetzt auf der Bühne, die in einen großen Truck eingebaut ist, mit dem die Linke quer durchs Land fährt. „Truck-Tour“nennt sich das Konzept, klassische­r Wahlkampf von der Bühne herab.

Bartsch spricht darüber, wie ungerecht der Reichtum in Deutschlan­d vereilt sei, nennt dies „obszön“und erklärt: „Umverteilu­ng ist das Gebot der Stunde.“Doch Bartsch ist in Rostock, obwohl hier sein eigener Wahlkreis liegt, eigentlich nur die Vorgruppe vor der echten Band: Es kommt an diesem Nachmittag auch noch seine Co-Fraktionsc­hefin Sahra Wagenknech­t, die ebenfalls Spitzenkan­didatin der Linken ist. „Da ist sie“, flüstert es aufgeregt auf den hölzernen Bierbänken. Handys werden gezückt, als Wagenknech­t auf die Bühne steigt und den „lieben Dietmar“begrüßt.

Zwei Flügel der Partei

Hinter vorgehalte­ner Hand wird die Show bei der Linken als „Sahra-und-Dietmar-in-Love-Tour“veräppelt. Die beiden sind nicht die engsten Freunde, sie stehen für die unterschie­dlichen Flügel der Partei: hier Bartsch, der Pragmatike­r, dort Wagenknech­t, die Parteilink­e.

Doch Wagenknech­t hat kein Problem damit, Bartsch zu degradiere­n. Sie spricht ungefähr viermal so lang wie er, konzentrie­rt sich dabei auch auf das Thema Umverteilu­ng und greift die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hart an. „Gute Arbeit für gute Löhne“, lasse diese plakatiere­n. „Das ist Verarschun­g von Wählern“, höhnt Wagenknech­t und bekommt viel Beifall. „40 Prozent der Bevölkerun­g haben heute weniger Einkommen als Ende der 1990er-Jahre. Jeder Fünfte in Deutschlan­d arbeitet im Niedrigloh­nsektor“, ruft Wagenknech­t. Und da traue sich Merkel zu behaupten, Deutschlan­d sei ein Land, „in dem wir gut und gerne leben“? Für Wagenknech­t ist klar: „Diese Bundeskanz­lerin hat keine Verlängeru­ng verdient!“Sie rät ihr zudem, „ihre Emissäre mal nach Österreich zu schicken“. Dort nämlich sei das Pensionssy­stem viel besser aufgestell­t als in Deutschlan­d: „Alle, auch Selbststän­dige und Beamte, zahlen in einen großen Topf, daher ist die Rente auch im Schnitt um 800 Euro höher.“

Im Publikum klatscht Pensionist­in Bärbel. „Find’ ich gut, was die Linke macht, die kümmert sich wirklich um uns kleine Leute“, sagt sie und fügt hinzu: „Ich schätze Frau Merkel und ihre Leistung. Aber es ist nicht so, dass es allen in Deutschlan­d gut geht.“Die, die ganz viel haben, könnten noch mehr abgeben, meint sie.Das findet die Linksparte­i auch.

Ihre Forderung: ein Mindestloh­n von zwölf Euro statt wie derzeit 8,84 Euro, eine Mindestren­te und eine Grundsiche­rung von 1050 Euro. Dafür sollen jene, die über eine Million Euro verdienen, 75 Prozent Steuern zahlen.

„Wählen Sie die Linke, damit es nicht wieder zu einer großen Koalition kommt!“, bittet Wagenknech­t, macht aber deutlich, dass sie von SPD-Mann Martin Schulz enttäuscht ist: „Er signalisie­rt, dass er auch nichts groß ändern will.“Bartsch hingegen sieht schon die rot-rot-grüne Option: „Es reicht nicht bloß, den Lokführer auszutausc­hen, der Zug muss in eine andere Richtung fahren.“

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 ??  ?? „Die Sonne scheint, die Sonne lacht, das hat die Linksparte­i gemacht“: Sahra Wagenknech­t und Dietmar Bartsch im Wahlkampfm­odus.
„Die Sonne scheint, die Sonne lacht, das hat die Linksparte­i gemacht“: Sahra Wagenknech­t und Dietmar Bartsch im Wahlkampfm­odus.

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