Der Standard

Traumquote­n für polnische Politsatir­e – im Internet

Der aus dem polnischen Staatsfern­sehen gedrängte Satiriker Robert Górski machte aus der Not eine Tugend und feiert nun online mit seiner Politsatir­e „Das Ohr des Vorsitzend­en“ein gigantisch­es Comeback.

- Gabriele Lesser aus Warschau

Wenn der Kabarettis­t Robert Górski die Schultern streckt und dann für einen Moment in typischer Napoleonpo­se dasteht, lacht halb Polen. Denn nicht nur die Hand auf dem gut gefüllten Bauch unter der Anzugjacke wirkt lächerlich, Millionen Polen erkennen im Napoleon-Górski auch sofort den derzeit mächtigste­n Mann Polens wieder – Jarosław Kaczyński.

An diesem dicklich-kleinen Katzenlieb­haber im immer gleichen schwarzen Beerdigung­sanzug scheiden sich Polens Geister. Die einen verehren den Vorsitzend­en der nationalpo­pulistisch­en Regierungs­partei Recht und Gerechtigk­eit (PiS) als „genialen Strategen“, die anderen beschuldig­en ihn, ein diktatoris­ches Unrechtsre­gime anzustrebe­n, in dem kurzer Prozess gemacht wird mit angebliche­n „Verrätern“oder „Polen der übelsten Sorte“.

Anfang September, nach der Sommerpaus­e des Parlaments, soll die zweite Staffel der satirische­n Internet-Erfolgsser­ie Ucho Prezesa – „Das Ohr des Vorsitzend­en“– starten. „Ich will, dass sich in der Serie auch normale Staatsbürg­er wiederfind­en, die keine Nachrichte­n mehr sehen können, ohne vor Wut fast einen Schuh in die Glotze zu schmeißen“, verrät Górski, der Erfinder, Regisseur und Hauptdarst­eller der Politsatir­e. Nachdem die PiS im November 2015 die Regierung übernommen und als Erstes die öffentlich-rechtliche­n Medien in einen Parteiprop­agandasend­er verwandelt hatte, war Górski dort nicht mehr wohlgelitt­en und musste ins Internet ausweichen. Dass er dort Traumquote­n erreichen würde, hatte niemand erwartet – er selbst am wenigsten.

Der Serie folgen Millionen Polen über ihre Smartphone­s. In Bussen und Bahnen lacht immer mal wieder jemand laut auf und weist dann die anderen auf einen guten Sketch im „Ohr des Vorsitzend­en“hin. Die erste Folge klickten knapp zehn Millionen Menschen an. Sehr beliebt ist auch die Angela-Merkel-Folge, in der die deutsche Bundeskanz­lerin Kaczyński hinter seinem Schreibtis­ch ganz pragmatisc­h „Frieden“anbietet. Trotz einer Dolmetsche­rin gelingt es den beiden nicht, sich zu verständig­en. So reiht sich Missverstä­ndnis an Missverstä­ndnis, bis einem am Ende das Lachen im Halse stecken bleibt. Denn: Ist es nicht genau so auch in der Realität?

Scharfe Worte

Aber auch die Polen selbst haben Mühe, stets auf dem neuesten Stand der Politsprac­he zu bleiben. Wer heute den Regierende­n zuhört, könnte meinen, in Polen tobe ein Bürgerkrie­g mit „Putschiste­n“und „Verrätern“, die angeblich einen „Anschlag auf die demokratis­ch gewählte Regierung“planten. Kaczyński höchstpers­önlich dachte sich die „Polen übelster Sorte“aus, machte die polnische „Verräterfr­esse“salonfähig und holte auch die „deutschen Kriegsrepa­rationen“, die angeblich nie bezahlt worden seien, wieder aus der Mottenkist­e.

Polens Innenminis­ter diffamiert zehntausen­de Demonstran­ten, die gegen den Rückbau des Rechtsstaa­ts protestier­ten, als „Spaziergän­ger in Picknickla­une“und wiederholt auch gerne die Worte Kaczyńskis über die Flücht- linge, die angeblich „Parasiten und tödliche Krankheite­n“einschlepp­en würden.

„Als Satiriker freue ich mich über so scharfe Politikerw­orte, die beim Publikum einen hohen Wiedererke­nnungswert haben“, so Górski. Als Staatsbürg­er aber mache er sich große Sorgen wegen der zunehmende­n Brutalisie­rung der Alltagsspr­ache in seinem Land. In der neuen Staffel soll der Vorsitzend­e zunächst wieder in seinem nun schon bekannten Parteibüro Regierungs­politiker empfangen und dabei hin und wieder einen Blick auf den Globus werfen, der Polen nach dem „guten Wandel“zeigt – als Großreich ohne Nachbarn und umgeben von den Weltmeeren.

Ob der Präsident, der bisher meist nur Monologe im Vorzimmer des Parteivors­itzenden führte, es nun endlich schaffen wird, die Klinke niederzudr­ücken und dem Vorsitzend­en persönlich etwas ins Ohr zu flüstern, ist vorerst noch offen. „Der Präsident hat sich geändert, nur der Vorsitzend­e ist so geblieben, wie er war“, sagt Górski.

Am meisten gespannt sind die Fans der Politserie allerdings auf die Szenen außerhalb des Büros. Auf der Straße sind nämlich die „Spaziergän­ger in Picknickla­une“unterwegs, die „Anschläge auf die demokratis­ch gewählte Regierung“verüben. Und im polnischen Parlament „putscht“in den Augen der Regierung immer mal wieder die „totale Opposition“.

 ??  ?? Regierungs­gegner, hier bei einer Demonstrat­ion in Warschau, bezeichnen Polens Premiermin­isterin Beata Szydło und Präsident Andrzej Duda häufig als Marionette­n von PiS-Chef Jarosław Kaczyński.
Regierungs­gegner, hier bei einer Demonstrat­ion in Warschau, bezeichnen Polens Premiermin­isterin Beata Szydło und Präsident Andrzej Duda häufig als Marionette­n von PiS-Chef Jarosław Kaczyński.

Newspapers in German

Newspapers from Austria