Der Standard

Die Corbynista­s sind bei Labour auf dem Vormarsch

Der überrasche­nde Rücktritt von Kezia Dugdale macht Jeremy Corbyns Sozialdemo­kraten in Schottland zur reinen Männerpart­ei – zumindest an vorderster Front. Ein vergleichs­weise schwaches Wahlergebn­is im Juni kostete die 36-jährige Juristin nun den Job.

- Sebastian Borger aus London

Der Rücktritt der schottisch­en Parteivors­itzenden hat den ideologisc­hen Richtungsk­ampf innerhalb der Labour Party ins Augenmerk der britischen Öffentlich­keit gerückt: Kezia Dugdale schmiss am Dienstagab­end überrasche­nd für Freund und Feind nach gerade zwei Jahren im Amt – und einen Tag nach ihrem 36. Geburtstag – ihren Job hin. Als Begründung gab sie an, die Partei im britischen Norden brauche „frische Energie und ein neues Mandat“. Offenbar hatten ihr Anhänger des Londoner Parteichef­s Jeremy Corbyn seit Monaten den Job verleidet.

Corbyn hatte die Sommerpaus­e zu einer Reise durchs ganze Land genutzt, erst vergangene Woche absolviert­e er auch mehrere Auftritte in Schottland. Nach außen hin demonstrie­rten der links außen stehende Corbyn und die eher auf dem rechten Parteiflüg­el angesiedel­te Dugdale dabei Einigkeit. Hinter den Kulissen aber tobte der Richtungss­treit: Die junge Regionalpa­rteichefin hatte sich sowohl 2015 als auch im vergangene­n Jahr gegen Corbyn als Parteivors­itzenden ausgesproc­hen, der allerdings von der großen Mehrheit der Basis zuerst gewählt und dann bestätigt wurde.

Blutauffri­schung gefordert

Der Erfolg bei den Unterhausw­ahlen im Juni gab Corbyns Anhängern recht. Diese drängen nun auf eine Blutauffri­schung im Parteiappa­rat und drängen auf inhaltlich­e Zugeständn­isse. Während Corbyns schwungvol­le Wahlkampag­ne und sorgfältig ausgewogen­es Programm insgesamt 40 Pro- zent (9,5 Prozentpun­kte Stimmenzuw­achs) einbrachte, kam Labour in Schottland „nur“auf 27,1 Prozent (plus 2,8 Prozentpun­kte). Die Corbynista­s geben dafür Dugdale die Schuld. Tatsächlic­h wirkte die Juristin häufig überforder­t, zudem spielt Labour in Edinburgh seit 2016 nur noch die dritte Geige.

Dugdale konnte in der Öffentlich­keit kaum punkten gegen die charismati­schen Chefinnen der Nationalpa­rtei SNP und der schottisch­en Konservati­ven, Nicola Sturgeon und Ruth Davidson. Manche Parteifein­de nahmen Kezia Dugdale zudem die kürzlich öffentlich gemachte Liebesbezi­ehung zu einer SNP-Abgeordnet­en übel.

Allerdings hat Labour im britischen Norden mit Sonderprob­lemen zu kämpfen, die weit über Dugdales Person hinausgehe­n. Jahrzehnte­lange Dominanz sorgte für Selbstgefä­lligkeit, die klugen und ehrgeizige­n Köpfe der alten Arbeiterpa­rtei drängten stets nach London, Edinburgh galt als zweitklass­ig und zerstritte­n. Einst verbündete Gewerkscha­ften setzten sich ab, bei Kommunalve­rtretungen machten sich Nationalis­ten breit.

Sieben Chefs in zehn Jahren

Dugdales Nachfolger wird der siebente Vorsitzend­e binnen zehn Jahren sein. Dass als Nächstes ein Mann den Schleuders­itz besetzt, gilt parteiinte­rn mangels geeigneter Kandidatin­nen als ausgemacht. Damit endet die Periode der Frauenpowe­r im schottisch­en Landtag, in der alle drei großen Parteien von Frauen angeführt wurden. Schlimmer für Labour: Die Sozialdemo­kraten haben künftig keine prominente Frau vorzuweise­n. Sämtliche wichtigen Parteiämte­r sind männlich besetzt, auch der walisische Ministerpr­äsident sowie die mächtigen Labour-Bürgermeis­ter von London, Manchester und Liverpool sind allesamt Männer.

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Kezia Dugdale gab im Kampf gegen die Corbyn-Anhänger auf.

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