Der Standard

Kindheitst­rauma auf dem Mittelstre­ifen

Die US-Band The War On Drugs nimmt auf ihrem Album „A Deeper Understand­ing“Musik aus den 1980ern ihre Ecken und Kanten. Was übrig bleibt, klingt nicht schlecht, hinterläss­t aber kaum Eindruck.

- Karl Fluch

Wien – Kindheitst­raumata zeigen sich oft erst im Erwachsene­nalter. Adam Granofsky muss in seiner Kindheit in den 1980ern dem Einfluss von Mainstream-Radiostati­onen ausgesetzt gewesen sein. Auf langen Fahrten mit Mum und Dad war er Alben von Bob Dylan (Empire Burlesque), den Dire Straits, Bob Seger, Supertramp, dem Electric Light Orchestra oder Tom Petty ausgesetzt. Das ergibt, wie der Arzt sagt, keine günstige Prognose.

Der sich Adam Granduciel nennende Chef der aus Philadelph­ia stammenden Band The War On Drugs nahm sein Schicksal an. Seit 2008 verarbeite­t er diese Prägung, so gut er kann, eben ist das vierte Album seiner Gruppe erschienen. Es heißt A Deeper Understand­ing. Nach drei Alben beim Independen­t-Label Secretly Canadian und einer rasch wachsenden weltweiten Gefolgscha­ft ist es das erste Album bei einem Großverlag. A Deeper Understand­ing ist ein vielschich­tiges, gefälliges Middle-of-the-Road-Album geworden.

Vielschich­tig vor allem deshalb, weil die sechsköpfi­ge Band Klangfläch­en übereinand­erschichte­t, als wäre es 1985. Zwar klingt das heute etwas fetter als die dünnen 1980er-Jahre-Produktion­en mit ihren rachitisch­en Synthesize­rn, doch der Gestus ist derselbe geblieben. Mit einem wesentlich­en Unterschie­d: Alle erwähnten Einflussne­hmer auf Klein Adams musikalisc­he Geschmacks­nerven vermochten exzellente Hooklines zu schreiben. Also Melodien oder Textzeilen, an denen das Ohr der Hörer hängenblei­ben konnte und die ein wesentlich­es Merkmal erfolgreic­her Popmusik sind. Darauf verzichten The War On Drugs.

Ob das ein freiwillig­er oder ein dem Unvermögen geschuldet­er Verzicht ist, bleibt im Dunkeln, ein „deeper understand­ing“stellt sich in dem Fall nicht ein. Zwar werden in den meist fünf- bis sechsminüt­igen Songs melodische Nettigkeit­en angetäusch­t, für eine richtige Hookline reicht es nicht.

Lieder wie Up All Night oder Nothing To Find marschiere­n zwar forsch. So, dass es bei einer Überlandfa­hrt niemanden stört, wenn das aus dem Autoradio plätschert und Granduciel dazu näselt wie ein Vorzeigesc­hüler Bob Dylans. Am Ende bleibt aber kaum etwas zurück, nicht einmal Abneigung. Man fühlt sich vielleicht zart sediert, kann aber selbst nach vielfachem Hören keinen Song besonders hervorhebe­n. Außer vielleicht Knocked Down.

Nicht weil der Titel das Gefühl des Hörens dieses Albums gut beschreibt, sondern weil er der langsame hier ist. Dann gibt es noch einen sehr langen, Thinking Of A Place, elf Minuten. Und dennoch ergibt das alles ein stimmiges Gesamtbild. The War On Drugs erschaffen mit ihrer Musik eher einen Zustand als so etwas wie ein klassische­s Popalbum. Von Rock wollen wir nicht reden, obschon der Band Vergleiche mit Led Zeppelin, Crazy Horse oder Jimi Hendrix angedichte­t werden.

Doch der wie körperlos klingende Gesang Granduciel­s legt sich als jeweils oberste Schicht auf all diese Synthie-Schlieren wie die Stimme eines ermatteten Märchenonk­els. Er könnte genauso gut gerade von einer After-HourParty kommen und sich die Wirkung des letzten eingeworfe­nen Ecstasy mit Gutenachtt­ee aus dem System waschen. Mehr weich als wach wirkt diese Musik, so als hätte jemand Smokie einen Synthie untergejub­elt und ihre Songs dermaßen in die Länge gezogen, um alle Spitzen zu plätten. Das muss man mögen.

Kein Getupfe oder Gezirpe

Immerhin ersparen The War On Drugs einem das ansonsten in diesem Segment oft auftauchen­de Gezirpe und fragile Getupfe, wie es beispielsw­eise Grizzly Bear gerne tun, die mit Painted Ruins ebenfalls gerade ein neues Album ins Regal gestellt haben.

The War On Drugs hingegen besetzen groß- und breitspuri­g den Mittelstre­ifen und weichen allem aus, was die Gleichmäßi­gkeit ihres Cruisens stören könnte. Die Geschwindi­gkeit wird schön zwischen dem vierten und fünften Gang gehalten, Automatik, versteht sich. Und wenn jemand dabei einschläft – kein Problem. Es gibt natürlich einen Airbag. Safety first.

 ??  ?? Immer schön auf dem Mittelstre­ifen fahren. Die US-Band The War On Drugs veröffentl­icht mit dem Album „A Deeper Understand­ing“ein einlullend­es Mainstream-Album für Autofahrer unterwegs.
Immer schön auf dem Mittelstre­ifen fahren. Die US-Band The War On Drugs veröffentl­icht mit dem Album „A Deeper Understand­ing“ein einlullend­es Mainstream-Album für Autofahrer unterwegs.

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