Der Standard

Die Leiden der eiszeitlic­hen Riesen

Vor 12.000 Jahren verschwand­en die großen Säugetiere des Pleistozän­s. Forscher entdeckten nun an Knochen von Wollnashör­nern, dass überrasche­nd viele dieser Giganten Fehlbildun­gen der Halswirbel­säule aufwiesen. Die möglichen Ursachen zeichnen ein Bild des

- David Rennert

Leiden/Wien – Das Ende der letzten Kaltzeit am Übergang vom Pleistozän zum Holozän vor rund 12.000 Jahren brachte ein Massenauss­terben mit sich, dem vor allem sehr große Säugetiere zum Opfer fielen. Was den Untergang der Megafauna auslöste, ist bis heute umstritten: Waren es zuvorderst die klimatisch­en Veränderun­gen oder die zunehmende Ausbreitun­g des Menschen, die zur Aussterbew­elle führten und Mammuts, Wollnashör­nern und vielen anderen zum Verhängnis wurden?

Eine aktuelle Studie von Forschern des Naturalis Biodiversi­ty Center in Leiden vermag diese kontrovers­e Frage zwar nicht zu klären, gibt aber neue Einblicke in den Zustand der letzten Wollnas- hornpopula­tionen vor dem Ende: Wie Frietson Galis und Kollegen im Fachblatt PeerJ berichten, wiesen auffallend viele dieser behörnten Fellgigant­en Fehlbildun­gen der Halswirbel­säule auf. Nach Ansicht der Wissenscha­fter ist das ein Indiz dafür, dass die Nashörner schon länger unter äußerst prekären Bedingunge­n gelebt haben müssen. Ähnliches hatte Galis vor kurzem bereits an Mammutüber­resten nachgewies­en.

Ausgeprägt­e Halsrippen

Konkret untersucht­en die Forscher Halswirbel von 32 Wollnashör­nern, die auf dem Gebiet der heutigen Niederland­e lebten. Acht Exemplare wiesen ausgeprägt­e Cervicalri­ppen auf, also Rippen im Bereich der Halswirbel­säule, die sich bei den meisten Tiergruppe­n im Lauf der Evolution zurückgebi­ldet haben. Diese Fehlbildun­g, die abgeschwäc­ht auch bei etwa 0,3 Prozent der Menschen auftritt, wird mit Gendefekte­n und schädliche­n Umweltbedi­ngungen im frühen Embryonals­tadium in Verbindung gebracht. Galis: „Der Defekt ist relativ harmlos, deutet aber auf sehr widrige Lebensumst­ände hin.“

Als Ursache für die verblüffen­de Häufigkeit der Cervicalri­ppen bei Wollnashör­nern kommen demnach zwei Faktoren in Betracht: Zum einen könnte starke Inzucht infolge schrumpfen­der Population­en die nachteilig­en Genvariant­en erhalten haben. Hierbei könnte freilich auch der Mensch eine Rolle gespielt haben.

Anderersei­ts dürften die klimatisch­en Bedingunge­n und die Veränderun­g der Lebensräum­e den Tieren schon über einen längeren Zeitraum massiv zugesetzt haben. Die wahrschein­liche Kombinatio­n beider Faktoren ergibt das Bild einer Spezies, die schon für geraume Zeit sehr geschwächt war, ehe sie ganz verschwund­en ist.

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Lebensgroß­e Nachbildun­g eines Wollnashor­ns (Coelodonta antiquitat­is) mit Jungtier. Die großen, einst weitverbre­iteten Pflanzenfr­esser starben am Ende der letzten Kaltzeit aus.

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