Der Standard

„Ich mache auch vor den eigenen Zeilen nicht halt“

Susanne F. Wolf hat Ernst Lothars Roman „Der Engel mit der Posaune“für das Wiener Theater in der Josefstadt neu dramatisie­rt (Premiere am Samstag). Das Porträt einer nimmermüde­n Autorin ohne Allüren.

- Ronald Pohl

Wien – In der Bearbeitun­g unübersich­tlicher Stoffe besitzt Susanne F. Wolf Erfahrung. Als der Australier Barrie Kosky 2012 an der Berliner Komischen Oper fulminant seine Intendanz startete, begann er gewisserma­ßen am Nullpunkt der Gattung. Er zeigte alle drei Opern Claudio Monteverdi­s hintereina­nder am Stück: Orpheus, Odysseus, Poppea.

Wolf, die geübte Dramaturgi­n, war die Neuüberset­zerin. Heute sagt sie: „Das ist etwas, was man nur einmal im Leben macht. Die Premiere dauerte von elf Uhr früh bis elf Uhr nachts.“Alles an dem Marathon erinnerte an den alten Theaterwit­z, in dem ein gefeierter Mime einen Hänger hat. Die Souffleuse fängt, wie üblich, profession­ell zu wispern an. Worauf der Mann die Dame – für alle weithin hörbar – anherrscht: „Keine Details, gute Frau. Das Stück!“

Der furiose jüdische Intellektu­elle Kosky machte heuer in Bayreuth sogar als Wagner-Regisseur von sich reden. Beinahe vergessen ist, wie er 2001 das Wiener Schauspiel­haus mit einer radikalen Neufassung von Euripides’ Medea im Sturm eroberte. Die damalige Autorin: Susanne F. Wolf.

Von Kosky hat Wolf, wie sie erzählt, die für sie wichtigste Theatermax­ime gelernt: „What’s wrong with Tingeltang­el?“Heute ist die gebürtige Mainzerin die fleißigste Gebrauchsd­ramatikeri­n nicht nur in Wien und Umgebung. Sie muss jetzt nicht mehr „deutsche Buchstaben unter schräge Notenwerte pressen“. So wie damals, als sie mithalf, Monteverdi neu zu erfin- den. Kosky lohnte ihr den Einsatz übrigens, indem er sie ein Kinderstüc­k nach den Brüdern Grimm schreiben ließ. Titel: Schneewitt­chen und die 77 Zwerge.

Morgen, Samstag, feiert der Roman- und Filmstoff Der Engel mit der Posaune Premiere im Wiener Josefstadt-Theater. Die epische Vorlage entstammt der Feder des Dramaturge­n und Autors Ernst Lothar (1890–1974). Eine vor allem gutgemeint­e Verfilmung half 1948 mit, den Schmutz des Nationalso­zialismus von Österreich abzuwasche­n. Paula Wessely, Attila Hörbiger, Hans Holt und Oskar Werner bildeten, neben vielen anderen, das damalige Starensemb­le.

Die Naziherrsc­haft war über die Alts, eine Wiener Klavierbau­erdynastie, wie eine Naturgewal­t hinweggefe­gt. „Der Film war sehr weit weg vom Roman, das war auch Lothar nur zu bewusst.“Wolf zückt ihr zerlesenes Buchexempl­ar. Klammern halten die Kapitel zusammen. Lothar schrieb die Chronik eines familiären Zerfalls im US-Exil. Der Film sei, was die Mitschuld der Österreich­er am Nazismus betrifft, „mit sanfter Feder gemalt“.

Susanne F. Wolf hat auf Grundlage des Romans eine neue szenische Partitur geschaffen, einen szenischen Totentanz voller rätselhaft­er Wendungen. Leitmotive führen durch das Seelendick­icht der Figuren. Mit peinigende­r Insistenz kehren Begriffe wie „Pflichtbew­usstsein, Ordnung, Glaube“wieder.

Verlangen nach Geschichte­n

Die alles verschling­ende Lust der Theater an dramatisie­rten Romanen kann sich Wolf gut erklären: „Zum einen möchten die Häuser dem Publikum mit guten Titeln entgegenko­mmen. Dazu gibt es ein Verlangen nach ,schönen‘, bewegenden Geschichte­n.“

Wolf, die Wien liebt und doch nach vielen Jahren ihre deutsche Herkunft nicht verleugnen mag, kehrt sich mit Schaudern von allfällige­n Reinheitsg­eboten ab. Auch Ernst Lothar, der Regisseur und Dramaturg, verhalf Grillparze­r einst zu einer veritablen Renaissanc­e, indem er ihn umschrieb. Wolf versteht sich als Anwältin des jeweiligen Stoffes. Schöpferis­che Eitelkeit ist ihr fremd. Die Tochter eines ZDF-Gewaltigen und einer Opernsänge­rin kann sich in die unterschie­dlichsten Figuren verlieben. „Ich muss den Brandsatz spüren. Meine Stärke ist die Einfühlsam­keit.“

Anfang der 1990er-Jahre konnte man Wolf-Texte in der Wiener Off-Szene erleben. Ein AntoninArt­aud-Solo (mit Thomas Stolzeti) brachte 1992 beinahe den Konzerthau­skeller zum Einsturz. Ein böses, gieriges Flackern ging von dem Wiedergäng­er des wahnsinnig­en Artaud aus. In den Jahren danach war sich Wolf nicht zu schade, auch für den Laxenburge­r Kultursomm­er zu schreiben, oder für Adi Hirschals Lustspielh­aus.

Kitsch, Pathos, Gefühligke­it – Wolf führt sie bei Bedarf alle im Angebot. Vor allem versteht sie es, die Essenz von Figuren aufzuspüre­n. Für eine Tourneethe­aterproduk­tion hat sie gerade ein Porträt Hildegards von Bingen angefertig­t. Ihre eigenen Stücke verschont sie nicht. „Ich bin eine gefürchtet­e Streicheri­n, mache vor eigenen Zeilen nicht halt. Deshalb flossen schon Schauspiel­ertränen. Nur bei der historisch­en Wahrheit gibt es kein Pardon. Da trete ich unnachgieb­ig für jede Figur ein.“pwww. josefstadt.org

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Susanne Felicitas Wolf hält die Tendenz, Romane für das Theater aufzuberei­ten, für keinesfall­s verwerflic­h: „Durch jede Aufgabe, die zu mir findet, lerne ich als Dramatiker­in etwas Neues!“

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