„Wissen bedeutet, misstrauisch sein zu können“
Joanna Zylinska wird am 8. September in der Postcity sprechen (siehe auch Artikel unten). Die Professorin für Neue Medien am Goldsmiths-College der University of London über Computer, Horrorstorys und die Zukunft.
INTERVIEW: STANDARD: In Ihrer Forschung verbinden Sie philosophische Fragen, Ethik, Technologie und Kunst. Wie sind Sie darauf gekommen? Zylinska: Angefangen hat es damit, dass ich als Geisteswissenschafterin auf die Beziehung von Mensch und Technologie geschaut habe. Ich habe mich auch schon früh mit Genderfragen und insbesondere dem Verhältnis von Frauen und Technik beschäftigt. So entwickelte sich ein Interesse daran, wie wir als Menschen uns generell gegenüber neuen Technologien wie etwa Computern verhalten. Menschen sind ja immer schon „technologisch“gewesen: Sie haben gelernt, mit Steinen Feuer zu machen, Waffen zu bauen und Werkzeuge herzustellen. Ich mag Technologie, Gadgets, Computer, bin zugleich aber kritisch im Hinblick auf die Geschichten, die wir uns von Technologie erzählen. Das sind meist Horrorstorys.
STANDARD: Wie meinen Sie das? Zylinska: Wie vorhin gesagt – wir können uns nicht ohne Technologie denken. Das bedeutet aber nicht, dass wir dauernd am Internet oder Smartphone hängen müssen. Ich bin an den Konnotationen der Technologie in unserem Leben interessiert. Und an der Möglichkeit, darüber alternative Geschichten zu erzählen. Zum Beispiel versuche ich, sowohl hinter das Hollywood-Narrativ „Es ist schlecht, und es ist gekommen, um uns zu töten“als auch hinter das Silicon-Valley-Narrativ „Es ist einfach großartig“zu gelangen. Denn die Dinge sind komplizierter und erlauben keinen pauschalen Ansatz, keine Verallgemeinerungen.
STANDARD: Als die Ars Electronica 1979 zum ersten Mal stattfand, war die Verbindung von Kunst, Technologie und Gesellschaft noch recht neu. Wo stehen wir heute? Zylinska: Wir müssen heute den Raum beschützen, in dem noch eine andere Zukunft, andere Szenarien erzählt werden können. Auch wenn alle vielleicht die gleichen Geräte benutzen – die Interessen der Ars Electronica unterscheiden sich, glaube ich, sehr von den Interessen, die etwa Apple und Google verfolgen.
STANDARD: Über diese Absichten wissen wir als Nutzer oft nicht viel. Zylinska: Wir bewegen uns in digitalen Technologien wie Fische im Wasser. Aber Fische realisieren nicht, dass sie im Wasser sind – es ist schlicht das Einzige, was sie kennen. Einerseits ist es für Digital Natives ganz einfach, Sachen mit dem Handy zu machen, die für ihre Eltern schwierig scheinen. Andererseits fehlt uns aber ein tieferes Verständnis der politischen Implikationen, von Fragen der Privatsphäre oder von technologischer Infrastruktur wie Kabeln und Serverfarmen, davon, was man mit Daten machen kann. Gerade weil diese Technologie zum Teil der Erfahrungswelt eines jeden von uns geworden ist, lebt jeder wie ein Fisch im Wasser, ohne das Wasser wahrzunehmen. Daher ist es umso wichtiger, gedanklich öfter auch aus dieser Durchdringung herauszutreten.
STANDARD: Es scheint eben sehr komplex. Deshalb kümmern sich zu wenige darum? Zylinska: Wir alle sollten uns mit Technologie auskennen. Wir haben gewissermaßen eine Verantwortung, zu wissen, wie sie funktioniert, zum Beispiel was in meinem Laptop passiert. Denn das bedeutet auch, misstrauisch sein zu können. Etwa gegenüber dem Narrativ von Obsoleszenz, dass wir jedes Jahr ein neues iPhone brauchen. Und gegenüber Erzählungen rund um die Automatisierung zum Beispiel von Supermarktkassen. Um mit all dem umgehen und uns eine andere Welt vorstellen zu können, brauchen wir Wissen über Technologie.
STANDARD: Wie kann Kunst helfen? Zylinska: Im griechischen Wortursprung sind Kunst und Technologie dasselbe: téchne. Trotzdem ist Technologie nicht notwendigerweise kreativ. In unserer heutigen ökonomisch geprägten Welt steht kreative Dynamik häufig hinter Kapitalinteressen zurück, hinter Verantwortlichkeiten gegenüber Teilhabern. Festivals wie die Ars Electronica bieten einen Raum, in dem Künstler auf widerspenstige Weise denken, eben Alternativen zu dominierenden Erzählungen schaffen können. Auch, indem sie sich lustig über sie machen. Ich halte zum Beispiel Ironie für ein großartiges Werkzeug. STANDARD: Ihr Linzer Vortrag heißt „Man 2.0: AI in the Anthropocene“. Das Anthropozän ist ein Begriffsvorschlag aus den Naturwissenschaften für das aktuelle Erdzeitalter, in dem der Mensch massiv – absichtlich oder nicht – in Naturvorgänge auf der Erde eingreift. Zylinska: Worüber ich reden werde, ist die Rückkehr von apokalyptischen Robotern und Cyborgs, die wir aus den 1980er-Jahren kennen: Robocop, Terminator. Es schien in der Popkultur schon so etwas wie eine Ablöse der tötenden Macho-Roboter zu geben. In den letzten Jahren sind aber viele zu denselben Roboterbildern wie vor 20 Jahren zurückgekehrt. Das macht mich neugierig. Diese apokalyptischen Erzählungen, glaube ich, sind ein Weg, mit unseren Unsicherheiten umzugehen. Ob man nun an den Klimawandel glaubt oder nicht – jeder ist sich der Fakten und des Diskurses bewusst. Es gibt so viel Aufregung und Panikmache. Das Anthropozän wird für mich zu einem Hintergrund, vor dem ich an einige aktuelle Ent- wicklungen im Silicon Valley und an Narrative herangehe.
STANDARD: Kann es etwas nach dem Digitalen geben? Zylinska: Stanisław Lem hat geschrieben, dass es keinen Weg gebe, die Zukunft vorauszusehen. Man müsste sich in 20 Jahren auslachen, wenn man heute etwas prophezeite. Aber man kann über die Frage nachdenken. Denn die Entwickler von heute nutzen Konzepte des Postdigitalen. Das bedeutet nicht, das Digitale zu überwinden, sondern zu akzeptieren, dass es überall um uns herum ist und dabei nicht mehr sichtbar ist, ob in Häusern oder in Bügeleisen etc. Da es unsere Infrastruktur formt, sollten wir diese Dinge nicht mehr als einzelne Objekte sehen, sondern als ein Lebensumfeld.
JOANNA ZYLINSKA (46) ist Kulturwissenschafterin am Goldsmiths-College, London. Zuletzt von ihr erschienen sind „Nonhuman Photography“(2017) und „Minimal Ethics for the Anthropocene“(2014), zudem ist sie u. a. Mitherausgeberin des Journals „Culture Machine“.