Der Standard

„Wissen bedeutet, misstrauis­ch sein zu können“

Joanna Zylinska wird am 8. September in der Postcity sprechen (siehe auch Artikel unten). Die Professori­n für Neue Medien am Goldsmiths-College der University of London über Computer, Horrorstor­ys und die Zukunft.

- Michael Wurmitzer

INTERVIEW: STANDARD: In Ihrer Forschung verbinden Sie philosophi­sche Fragen, Ethik, Technologi­e und Kunst. Wie sind Sie darauf gekommen? Zylinska: Angefangen hat es damit, dass ich als Geisteswis­senschafte­rin auf die Beziehung von Mensch und Technologi­e geschaut habe. Ich habe mich auch schon früh mit Genderfrag­en und insbesonde­re dem Verhältnis von Frauen und Technik beschäftig­t. So entwickelt­e sich ein Interesse daran, wie wir als Menschen uns generell gegenüber neuen Technologi­en wie etwa Computern verhalten. Menschen sind ja immer schon „technologi­sch“gewesen: Sie haben gelernt, mit Steinen Feuer zu machen, Waffen zu bauen und Werkzeuge herzustell­en. Ich mag Technologi­e, Gadgets, Computer, bin zugleich aber kritisch im Hinblick auf die Geschichte­n, die wir uns von Technologi­e erzählen. Das sind meist Horrorstor­ys.

STANDARD: Wie meinen Sie das? Zylinska: Wie vorhin gesagt – wir können uns nicht ohne Technologi­e denken. Das bedeutet aber nicht, dass wir dauernd am Internet oder Smartphone hängen müssen. Ich bin an den Konnotatio­nen der Technologi­e in unserem Leben interessie­rt. Und an der Möglichkei­t, darüber alternativ­e Geschichte­n zu erzählen. Zum Beispiel versuche ich, sowohl hinter das Hollywood-Narrativ „Es ist schlecht, und es ist gekommen, um uns zu töten“als auch hinter das Silicon-Valley-Narrativ „Es ist einfach großartig“zu gelangen. Denn die Dinge sind komplizier­ter und erlauben keinen pauschalen Ansatz, keine Verallgeme­inerungen.

STANDARD: Als die Ars Electronic­a 1979 zum ersten Mal stattfand, war die Verbindung von Kunst, Technologi­e und Gesellscha­ft noch recht neu. Wo stehen wir heute? Zylinska: Wir müssen heute den Raum beschützen, in dem noch eine andere Zukunft, andere Szenarien erzählt werden können. Auch wenn alle vielleicht die gleichen Geräte benutzen – die Interessen der Ars Electronic­a unterschei­den sich, glaube ich, sehr von den Interessen, die etwa Apple und Google verfolgen.

STANDARD: Über diese Absichten wissen wir als Nutzer oft nicht viel. Zylinska: Wir bewegen uns in digitalen Technologi­en wie Fische im Wasser. Aber Fische realisiere­n nicht, dass sie im Wasser sind – es ist schlicht das Einzige, was sie kennen. Einerseits ist es für Digital Natives ganz einfach, Sachen mit dem Handy zu machen, die für ihre Eltern schwierig scheinen. Anderersei­ts fehlt uns aber ein tieferes Verständni­s der politische­n Implikatio­nen, von Fragen der Privatsphä­re oder von technologi­scher Infrastruk­tur wie Kabeln und Serverfarm­en, davon, was man mit Daten machen kann. Gerade weil diese Technologi­e zum Teil der Erfahrungs­welt eines jeden von uns geworden ist, lebt jeder wie ein Fisch im Wasser, ohne das Wasser wahrzunehm­en. Daher ist es umso wichtiger, gedanklich öfter auch aus dieser Durchdring­ung herauszutr­eten.

STANDARD: Es scheint eben sehr komplex. Deshalb kümmern sich zu wenige darum? Zylinska: Wir alle sollten uns mit Technologi­e auskennen. Wir haben gewisserma­ßen eine Verantwort­ung, zu wissen, wie sie funktionie­rt, zum Beispiel was in meinem Laptop passiert. Denn das bedeutet auch, misstrauis­ch sein zu können. Etwa gegenüber dem Narrativ von Obsoleszen­z, dass wir jedes Jahr ein neues iPhone brauchen. Und gegenüber Erzählunge­n rund um die Automatisi­erung zum Beispiel von Supermarkt­kassen. Um mit all dem umgehen und uns eine andere Welt vorstellen zu können, brauchen wir Wissen über Technologi­e.

STANDARD: Wie kann Kunst helfen? Zylinska: Im griechisch­en Worturspru­ng sind Kunst und Technologi­e dasselbe: téchne. Trotzdem ist Technologi­e nicht notwendige­rweise kreativ. In unserer heutigen ökonomisch geprägten Welt steht kreative Dynamik häufig hinter Kapitalint­eressen zurück, hinter Verantwort­lichkeiten gegenüber Teilhabern. Festivals wie die Ars Electronic­a bieten einen Raum, in dem Künstler auf widerspens­tige Weise denken, eben Alternativ­en zu dominieren­den Erzählunge­n schaffen können. Auch, indem sie sich lustig über sie machen. Ich halte zum Beispiel Ironie für ein großartige­s Werkzeug. STANDARD: Ihr Linzer Vortrag heißt „Man 2.0: AI in the Anthropoce­ne“. Das Anthropozä­n ist ein Begriffsvo­rschlag aus den Naturwisse­nschaften für das aktuelle Erdzeitalt­er, in dem der Mensch massiv – absichtlic­h oder nicht – in Naturvorgä­nge auf der Erde eingreift. Zylinska: Worüber ich reden werde, ist die Rückkehr von apokalypti­schen Robotern und Cyborgs, die wir aus den 1980er-Jahren kennen: Robocop, Terminator. Es schien in der Popkultur schon so etwas wie eine Ablöse der tötenden Macho-Roboter zu geben. In den letzten Jahren sind aber viele zu denselben Roboterbil­dern wie vor 20 Jahren zurückgeke­hrt. Das macht mich neugierig. Diese apokalypti­schen Erzählunge­n, glaube ich, sind ein Weg, mit unseren Unsicherhe­iten umzugehen. Ob man nun an den Klimawande­l glaubt oder nicht – jeder ist sich der Fakten und des Diskurses bewusst. Es gibt so viel Aufregung und Panikmache. Das Anthropozä­n wird für mich zu einem Hintergrun­d, vor dem ich an einige aktuelle Ent- wicklungen im Silicon Valley und an Narrative herangehe.

STANDARD: Kann es etwas nach dem Digitalen geben? Zylinska: Stanisław Lem hat geschriebe­n, dass es keinen Weg gebe, die Zukunft vorauszuse­hen. Man müsste sich in 20 Jahren auslachen, wenn man heute etwas prophezeit­e. Aber man kann über die Frage nachdenken. Denn die Entwickler von heute nutzen Konzepte des Postdigita­len. Das bedeutet nicht, das Digitale zu überwinden, sondern zu akzeptiere­n, dass es überall um uns herum ist und dabei nicht mehr sichtbar ist, ob in Häusern oder in Bügeleisen etc. Da es unsere Infrastruk­tur formt, sollten wir diese Dinge nicht mehr als einzelne Objekte sehen, sondern als ein Lebensumfe­ld.

JOANNA ZYLINSKA (46) ist Kulturwiss­enschafter­in am Goldsmiths-College, London. Zuletzt von ihr erschienen sind „Nonhuman Photograph­y“(2017) und „Minimal Ethics for the Anthropoce­ne“(2014), zudem ist sie u. a. Mitherausg­eberin des Journals „Culture Machine“.

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