„Im besten Falle sind wir alle Freejazzer“
Der neue Chefdirigent des Bruckner-Orchesters Linz, Markus Poschner, über musikalische Bimfahrten, Bruckners Impro-Talent, die Gefahren beim Sparen und die Nervosität vor der Großen Konzertnacht.
INTERVIEW: Standard: Sie werden am 4. September mit der gebrandeten Straßenbahn „Markus Poschner trifft ein“in Linz einfahren und vor dem Musiktheater aussteigen. Sie lieben ganz offensichtlich die große Bühne, oder? Poschner: Ich finde es eine genauso wunderbare wie grandios einfache Idee, mit dem ganzen Orchester gemeinsam in die Bim zu steigen und zur Probe zu fahren. Das machen wir ohnehin jeden Tag, und dieses Mal tun wir es halt demonstrativ gemeinsam. Vielleicht packen dabei die Blechbläser noch ihre Instrumente aus und geben etwas zum Besten, das wäre ein großer Spaß. Obendrein steht auch noch unser Logo auf der Straßenbahn, schöner könnte es nicht sein – als Kulturinstitution leben wir doch von der Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit.
standard: Am 10. September heißt es dann für Sie, erstmals beruflich in Oberösterreich „anzutreten“. Als neuer Chefdirigent führen Sie das Bruckner-Orchester durch die Große Konzertnacht. Spüren Sie da selbst als Vollprofi etwas wie Nervosität? Poschner: Oh ja, natürlich, vor allem bei diesem Projekt, das wir sehr experimentell angelegt haben. Das Bruckner-Orchester, ein paar berühmte Jazzgrößen und als Inspirationsquelle und Nukleus Bruckners achte Symphonie – das hat schon Sprengkraft. Ich denke schon seit geraumer Zeit Tag und Nacht darüber nach.
standard: Sie haben diese Nacht unter das Motto „Aufbruch“gestellt. Ein Hinweis auch auf Ihre künftige Arbeit? Poschner: Es geht dabei gar nicht um meine Person allein. Aber in der Tat hat der Titel schon symbolische Strahlkraft, wenn wir auch sonst behaupten, „unseren“Lin- zer Bruckner ins Zentrum unseres Schaffens und Nachdenkens rücken zu wollen. Das Austesten von Grenzen gehört da für mich wie selbstverständlich dazu. Wir wollen ja nicht museal an diesen Themenkomplex herangehen, sondern frei und unbefangen. Auch Bruckners Meisterwerke müssen sich uns gegenüber immer wieder aufs Neue beweisen. Nur so behalten diese ihren Sinn.
standard: War Bruckner so etwas wie ein Freejazzer? Poschner: Bruckner war einer der begabtesten, freiesten und unglaublichsten Improvisatoren aller Zeiten, wenn man den vielen zeitgenössischen Berichten auch nur ein bisschen Glauben schenken mag. Und musikalische Freiheit ist die Grundvoraussetzung aller Improvisation, was man sich allerdings hart erarbeiten muss. Im besten Falle sind wir alle Freejazzer, wenn wir’s ernst meinen.
standard: Sie haben angekündigt, auch in den Reihen des Orchesters abstauben zu wollen und dem Ensemble eine neue DNA zu verpassen – was heißt das genau? Poschner: Es geht mir in erster Linie um Identität und Sichtbarkeit. Ein Orchester dieser Qualität – Tradition gepaart mit der regionalen Verankerung – muss eine starke Marke sein, für alle erkennbar und vor allem musikalisch und stilistisch unterscheidbar. Als Musiker wünsche ich mir daher eine ständige intensive und eigensinnige Auseinandersetzung mit unserem Kernrepertoire.
Standard: Keine Angst, das doch eher konservative Publikum in Oberösterreich zu überfordern? Poschner: Ich weiß, dass unser Publikum sehr neugierig ist. Auf gar keinen Fall aber lässt es sich sonst irgendwie etikettieren. Noch dazu denke ich, dass „das“Publikum gar nicht existiert. Wir brauchen Vielfalt und klare Angebote, die sich an möglichst viele Interessierte richten. Die Zeiten sind endgültig vorbei, dass man sich einfach samstags um 20.00 Uhr auf die Bühne setzt und abwartet, wie viele denn diesmal kommen. Standard: Sie starten unter durchaus schwierigen Bedingungen: Die Politik muss sparen, der Stift wird vor allem auch im Kulturbereich angesetzt. Angst, dass permanent der Sparefroh die erste Geige spielen wird? Poschner: Wenn die Details und Prognosen endgültig alle feststehen, wird man sich schnell zu- sammensetzen müssen und darüber beraten, was das genau bedeutet. Natürlich muss uns allen daran gelegen sein, die oberösterreichischen Alleinstellungsmerkmale zu verteidigen und weiter auszubauen.
Standard: Es gab bereits einen heftigen Streit bezüglich des Landestheaterbudgets 2018/19 mit Geschäftsführer Uwe Schmitz-Gielsdorf. Sind die Differenzen beigelegt? Poschner: Ich lasse mir hier ungern einen persönlichen Streit andichten. Gemeinsam mit dem Intendanten Hermann Schneider tragen wir drei die Verantwortung. Es gibt allerorten viel zu tun und auch viel zu verbessern. Dazu gehören auch budgetäre Themen, die wir hart und klar in der Sache diskutieren. Da wir höfliche Menschen sind, gelingt uns dies auch ohne Zwistigkeiten.
Standard: Gerne rümpft man in Oberösterreich die Nase, wenn ein Deutscher eine entscheidende Position im Kulturbereich einnimmt – Motto: „Hat es da keinen Österreicher gegeben?“Kränkt Sie so etwas? Poschner: Das Einzige, was in der Kunst überhaupt nichts bedeutet, ist der Reisepass. Jetzt könnte ich auch noch anführen, dass ich als Bayer kulturhistorisch den Oberösterreichern sogar näher bin als die Wiener. Aber leider interessiert mich das gar nicht, und daher höre ich lieber gleich wieder auf.
MARKUS POSCHNER, 1971 in München geboren, war zuletzt Generalmusikdirektor in Bremen und Chefdirigent der Bremer Philharmoniker. Ab Beginn der Spielzeit 2017/18 gibt der exzellente Jazzpianist beim Bruckner-Orchester Linz den Takt vor und wird neuer Opernchef am Landestheater Linz.