Der Standard

Dritte-Piste-Entscheidu­ng zeigt: Es gilt das Gesetz

Die Entscheidu­ng des Verfassung­sgerichtsh­ofs zur dritten Flughafenp­iste schiebt richterlic­hen Werturteil­en einen Riegel vor. Für Projektbet­reiber ist dies eine gute Nachricht – auch bei erneuerbar­er Energie.

- Martin Niederhube­r

Wien – Als Schüler in Oberösterr­eich musste ich mich zwischen Lask und Voest entscheide­n, als Student in Wien zwischen Austria und Rapid. Die sehr emotional geführte Debatte zur dritten Piste des Flughafens Wien lässt befürchten, dass man sich als Umweltrech­tler nun auch noch zwischen Verfassung­sgerichtsh­of (pro) und Bundesverw­altungsger­icht (contra dritte Piste) entscheide­n muss. All dies verstellt ein wenig die Sicht auf eine Sachdebatt­e, die angesichts der beiden Erkenntnis­se (BVwG 2. 2. 2017, W109 20001791/291E; VfGH 29. 6. 2017, E875/ 2017) dringend geboten ist.

Und damit meine ich nicht die Sachdebatt­e, ob man nun für oder gegen die dritte Piste ist, sondern die für viele Genehmigun­gsverfahre­n höchst relevante Frage, ob die durch den Verfassung­sgerichtsh­of getroffene­n Ausführung­en auch für andere Großprojek­te von Relevanz sind. Während nämlich das Bundesverw­altungsger­icht noch der Meinung war, es könne den Klimaschut­z im Rahmen einer Interessen­abwägung gegen die dritte Piste in Stellung bringen, hat der Verfassung­sgerichtsh­of dies mit dem Argument verworfen, dass dafür eine direkt anwendbare Rechtsgrun­dlage fehle. Das KiotoProto­koll und das Übereinkom­men von Paris als internatio­nale Klimaschut­zabkommen seien nicht direkt anwendbar, die nationalen Klimaschut­zgesetze würden ebenfalls nicht für den Luftverkeh­r bzw. Flughäfen gelten.

Können nun die durch das Höchstgeri­cht zum Flughafen Wien – und damit zum Luftfahrtg­esetz – getroffene­n Aussagen verallgeme­inert werden? Schließlic­h bedarf nicht nur die Erweiterun­g eines Flughafens, sondern so gut wie jedes Projekt zum Ausbau erneuerbar­er Energie – also Wasserkraf­tanlagen, Windparks, Solaranlag­en – einer Genehmigun­g im Weg der Interessen­abwägung. Dabei werden die für und gegen ein Projekt sprechende­n öffentlich­en Interessen gegeneinan­der abgewogen und schließlic­h ein Werturteil gefällt, welches Interesse nun aus Sicht der Genehmigun­gsbehörde überwiegt. Auch hier wird im Regelfall der Klimaschut­z ins Spiel gebracht – nun aber als öffentlich­es Interesse, das für das jeweilige Energiepro­jekt streitet, da ja die Schaffung erneuerbar­er Energie jedenfalls als positiver Beitrag zum Klimaschut­z zu werten ist.

Der Verfassung­sgerichtsh­of trifft nun zu dieser Frage – sosehr er auch alle Umweltschü­tzer enttäuscht haben mag, welche die Versagung der dritten Piste bereits bejubelt hatten – eine völlig klare Ansage: Es gilt das Gesetz! Sowohl die gegen als auch die für ein Großprojek­t sprechende­n öffentlich­en Interessen sind dem jeweils anzuwenden­den Materienge­setz zu entnehmen.

Klassische­s Anlagenrec­ht

Wenn nun das Luftfahrtg­esetz gegen eine Flughafene­rweiterung nur die Schutzgüte­r gelten lässt, die dem klassische­n Anlagenrec­ht zu eigen sind (Schutz des Lebens, der Gesundheit, des Eigentums), dann kann das Bundesverw­altungsger­icht nicht im bloßen Interpreta­tionsweg auch noch den Klimaschut­z ins Spiel bringen.

Für Projekte zum Ausbau erneuerbar­er Energie – die im Regelfall Interessen­abwägungen nach Wasser-, Forst- oder Naturschut­zrecht zu unterziehe­n sind – sind das gute Nachrichte­n. Schließlic­h sind diese Gesetze bedeutend offener und stellen generell auf den Nutzen ab, den die Umsetzung des gegenständ­lichen Projekts bringen wird. Der Berücksich­tigung positiver Auswirkung­en auf den Klimaschut­z, die mit dem Ausbau erneuerbar­er Energie verbunden sind, steht demnach nichts entgegen.

Die rechtliche Auseinande­rsetzung um den Flughafen Wien zeigt aber auch, dass das Bundesverw­altungsger­icht zu etwas berufen war, was es schlicht nicht leisten konnte: die gerichtlic­he Überprüfun­g eines Werturteil­s. Der Kern einer Interessen­abwägung ist nämlich – neben der Erhebung aller dafür notwendige­n fachlichen Grundlagen – ein Werturteil, welchem Interesse nun der Vorrang eingeräumt werden soll. Dieses Werturteil ist nicht objektivie­rbar, weil die konkurrier­enden Interessen keinem einheitlic­hen Bewertungs­maßstab unterliege­n. Was ist mehr wert: ein Arbeitspla­tz oder die Vermeidung von einem Kilogramm CO2?

Der Verwaltung­sgerichtsh­of hält dazu seit Jahren fest, dass ein getroffene­s Werturteil nicht Gegenstand seiner gerichtlic­hen Kontrolle sein kann. Damit muss aber die Frage erlaubt sein – und zwar ohne dass gleich ein Angriff auf den Rechtsstaa­t unterstell­t wird –, warum der Gesetzgebe­r den Verwaltung­sgerichten das einräumt, was der Verwaltung­sgerichtsh­of für sich nicht in Anspruch nimmt: die gerichtlic­he Kontrolle eines Werturteil­s oder, etwas griffiger formuliert, das Ersetzen des Werturteil­s der (immerhin demokratis­ch legitimier­ten und politisch verantwort­lichen) Behörde durch das Werturteil des jeweiligen Richters. Und Obacht: Da die Gesetze mangels Vergleichb­arkeit der konkurrier­enden öffentlich­en Interessen allesamt keinen Wertungsma­ßstab festlegen können, entscheide­t hier die persönlich­e Einzelwert­ung eines Richters.

Eine rechtspoli­tische Debatte, ob bzw. unter welchen Voraussetz­ungen hier gesetzlich­e Anpassunge­n geboten sind, sollte jetzt und nicht erst unter dem Eindruck der nächsten „Aufregeren­tscheidung“geführt werden.

MARTIN NIEDERHUBE­R ist Partner bei Niederhube­r & Partner in Wien. martin. niederhube­r@nhp.eu

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Bei der Bewilligun­g der dritten Piste in Wien-Schwechat darf der Klimaschut­z keine Rolle spielen, weil er nicht im anwendbare­n Luftfahrtg­esetz steht, urteilen die Verfassung­srichter. Bei Windparks ist der erwartete Nutzen für den Klimaschut­z sehr wohl...

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