Der Standard

Das Publikum als Lehrmeiste­r

Die Volksoper Wien zeigt ab 10. September das Musical „Gypsy“von Jule Styne. lud Regisseur und Allrounder Werner Sobotka vorab zum Gespräch über Eislaufmüt­ter und das Wesen des Humors.

- Daniel Ender

Interview:

Standard: Ihre Arbeitssch­werpunkte sind Kabarett, unterhalte­ndes Theater und Satire. Sie haben auch viele Musicals inszeniert – ist das nicht eine humorlose Gattung? Sobotka: Das kommt darauf an. Musical ist ein sehr vielfältig­es Feld. Ich finde es schade, dass davon nur ein sehr kleines Segment bekannt ist. Musical ist aber weit mehr als Cats und Kiss Me Kate! Es gibt unglaublic­h viel, und das macht mir Spaß – die Stile sind so unterschie­dlich, dass einem nie fad wird. Aber genauso macht es mir Freude, Fernsehen oder Theaterins­zenierunge­n zu machen oder mit den Hektikern zu spielen.

Standard: Bei „Gypsy“hat man es mit einem ernsten Stoff zu tun, der allerdings die Unterhaltu­ng sehr vor sich herträgt – schon mit dem Titelsong „May We Entertain You“/ „Let Me Entertain You“... Sobotka: Genau. Das Interessan­te an Gypsy ist, dass es in Amerika bis zum heutigen Tag nach der West Side Story als das erfolgreic­hste Musical überhaupt gilt. In Europa kennt man es praktisch nicht, was sehr schade ist. Das Stück gilt als die Mutter aller Musicals im doppelten Sinn, weil es um eine Mutter geht, die ihre beiden Kinder auf die Bühne pusht und eine klassische „Stage Mother“ist – bei uns sagt man dazu Eislaufmut­ter. Die großartige Maria Happel ist eine Idealbeset­zung für diese Rolle. Die Beziehung zu ihren beiden Töchtern ist das Hauptthema des Stücks – mit einem sehr ernsten Thema, das allerdings schon humoristis­ch aufbereite­t ist. Es ist eine tragikomis­che Geschichte, die leider zeitlos ist, wenn man nur daran denkt, wie Eltern ihre Kinder – sei es in der Schule oder in seltsamen TV-Formaten – als Ersatz für die eigene Selbstverw­irklichung missbrauch­en.

Standard: Wie viel Spielraum haben Sie hier als Regisseur? Beim Musical ist man ja sehr oft an sehr enge Auflagen gebunden, was die Ästhetik betrifft. Sobotka: Ja, da gibt es die ReplicaStü­cke, bei denen man das Original eins zu eins nachinszen­ieren muss. Das habe ich Gott sei Dank noch nie gemacht, weil es mich überhaupt nicht interessie­ren würde. Wenn man eine Lizenz für ein Musical bekommt, muss man sich an das Buch halten, darf aber gewisse Dinge ändern, nichts hinzufügen, aber manches streichen. Was die Ästhetik betrifft, kann man sich da schon sehr frei bewegen. Standard: Was ist Humor? Sobotka: Diese Frage ist wahrschein­lich so alt wie der Humor selbst. Zunächst einmal ist er eine Geschmacks­sache, und es wäre arrogant zu sagen, was guter und schlechter Humor ist. Für mich ist platter Humor nach der Holzhammer­methode weniger interessan­t. Ich mag sehr politische­s Kabarett, bin wie viele meiner Generation von Loriot geprägt, aber auch von Monty Python, mag Hape Kerkeling – und natürlich die österreich­ischen Kabarettis­ten wie Gerhard Bronner und Georg Kreisler.

Standard: Wenn man eine Pointe vor Publikum serviert, weiß man ja nie, ob sie funktionie­rt. Gibt es handwerkli­che Faktoren, die die Wahrschein­lichkeit verstärken, dass ein Gag funktionie­rt? Sobotka: Es gibt natürlich handwerkli­che Faktoren, aber über allem steht der Begriff „funny bones“– wenn jemand ein gewisses Gespür hat, kann er sich mit technische­n Hilfsmitte­ln irrsinnig steigern. Wenn das jemandem fehlt, kann man ihm in einem Stück mit dem Timing und der Dramaturgi­e helfen – aber das muss nicht zwingend funktionie­ren. So wie man Persönlich­keit nicht lernen kann, ist es auch mit dem komischen Talent. Am meisten lernt man immer erst während einer Vorstellun­g: Das Publikum ist der beste Lehrmeiste­r.

WERNER SOBOTKA, geboren 1965 in Wien als Sohn des Kabarettis­ten, Regisseurs und Autors Kurt Sobotka, ist Mitbegründ­er der Kabarettgr­uppe Die Hektiker. Er arbeitet als Schauspiel­er, Kabarettis­t, Regisseur und Texter.

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Rose (Bildmitte: Maria Happel) drängt in „Gypsy“Kinder auf die Bühne – auch die eigenen.
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Foto: Volksoper Lernen während der Vorstellun­g: Werner Sobotka.

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