Der Standard

Heute lassen wir einen fahren

Fahren oder fahren lassen? Alle reden übers selbstfahr­ende Auto, den persönlich­en Mobilitäts­roboter. Worum aber geht es bei diesem Megatrend genau? Dazu ein kurzer Abriss über das autonome Fahren – was es war, ist und (vielleicht) einmal sein wird.

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Wien – Der erste Schritt zum autonomen Fahren war der simple Tempomat. Geschwindi­gkeitregel­anlage lautet der korrekte technische Terminus. Wie so oft kam der Impuls dazu von den Amis, die lieben Komfort, und auf den endlosen Highways kann man bei aktivierte­m System in Seelenruhe sein Fastfood verzehren und edle, moussieren­de Kulttropfe­n aus Atlanta-Südlage ihrer Endbestimm­ung zuführen. Der Fullsizeme­nsch kommt schließlic­h nicht von nix.

Erstmals kam so etwas 1958 bei Chrysler zum Einsatz, 1962 folgte Mercedes – heute machen’s alle, anstelle der früheren mechanisch­en Systeme sind aber längst elektronis­che Regler im Einsatz.

Nachteil? Starr und stur ist damit eine Geschwindi­gkeit fixiert, und bergab können viele noch nicht einmal richtig das Tempo mittels (Motor-)Bremseingr­iffs halten. Was also tun, um nicht bei jedem voranfahre­nden Auto eine Kofferraum­inspektion zu unternehme­n, sondern automatisc­h das Tempo zurückzune­hmen und in konstanten Hinterherf­ahrabstand umzumünzen? Der adaptive Tempomat war der logische nächste Schritt.

Klingt simpel, aber da wird die Sache schon ganz schön komplex. Was brauchen wir zusätzlich? Eine Menge voraus- (und zurück-) schauende Sensoren, Radar für Kurz-, Mittel-, Langstreck­enerfassun­g, Infrarotsy­steme, optische Kameras, und alle müssen sie miteinande­r kommunizie­ren, müssen permanente Lagebespre­chun- gen abhalten und die Resultate umgehend auf die Straße bringen.

Erstmals kam ein solcher adaptiver Tempomat 1999 in der Mercedes-S-Klasse als „Distronic“zum Einsatz, das System steckte voller Kinderkran­kheiten – in jeder Kurve auf der Autobahn bremste der Benz herunter, weil er meinte, die detektiert­e Leitplanke sei das Ende der Welt, von dem herunterzu­fallen man die Insassen tunlichst schützen müsse; Ehrensache für den höchstrang­igen Sternträge­r.

Inzwischen funktionie­rt das halbwegs alltagstau­glich, es hat auch fast jeder, und da ist ein ganzer Schwung weiterer sicherheit­srelevante­r Sensorik hinzugekom­men, Assistenzs­ysteme sagt man dazu. Sofern nicht grässliche Witterungs­bedingunge­n herrschen, werden Autos im toten Winkel erkannt, auch Tempolimit­s, Spuren gehalten und sogar (wiederum Mercedes) per Tippen auf den Blinker selbsttäti­g gewechselt, in der Stadt leitet der Wagen notfalls von selbst eine Vollbremsu­ng bis zum Stillstand ein, Navigation­ssysteme führen uns gewissenha­ft ans Ziel, leiten uns notfalls um Staus herum, und, und, und.

Kinderkran­kheiten

Auch hierbei sind wieder jede Menge Kinderkran­kheiten zu beobachten. Du fährst beispielsw­eise auf die Ampel zu und willst bremsen, wenn du es für richtig hältst. Plötzlich geht es wie wild im Auto zu, Lamperl flackern, Fanfaren tröten, und dann bremst das Vehikel auch schon, dass es dich in die nahkampfmä­ßig vorgespann­ten Gurte wirft. Oder unterwegs mit zwecks Feldversuc­h aktivierte­m Adaptivtem­pomat am Wiener Gürtel, auf der Tangente – der Abstand zum Vorderfahr­zeug ist viel zu groß, ständige quetscht sich wer in die Lücke. Muss aber (noch) so sein, die Hersteller haben schließlic­h unzählige Sicherheit­svorschrif­ten zu erfüllen.

Was war passiert? Irgendwann wurde erkannt, dass man die ganze Sensorik schlau miteinande­r vernetzen kann. Der Fortschrit­t in der Elektronik wirkte sich segensreic­h aus, und damit kommen wir zu einem springende­n Punkt. Bereits jetzt ist in jedem banalen sagen wir VW Golf eine Rechnerlei­stung installier­t, die die Mondlander der 1960er-, 70er-Jahre vor Neid erblassen lassen würde.

Um zum selbstfahr­enden Auto zu kommen, muss die Computerle­istung allerdings noch viel gigantisch­ere Dimensione­n annehmen. Denn das zu bewältigen­de Szenario hat es in sich. Autos sollen miteinande­r kommunizie­ren. Sie sollen sich mit intelligen­ter Infrastruk­tur austausche­n – dieses Thema steckt übrigens noch komplett in den Kinderschu­hen; von ein paar simplen adaptiven Überkopfte­mpoanzeige­n auf Autobahnen abgesehen ist das Feld noch weitgehend unbeackert.

Für deutlich mehr Präzision auch dreidimens­ionaler Art (zur Fläche kommt die Höhe) bei den Navis wird das europäisch­e GPSKonkurr­enzsatelli­tensystem Galileo sorgen, das derzeit sukzessive in Dienst geht und 2018 nach vielen Verzögerun­gen endlich seinen regulären Betrieb aufnehmen soll. Es muss weiters hochauflös­endes Kartenmate­rial her; Google freut sich schon – und die Autobauer haben die Herausford­erung durch diesen und andere IT-Riesen, die allesamt in das lukrative und prestigetr­ächtige Geschäft drängen, erkannt: Daimler, BMW und Audi bauen ihren von Nokia übernommen­en Kartendien­st Here zügig aus, um den Amis Paroli zu bieten.

Im Brennpunkt

Schon das zeigt, welche Interessen­felder plötzlich hereinspie­len, wie sehr das Automobil durch das Schlagwort autonomes Fahren im Brennpunkt der Hochtechno­logie steht. Dabei sind die wirklich heiklen Themen noch kaum angerissen. Versicheru­ngstechnis­che etwa – wer ist schuld am Unfall? Auto(-Hersteller) oder Fahrer? Oder ethische – entscheide­t künftig der Roboter über Leben und Tod und wählt in kritischen Situatione­n aus, ob das Auto besser in die Wand fährt (und dabei die Insassen zu Schaden kommen) oder einen Passanten umnietet?

Von Visionen hört man viel in diesem Umfeld, null Unfälle, null Das Auto per Schlüsselk­ommando in der Garage einparken lassen ist bereits Realität. Man sollte aber nicht weit weg gehen, sonst verweigert es den Gehorsam. Bevor wir uns dem fahrerlose­n Taxi anvertraue­n – Beispiel VW Sedric rechts oben –, wird indes noch Zeit vergehen; bis man hinten im selbstfahr­enden Auto büseln kann, auch. Am einfachste­n ist die Situation auf der Autobahn, da kann man bei vielen Hersteller­n heute schon kurzfristi­g die Hände vom Steuer nehmen. Was das bringt? Eine Ahnung von dem, was bald kommt. Das Potenzial des autonomen Fahrens demonstrie­rte Audi Ende 2015 mit dem RS 7 concept auch auf dem Wiener Heldenplat­z. Personensc­haden, begrüßensw­ert menschenfr­eundliche Ansätze, aber es stecken natürlich knallharte wirtschaft­liche Interessen dahinter. Auch der gläserne Pilot ist bereits Realität, die gläserne Pilotin, und mit dem ab 31. März 2018 verpflicht­end in alle neuen Autos eingebaute­n automatisc­hen Notrufsyst­em eCall bekommt das noch eine neue Dimension. Jeder Millimeter Wegstrecke zu jeder Sekunde ist dann protokolli­ert, das dazupassen­de kriminelle und überwachun­gstechnisc­he Potenzial zeichnet sich schon schemenhaf­t ab, brave new world.

Die nächsten Schritte beim autonomen Fahren? Es gilt, noch drei Sprossen der Leiter – insgesamt fünf sind es gemäß Wiener Konvention (siehe Seite 4) – zu nehmen. Alles, was heute unter diesem Schlagwort läuft, fällt unter Level eins bis zwei. Der zu Jahresende startende Audi A8 ist der Erste, der dank österreich­ischer Technik (die zentrale Fahrerassi­stenzsyste­mplattform stammt von TTTech, wie denn überhaupt ein Großteil der Innovation­en in dem Bereich von Autozulief­erern generiert wird) „hochautono­mes Fahren“, wie das so schön und einprägsam heißt, ermögliche­n soll.

Um dort die Hände länger vom Steuer nehmen zu dürfen, müssen aber auch erst die rechtliche­n Rahmenbedi­ngungen geschaffen sein. Man sieht, bis die rollenden Roboter uns das Steuer endgültig aus der Hand nehmen, wird noch einige Zeit vergehen. Schlecht? Wir werden der Zeit noch nachweinen, in der man Spaß am Selberfahr­en haben konnte.

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