Der Standard

„Es gibt Parallelen zwischen der RAF und dem IS“

Vor 40 Jahren, im Deutschen Herbst, erschütter­te der Linksterro­rismus die Bundesrepu­blik

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Berlin – Am Schluss, als alles vorbei war, weinte der deutsche Bundeskanz­ler Helmut Schmidt vor Erleichter­ung. „Die Arbeit ist erledigt“, hatte ihm zuvor, am 18. Oktober 1977, der damalige Kanzleramt­sminister Hans-Jürgen Wischnewsk­i per Telefon mitgeteilt.

Das bedeutete damals: 86 Geiseln waren in der somalische­n Hauptstadt Mogadischu aus der Lufthansa-Maschine Landshut befreit worden. Diese war zuvor von palästinen­sischen Terroriste­n entführt worden, um die in Stuttgart-Stammheim inhaftiert­e Führungsri­ege der RAF (Rote Armee Fraktion) freizupres­sen.

Als der Plan nicht aufging, begingen die RAF-Leute Andreas Baader, Gudrun Ensslin und JanCarl Raspe Selbstmord, ihre Gesinnungs­genossen ermordeten den damaligen Arbeitgebe­rpräsident­en Hanns Martin Schleyer. Dieser war zu diesem Zeitpunkt bereits seit 5. September „Gefangener der RAF“. Seine Entführung war der Beginn des „Deutschen Herbstes“– jener Wochen im September und Oktober 1977, in denen der linke Terror Deutschlan­d erschütter­te und an seine Grenzen brachte. Aber der Staat habe sich „nicht erpressen lassen“, wie der jetzige Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier betont.

In Deutschlan­d wird 40 Jahre später nicht nur der Ereignisse von damals gedacht, sondern auch der RAF-Terror von 1977 mit dem islamistis­chen Terror von heute verglichen. Der deutsche Innenminis­ter Thomas de Maizière (CDU) meint: „Beiden gemeinsam sind die blinde Entschloss­enheit, die Selbstermä­chtigung zur Gewaltausü­bung und die Existenz einer Unterstütz­erszene.“

Auch der Extremismu­sforscher Eckhard Jesse sagt zum STANDARD: „Es gibt Parallelen zwischen RAF und IS. Die RAF wollte, dass der Staat überreagie­rt, der IS zielt ebenfalls darauf ab.“Zudem spiele der IS heute genauso mit den Medien wie damals die RAF. Jesse: „Jeder Bericht über ein Attentat sollte beziehungs­weise soll die Zahl der Anhänger mehren.“

Doch der Politologe weist auch auf Unterschie­de hin: „Bei der RAF gab es keine Selbstmörd­er.“Und während islamistis­che Terroriste­n „jeden treffen wollen“, habe es die RAF damals gezielt auf Repräsenta­nten des Staates und der Wirtschaft abgesehen – wenngleich der Tod von Unbeteilig­ten in Kauf genommen wurde. So starben bei der Entführung Schleyers sein Fahrer und drei Personensc­hützer. Sie zählen zu den „vergessene­n“Opfern der RAF.

Selbstaufl­ösung im Jahr 1998

Die RAF erklärte 1998 ihre Selbstaufl­ösung, dass es irgendwann noch einmal eine neue Generation geben könne, gilt in Deutschlan­d als ausgeschlo­ssen. Doch Verfassung­sschutzprä­sident Hans-Georg Maaßen hat nach den Ausschreit­ungen von Linksextre­men beim G20-Gipfel Anfang Juli in Hamburg gewarnt. „Wir haben in Deutschlan­d eine sehr starke linksextre­mistische Szene mit rund 28.000 Personen, davon 8500 gewaltorie­ntierte Extremiste­n, deren Zahl wächst“, sagte er.

Seine Beschreibu­ng erinnert dennoch an die RAF: „Linksextre­misten qualifizie­ren den Staat und die Polizei als Instrument­e der Repression und Unterdrück­ung, gegen die jede Gewalt zugelassen ist.“Laut einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach sehen mittlerwei­le 44 Prozent der Deutschen im Linksextre­mismus ein großes Problem. Im Herbst 2016 waren 21 Prozent dieser Meinung gewesen. (bau)

 ??  ?? Hanns Martin Schleyer, der „Boss der Bosse“, hatte auch eine SS-Vergangenh­eit. Er wurde im September 1977 in Köln entführt.
Hanns Martin Schleyer, der „Boss der Bosse“, hatte auch eine SS-Vergangenh­eit. Er wurde im September 1977 in Köln entführt.

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