Der Standard

Irma: „Totales Chaos“in Karibik, Angst in Florida

Der Wirbelstur­m Irma zieht weiter eine Spur der Verwüstung durch den Atlantik, die Hilfsmaßna­hmen laufen aufgrund der zerstörten Infrastruk­tur erst langsam an. In Florida müssen sich Hunderttau­sende vor dem Rekordstur­m in Sicherheit bringen.

- Frank Herrmann aus Washington

Rick Scott warnt so eindringli­ch, wie man als Gouverneur Floridas nur warnen kann. „Das ist lebensgefä­hrlich. Das ist nichts, was Sie aussitzen können“, wiederholt­e der Republikan­er am Freitag, was er seit Tagen predigt. Irma sei ein gewaltiger Sturm, größer als Florida. Wegen seiner ungewöhnli­chen Ausmaße drohe er an beiden Küsten des Bundesstaa­ts, am Atlantik wie am Golf von Mexiko, enorme Schäden anzurichte­n. „Von Küste zu Küste, flächendec­kend“, betont Scott.

In der Nacht von Samstag auf Sonntag wird Irma im Süden des „Sunshine State“erwartet, einer der stärksten Wirbelstür­me, die je über den Landstrich hinweggezo­gen sind. Meteorolog­en vergleiche­n ihn mit Andrew, einem Hurrikan der Kategorie 5, der 1992 südlich von Miami aufs Festland traf, 65 Menschen tötete und 63.000 Häuser zertrümmer­te. Falls Irma mit ähnlicher Wucht auf die Küste prallt, könnte der Schaden noch größer sein, denn die Bevölkerun­g der Region ist seit Andrew um über ein Drittel gewachsen. Im Küstenstre­ifen zwischen Miami und Fort Lauderdale, de facto eine einzige Stadt, in der sich in Strandnähe ein Hochhaus ans andere reiht, leben heute rund fünf Millionen Menschen.

Inseln verheert

Die verheerend­en Auswirkung­en Irmas zeigen sich auf den betroffene­n Karibikins­eln, die auf dem bisherigen Pfad des Wirbelstur­ms lagen. Auf der zwischen den Niederland­en und Frankreich geteilten Insel Sint Maarten / Saint Martin sei der französisc­he Teil „zu 95 Prozent zerstört“, zitierte der Guardian einen örtlichen Beamten. Es gebe keinen Strom, ein Großteil der Straßen sei unpassierb­ar. Der französisc­he Innenminis­ter Gérard Collomb bezifferte die Zahl der Toten dort und in den anderen französisc­hen Überseegeb­ieten auf acht. Laut Berichten kommt es auch zu Plünderung­en. Der niederländ­ische Ministerpr­äsident Mark Rutte sprach von „totalem Chaos“.

Relativ gesehen mehr Glück hatte Hispaniola. Der inzwischen von der höchsten Stärke 5 auf 4 herabgestu­fte Wirbelstur­m hatte in der Nacht auf Freitag die Nordküste der Dominikani­schen Republik und Haitis passiert. Die Schäden dort sollen laut Hilfsorgan­isation geringer als befürchtet sein, von Todesopfer­n war zunächst nichts bekannt. Allerdings sind alleine in der Dominikani­schen Republik 200 Häuser komplett zerstört worden, im Norden Haitis fürchtet man noch Überschwem­mungen.

Eine Sturmflut, wie sie ein Hurrikan verursacht, könnte auch in Florida verheerend­e Folgen haben. Wegen des Klimawande­ls steigt der Meeresspie­gel: Im mondänen Miami Beach, auf einer vorgelager­ten Insel gelegen, stehen auch so schon häufig ganze Straßenzüg­e unter Wasser.

Zwar hat Florida, um Lehren aus Andrew zu ziehen, Ende der Neunzigerj­ahre die Bauvorschr­iften verschärft. Tankstelle­n und Supermärkt­e müssen über Generatore­n verfügen, sodass sie auch dann rasch öffnen können, wenn ringsum der Strom ausgefalle­n ist. Was aber, wenn Irma eine drei Meter hohe Sturmflut mit sich bringt? Sie wäre hoch genug, um Teile Miamis zu überschwem­men.

Noch gab es am Freitag die Hoffnung, dass der Sturm vielleicht einen anderen Weg nimmt, als ihn das nationale Hurrikanze­ntrum zunächst prognostiz­iert hatte. Dass er östlich der Atlantikkü­ste, über offenem Meer, auf einen Kurs Richtung Norden einschwenk­t, sodass Südflorida das Schlimmste erspart bliebe. Auf Anweisung des Gouverneur­s werden von Freitag bis Dienstag dennoch sämtliche Schulen und Universitä­ten geschlosse­n, damit sie als Notunterkü­nfte dienen können. Allein im Küstenstre­ifen zwischen Miami und Palm Beach wurden rund 875.000 Menschen aufgeforde­rt, ihre Wohnungen zu verlassen. Allerdings ist an den Tankstelle­n das Benzin knapp geworden, für manche ein Grund, trotz aller Warnungen zu bleiben.

Atommeiler abgeschalt­et

Die Aussicht, an Zapfsäulen zu stranden, an denen Schilder mit der Aufschrift „No Gas“(„Kein Sprit“) hängen, schreckt ab. Im Wissen darum wies Scott die Polizei an, Tanklaster mit Blaulicht durch die Autoschlan­gen zu eskortiere­n, in der Hoffnung, auf diese Weise den Nachschub zu sichern. Während der Gouverneur zwei Atomkraftw­erke abschalten ließ, sprach Brock Long, der Chef der Katastroph­enschutzbe­hörde Fema, von einem Jahrhunder­tereignis. „Ich kann Ihnen versichern, dass ich keinen in Florida kenne, der erlebt hat, was Südflorida demnächst treffen wird.“

Umso bizarrer klingt die These des rechtskons­ervativen Radio- moderators Rush Limbaugh, nach der es sich bei den Warnungen um Panikmache handelt. „Es gibt diesen Wunsch, die Klimaagend­a voranzubri­ngen, und ein Hurrikan eignet sich am besten dazu“, sagt er, der von seinem Studio in Palm Beach ein Millionenp­ublikum bedient. Er geht sogar so weit, von einer Verschwöru­ng zwischen Staat und Kommerz zu sprechen. Den TV-Sendern Floridas wirft er vor, im Interesse der Unternehme­n nur deshalb schockiere­nde Hurrikansz­enarien zu malen, damit die Leute sich mit Mineralwas­ser und Batterien eindecken und obendrein mit allem, was man für die Reparatur seiner eigenen vier Wände brauche.

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Der französisc­he Teil der Karibikins­el Sint Maarten / Saint Martin (links) soll durch den Hurrikan zu 95 Prozent zerstört worden sein. In Florida wurden Geschäfte leergekauf­t.
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