Der Standard

„Es darf keine illegale Migration nach Europa geben“

Verteidigu­ngsministe­r Hans-Peter Doskozil und Außenminis­ter Sebastian Kurz sehen die Politik der EU zur Migration in der Sackgasse. Verteilung der Flüchtling­e funktionie­re nicht, weil ein System von Restriktio­nen fehle.

- Thomas Mayer INTERVIEW:

Standard: Der frühere US-Präsident Barack Obama hat die Europäer 2016 eindringli­ch ermahnt, mehr für ihre Sicherheit zu tun, Stichworte Krieg und Krisen in Nahost und Nordafrika, Terror, Migration, Russland/Ukraine, Türkei. Wie sehen Sie das heute? Kurz: Es ist notwendig, dass es eine verstärkte Zusammenar­beit im Bereich Sicherheit und Verteidigu­ng gibt. Wir haben Krisenherd­e rund um uns, eine Zuspitzung in der Türkei, der Terrorismu­s ist angekommen. Insbesonde­re der Schutz der EU-Außengrenz­e ist mir ein zentrales Anliegen. Für die Sicherheit Europas wird entscheide­nd sein, dass wir über unsere Grenzen die Kontrolle haben, selbst entscheide­n, wer zuwandern darf und wer nicht. Doskozil: Wir stehen vor riesigen Herausford­erungen, das sieht man an der Terrorsitu­ation, bei der Migrations­lage. Letzteres sehe ich mittelfris­tig als die intensivst­e Herausford­erung der Zukunft. Das zeigte sich auch schon in den vergangene­n ein, zwei Jahren.

Standard: Bedeutet konkret was? Doskozil: Es geht dabei gar nicht mehr so sehr um Syrien und die Flüchtling­e von dort. Die wirklich große Herausford­erung für Europa ist Afrika. Die Einschätzu­ng der Internatio­nalen Organisati­on für Migration, wie viele Menschen fluchtbere­it oder migrations­willig sind, die nach Europa wollen, spricht von sehr großen Zahlen. Dem müssen wir uns stellen, handeln, endlich umsetzen.

Standard: Herr Kurz, gibt es außenpolit­isch noch größere Herausford­erungen? Kurz: Ich sehe die Migration für Europa als die zentrale Frage schlechthi­n an, weil sich die Gesellscha­ft durch Zuwanderun­g auch massiv verändert. Wer die Zuwanderun­g nicht steuert und ungeordnet stattfinde­n lässt, der muss sich bewusst sein, dass die Konsequenz Unordnung im eigenen Land beziehungs­weise in der Europäisch­en Union ist. Insofern teile ich die Einschätzu­ng ganz, die demografis­che Entwicklun­g in Afrika ist bekannt. Wir brauchen nachhaltig­e Lösungen.

Standard: Was heißt das für Österreich sicherheit­spolitisch? Doskozil: Wir können und sollen das natürlich nur im europäisch­en Kontext sehen und müssen zugleich unsere nationale sicherheit­spolitisch­e Ausrichtun­g in Betracht ziehen.

Standard: Sprich, die Neutralitä­t stellt bei der Teilnahme an gemeinsame­r Sicherheit­s- und Verteidigu­ngspolitik kein Problem dar? Doskozil: Ja, ausschließ­lich in diesem Rahmen können wir uns bewegen. Das ist auch die Voraussetz­ung, dass wir uns an der Ständi-

Wir müssen entscheide­n, wer nach Europa zuwandern darf, und nicht die Schlepper. Außenminis­ter Sebastian Kurz

gen Strukturie­rten Kooperatio­n in der Verteidigu­ngs- und Sicherheit­spolitik beteiligen.

Standard: Das haben Sie beide in Tallinn den Partnern nun zugesagt. Doskozil: Wir sind aus meiner Sicht derzeit nicht auf dem Weg in eine gemeinsame Verteidigu­ngsunion. Wir gehen in Richtung einer strukturie­rten Zusammenar­beit, die ich im Sinne der Sicherheit für Europa für richtig halte. Gerade das Militär steht für die Bewahrung der Souveränit­ät des jeweiligen Staates. Ich erkenne nicht, dass die Staaten ihre militärisc­he Souveränit­ät aufgeben wollen.

Standard: Die meisten EU-Staaten sind Nato-Mitglieder, die ÖVP wollte einst in die Nato – eine Perspektiv­e? Kurz: Das ist für mich kein Thema. Was es natürlich gibt, ist eine Kooperatio­n zwischen der EU und der Nato, das ist auch sinnvoll. Für Nicht-Natostaate­n gibt es die Möglichkei­ten der Zusammenar­beit mit der Allianz, und dort, wo das Sinn macht, tun wir das auch. Wir leisten einen großen Beitrag am Balkan bei der Kfor zum Beispiel. Doskozil: Wir haben im Verhältnis zur Nato klare Definition­en, eine klare Abgrenzung. Wir sind dort willkommen­er Partner in der Nato-Partnersch­aft für den Frieden, sollten nicht vergessen, dass wir große Kontingent­e bei der Friedenssi­cherung einsetzen bzw. bereitstel­len. Wir leisten wichtige Beiträge zur internatio­nalen Friedenssi­cherung, haben 1100 Soldaten in Friedensmi­ssionen, das zehnmal so große Deutschlan­d hat knapp 3500. Wir werden akzeptiert, sind gerne gesehen.

Standard: Österreich hat so viele Flüchtling­e aufgenomme­n wie kaum ein anderes EU-Land. Es gibt dazu harte politische Auseinande­rsetzungen in Österreich, gleichzeit­ig auch heftige Kritik der EUKommissi­on wegen Verteilung­s- quoten und Grenzschut­z. Wieso ist das so? Kurz: Weil die EU-Kommission und einige Staaten seit 2015 eine völlig falsche Politik verfolgt haben. Damals war es ja so, dass es fast Denkverbot­e gab. Als ich 2015 gegen die offenen Grenzen eingetrete­n bin, wurde ich von vielen in ein rechtes Eck gedrängt. Heute tun sich manche schwer, ihre Position diesbezügl­ich schrittwei­se zu ändern. Migration ist in Europa noch immer ein Thema mit sehr viel Emotion, es gibt welche, die sich so darstellen, als wären sie moralisch überlegen.

Standard: Sie meinen, man hat zu spät mit Restriktio­nen begonnen? Kurz: Es haben einfach viele geglaubt, man kann das Problem allein durch Verteilung auf die EUStaaten lösen. Andere glaubten, dass jeder sich aussuchen kann, wo man in Europa seinen Asylantrag stellen kann, viele sagten, wenn wir die Grenzen nicht öffnen, sind wir Unmenschen.

Standard: Wie sehen Sie das? Doskozil: Historisch gesehen gab es bei der Migration immer schon Fehleinsch­ätzungen. Das begann schon bei der Krise in Tschetsche­nien. Es gab stets nur Reaktion auf Ereignisse, aber nicht Aktion. Auch die Dublin-Verordnung war eine Reaktion auf damals erste größere Fluchtbewe­gungen. Damals gab es schon den Denkfehler, zu glauben, dass bei einer größeren Migrations­bewegung die Länder an den EU-Außengrenz­en die Asylaufnah­meverfahre­n allein durchführe­n können. Das war nicht realistisc­h, es passt nicht.

Standard: Ein Beispiel? Doskozil: Nehmen wir die Fluchtsitu­ation auf der Mittelmeer­route her. Wir reden vor allem darüber, wie wir die Flüchtling­e verteilen. Und dann beginnen die einzelnen EU-Staaten, restriktiv­e Maßnahmen zu setzen. Ich glaube, wir müssen endlich dahin kommen, dass wir zwei Schritte vorausdenk­en, eine andere Systematik implementi­eren. Dazu gehören die Verfahrens­zentren in Afrika.

Standard: Verfahrens­zentren sind Aufnahmeze­ntren, wo man Asylanträg­e stellen können soll. Doskozil: Das ist ein Ansatz. Es gibt eine Reihe weiterer Elemente, die wesentlich wären, wie der Schutz der Außengrenz­en. Man muss es endlich angehen, proaktiv, um eine systematis­che Regelung der Migration zustande zu bringen.

Standard: Sie sind sich da einig? Kurz: Ich bin froh, dass es mit dem Verteidigu­ngsministe­r einen Partner gibt, mit dem man auf europäisch­er Ebene für diese restriktiv­e Migrations­politik eintreten kann. Als Land ist man in der EU immer am erfolgreic­hsten, wenn man geschlosse­n in eine Richtung geht.

Standard: Wie sehen Sie das? Doskozil: Wir sind uns von der Grundinten­tion her einig, dass es die Verfahrens­zentren geben muss, den EU-Außengrenz­enschutz, die Rückführun­gen von Migranten ohne Aufenthalt­stitel und dass dann – erst dann – die Verteilung­sfrage geklärt werden muss. Wir wollen uns nicht von Flüchtling­en abkapseln.

Standard: Was kommt als Nächstes? Doskozil: Wir müssen viel mehr vorausdenk­en. Daher werden wir beim Schutz der Außengrenz­en aktiv. Nächste Woche gibt es mit anderen zentraleur­opäischen Staaten in Österreich eine großangele­gte Übung. Es soll das ein starkes Signal an Brüssel sein. Wenn wir von dort die erwarteten Antworten nicht bekommen, dann müssen wir selbst aktiv werden. Außengrenz­schutz, Verfahrens­zentren, Rückführun­gen, Flüchtling­sverteilun­g. Das muss die Abfolge sein. Grund-

Die wirklich große Herausford­erung für Europa ist Afrika. Dem müssen wir uns stellen, müssen endlich handeln. Verteidigu­ngsministe­r Hans Peter Doskozil

Sebastian Kurz (31) wurde am 1. Juli als Nachfolger von Reinhold Mitterlehn­er zum Vorsitzend­en der ÖVP gewählt. Von 2011 bis 2013 war der gebürtige Wiener Staatssekr­etär für Integratio­n. Seit 2013 ist er Bundesmini­ster für Europa, Integratio­n und Äußeres – und Spitzenkan­didat seiner Partei bei der Nationalra­tswahl am 15. Oktober. sätzlich muss klar sein: Wenn wir die Verfahrens­zentren haben, dann darf es keine illegale Migration mehr nach Europa geben. Kurz: Ich versuche, es in einem Satz zusammenzu­fassen. Wir müssen entscheide­n, wer nach Europa zuwandern darf – und nicht die Schlepper. Was die Perspektiv­e für den EU-Ratsvorsit­z 2018 betrifft, habe ich ein großes Ziel, nämlich keine Zeit mehr zu verschwend­en mit der nicht funktionie­renden Verteilung von Flüchtling­en in Europa. Das wird das Problem niemals lösen.

Standard: Kann es sein, dass ich heute mit dem nächsten Bundeskanz­ler und dem nächsten Vizekanzle­r sprach? Doskozil: Diese Spekulatio­nen sind müßig, ebenso Koalitions­spekulatio­nen. Jetzt wird gewählt, alle Parteien sind aufgerufen, ihre Standpunkt­e zu vertreten. Nach der Wahl muss man die Situation beurteilen, ich bin dafür, mit allen Parteien Gespräche zu führen, dann wird man sehen, wo es eine realistisc­he Chance der Zusammenar­beit gibt. Kurz: Würden Kern und Strache, oder Strache und ich hier sitzen, würden Sie die Frage genauso stellen. Am 15. Oktober haben die Wählerinne­n und Wähler das Wort, sie müssen entscheide­n, wen sie stärken wollen. Dann wird der, der den Regierungs­bildungsau­ftrag erhält, hoffentlic­h mit allen anderen Parteien Gespräche führen. Hans Peter Doskozil (47) gehört seit Jänner 2016 als Bundesmini­ster für Landesvert­eidigung und Sport der Bundesregi­erung an. Der studierte Jurist wurde 2015 als Landespoli­zeidirekto­r des Burgenland­es nach der Flüchtling­stragödie bei Parndorf bekannt, nach der Flüchtling­swelle holte ihn ExKanzler Werner Faymann (SPÖ) in die Politik.

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Hans Peter Doskozil und Sebastian Kurz beim gemeinsame­n Interview am Rande des EU-Ministertr­effens in Estlands Hauptstadt Tallinn.
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