„Es darf keine illegale Migration nach Europa geben“
Verteidigungsminister Hans-Peter Doskozil und Außenminister Sebastian Kurz sehen die Politik der EU zur Migration in der Sackgasse. Verteilung der Flüchtlinge funktioniere nicht, weil ein System von Restriktionen fehle.
Standard: Der frühere US-Präsident Barack Obama hat die Europäer 2016 eindringlich ermahnt, mehr für ihre Sicherheit zu tun, Stichworte Krieg und Krisen in Nahost und Nordafrika, Terror, Migration, Russland/Ukraine, Türkei. Wie sehen Sie das heute? Kurz: Es ist notwendig, dass es eine verstärkte Zusammenarbeit im Bereich Sicherheit und Verteidigung gibt. Wir haben Krisenherde rund um uns, eine Zuspitzung in der Türkei, der Terrorismus ist angekommen. Insbesondere der Schutz der EU-Außengrenze ist mir ein zentrales Anliegen. Für die Sicherheit Europas wird entscheidend sein, dass wir über unsere Grenzen die Kontrolle haben, selbst entscheiden, wer zuwandern darf und wer nicht. Doskozil: Wir stehen vor riesigen Herausforderungen, das sieht man an der Terrorsituation, bei der Migrationslage. Letzteres sehe ich mittelfristig als die intensivste Herausforderung der Zukunft. Das zeigte sich auch schon in den vergangenen ein, zwei Jahren.
Standard: Bedeutet konkret was? Doskozil: Es geht dabei gar nicht mehr so sehr um Syrien und die Flüchtlinge von dort. Die wirklich große Herausforderung für Europa ist Afrika. Die Einschätzung der Internationalen Organisation für Migration, wie viele Menschen fluchtbereit oder migrationswillig sind, die nach Europa wollen, spricht von sehr großen Zahlen. Dem müssen wir uns stellen, handeln, endlich umsetzen.
Standard: Herr Kurz, gibt es außenpolitisch noch größere Herausforderungen? Kurz: Ich sehe die Migration für Europa als die zentrale Frage schlechthin an, weil sich die Gesellschaft durch Zuwanderung auch massiv verändert. Wer die Zuwanderung nicht steuert und ungeordnet stattfinden lässt, der muss sich bewusst sein, dass die Konsequenz Unordnung im eigenen Land beziehungsweise in der Europäischen Union ist. Insofern teile ich die Einschätzung ganz, die demografische Entwicklung in Afrika ist bekannt. Wir brauchen nachhaltige Lösungen.
Standard: Was heißt das für Österreich sicherheitspolitisch? Doskozil: Wir können und sollen das natürlich nur im europäischen Kontext sehen und müssen zugleich unsere nationale sicherheitspolitische Ausrichtung in Betracht ziehen.
Standard: Sprich, die Neutralität stellt bei der Teilnahme an gemeinsamer Sicherheits- und Verteidigungspolitik kein Problem dar? Doskozil: Ja, ausschließlich in diesem Rahmen können wir uns bewegen. Das ist auch die Voraussetzung, dass wir uns an der Ständi-
Wir müssen entscheiden, wer nach Europa zuwandern darf, und nicht die Schlepper. Außenminister Sebastian Kurz
gen Strukturierten Kooperation in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik beteiligen.
Standard: Das haben Sie beide in Tallinn den Partnern nun zugesagt. Doskozil: Wir sind aus meiner Sicht derzeit nicht auf dem Weg in eine gemeinsame Verteidigungsunion. Wir gehen in Richtung einer strukturierten Zusammenarbeit, die ich im Sinne der Sicherheit für Europa für richtig halte. Gerade das Militär steht für die Bewahrung der Souveränität des jeweiligen Staates. Ich erkenne nicht, dass die Staaten ihre militärische Souveränität aufgeben wollen.
Standard: Die meisten EU-Staaten sind Nato-Mitglieder, die ÖVP wollte einst in die Nato – eine Perspektive? Kurz: Das ist für mich kein Thema. Was es natürlich gibt, ist eine Kooperation zwischen der EU und der Nato, das ist auch sinnvoll. Für Nicht-Natostaaten gibt es die Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit der Allianz, und dort, wo das Sinn macht, tun wir das auch. Wir leisten einen großen Beitrag am Balkan bei der Kfor zum Beispiel. Doskozil: Wir haben im Verhältnis zur Nato klare Definitionen, eine klare Abgrenzung. Wir sind dort willkommener Partner in der Nato-Partnerschaft für den Frieden, sollten nicht vergessen, dass wir große Kontingente bei der Friedenssicherung einsetzen bzw. bereitstellen. Wir leisten wichtige Beiträge zur internationalen Friedenssicherung, haben 1100 Soldaten in Friedensmissionen, das zehnmal so große Deutschland hat knapp 3500. Wir werden akzeptiert, sind gerne gesehen.
Standard: Österreich hat so viele Flüchtlinge aufgenommen wie kaum ein anderes EU-Land. Es gibt dazu harte politische Auseinandersetzungen in Österreich, gleichzeitig auch heftige Kritik der EUKommission wegen Verteilungs- quoten und Grenzschutz. Wieso ist das so? Kurz: Weil die EU-Kommission und einige Staaten seit 2015 eine völlig falsche Politik verfolgt haben. Damals war es ja so, dass es fast Denkverbote gab. Als ich 2015 gegen die offenen Grenzen eingetreten bin, wurde ich von vielen in ein rechtes Eck gedrängt. Heute tun sich manche schwer, ihre Position diesbezüglich schrittweise zu ändern. Migration ist in Europa noch immer ein Thema mit sehr viel Emotion, es gibt welche, die sich so darstellen, als wären sie moralisch überlegen.
Standard: Sie meinen, man hat zu spät mit Restriktionen begonnen? Kurz: Es haben einfach viele geglaubt, man kann das Problem allein durch Verteilung auf die EUStaaten lösen. Andere glaubten, dass jeder sich aussuchen kann, wo man in Europa seinen Asylantrag stellen kann, viele sagten, wenn wir die Grenzen nicht öffnen, sind wir Unmenschen.
Standard: Wie sehen Sie das? Doskozil: Historisch gesehen gab es bei der Migration immer schon Fehleinschätzungen. Das begann schon bei der Krise in Tschetschenien. Es gab stets nur Reaktion auf Ereignisse, aber nicht Aktion. Auch die Dublin-Verordnung war eine Reaktion auf damals erste größere Fluchtbewegungen. Damals gab es schon den Denkfehler, zu glauben, dass bei einer größeren Migrationsbewegung die Länder an den EU-Außengrenzen die Asylaufnahmeverfahren allein durchführen können. Das war nicht realistisch, es passt nicht.
Standard: Ein Beispiel? Doskozil: Nehmen wir die Fluchtsituation auf der Mittelmeerroute her. Wir reden vor allem darüber, wie wir die Flüchtlinge verteilen. Und dann beginnen die einzelnen EU-Staaten, restriktive Maßnahmen zu setzen. Ich glaube, wir müssen endlich dahin kommen, dass wir zwei Schritte vorausdenken, eine andere Systematik implementieren. Dazu gehören die Verfahrenszentren in Afrika.
Standard: Verfahrenszentren sind Aufnahmezentren, wo man Asylanträge stellen können soll. Doskozil: Das ist ein Ansatz. Es gibt eine Reihe weiterer Elemente, die wesentlich wären, wie der Schutz der Außengrenzen. Man muss es endlich angehen, proaktiv, um eine systematische Regelung der Migration zustande zu bringen.
Standard: Sie sind sich da einig? Kurz: Ich bin froh, dass es mit dem Verteidigungsminister einen Partner gibt, mit dem man auf europäischer Ebene für diese restriktive Migrationspolitik eintreten kann. Als Land ist man in der EU immer am erfolgreichsten, wenn man geschlossen in eine Richtung geht.
Standard: Wie sehen Sie das? Doskozil: Wir sind uns von der Grundintention her einig, dass es die Verfahrenszentren geben muss, den EU-Außengrenzenschutz, die Rückführungen von Migranten ohne Aufenthaltstitel und dass dann – erst dann – die Verteilungsfrage geklärt werden muss. Wir wollen uns nicht von Flüchtlingen abkapseln.
Standard: Was kommt als Nächstes? Doskozil: Wir müssen viel mehr vorausdenken. Daher werden wir beim Schutz der Außengrenzen aktiv. Nächste Woche gibt es mit anderen zentraleuropäischen Staaten in Österreich eine großangelegte Übung. Es soll das ein starkes Signal an Brüssel sein. Wenn wir von dort die erwarteten Antworten nicht bekommen, dann müssen wir selbst aktiv werden. Außengrenzschutz, Verfahrenszentren, Rückführungen, Flüchtlingsverteilung. Das muss die Abfolge sein. Grund-
Die wirklich große Herausforderung für Europa ist Afrika. Dem müssen wir uns stellen, müssen endlich handeln. Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil
Sebastian Kurz (31) wurde am 1. Juli als Nachfolger von Reinhold Mitterlehner zum Vorsitzenden der ÖVP gewählt. Von 2011 bis 2013 war der gebürtige Wiener Staatssekretär für Integration. Seit 2013 ist er Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres – und Spitzenkandidat seiner Partei bei der Nationalratswahl am 15. Oktober. sätzlich muss klar sein: Wenn wir die Verfahrenszentren haben, dann darf es keine illegale Migration mehr nach Europa geben. Kurz: Ich versuche, es in einem Satz zusammenzufassen. Wir müssen entscheiden, wer nach Europa zuwandern darf – und nicht die Schlepper. Was die Perspektive für den EU-Ratsvorsitz 2018 betrifft, habe ich ein großes Ziel, nämlich keine Zeit mehr zu verschwenden mit der nicht funktionierenden Verteilung von Flüchtlingen in Europa. Das wird das Problem niemals lösen.
Standard: Kann es sein, dass ich heute mit dem nächsten Bundeskanzler und dem nächsten Vizekanzler sprach? Doskozil: Diese Spekulationen sind müßig, ebenso Koalitionsspekulationen. Jetzt wird gewählt, alle Parteien sind aufgerufen, ihre Standpunkte zu vertreten. Nach der Wahl muss man die Situation beurteilen, ich bin dafür, mit allen Parteien Gespräche zu führen, dann wird man sehen, wo es eine realistische Chance der Zusammenarbeit gibt. Kurz: Würden Kern und Strache, oder Strache und ich hier sitzen, würden Sie die Frage genauso stellen. Am 15. Oktober haben die Wählerinnen und Wähler das Wort, sie müssen entscheiden, wen sie stärken wollen. Dann wird der, der den Regierungsbildungsauftrag erhält, hoffentlich mit allen anderen Parteien Gespräche führen. Hans Peter Doskozil (47) gehört seit Jänner 2016 als Bundesminister für Landesverteidigung und Sport der Bundesregierung an. Der studierte Jurist wurde 2015 als Landespolizeidirektor des Burgenlandes nach der Flüchtlingstragödie bei Parndorf bekannt, nach der Flüchtlingswelle holte ihn ExKanzler Werner Faymann (SPÖ) in die Politik.