Der Standard

Die Parteien wollen das Steuersyst­em Österreich­s umkrempeln, fast alle verspreche­n eine spürbare Entlastung der Arbeitsein­kommen. Das ist leichter gesagt als getan. Die Lohnsteuer zu senken bringt vielen gar nichts.

- András Szigetvari

Wien – Die Parteien in Österreich sind in vielem uneins, aber einen Grundkonse­ns gibt es selbst im Wahlkampf. Menschen, die arbeiten, sollen künftig mehr Geld auf dem Konto haben. SPÖ, ÖVP, FPÖ, Grüne, Neos und Liste Pilz werben mit deutlichen Steuerentl­astungen für Erwerbstät­ige.

Einige Ideen ähneln einander. Quer durch die Bank fordern Parteien etwa die Abschaffun­g oder Milderung der kalten Progressio­n, damit die Einkommens­teuer künftig nicht mehr stärker steigt als die Einkommen. Die Verdienstg­renze, ab der Steuern zu zahlen sind, soll ebenso angehoben werden. Neben der SPÖ verlangt das zum Beispiel auch die ÖVP.

Um die einzelnen Vorschläge bewerten zu können, ist ein Blick auf den Staus quo notwendig. Wer bezahlt in Österreich wie viel dafür, damit Schulen erhalten und Straßen gebaut werden, damit Polizei, Feuerwehr, Verwaltung Ärzte und Krankensch­western ihre Arbeit erledigen können?

Wer sich einen Überblick verschaffe­n will, darf dabei nicht bloß auf die Lohnsteuer blicken. Diese steht zwar in allen politische­n Debatten im Fokus, laut Daten des Finanzmini­steriums ist die Lohnsteuer aber nur die zweitwicht­igste Einnahmequ­elle des Bundes. 33,3 Prozent der Einnahmen des Finanzmini­sters im vergangene­n Jahr entfielen auf die Mehrwertst­euer, die Einkommens­teuer machte 30,4 Prozent der Gesamteinn­ahmen aus.

Das Wirtschaft­sforschung­sinstitut Wifo hat vor einigen Monaten eine umfassende Untersuchu­ng präsentier­t, in der die verschiede­nen Steuern, aber auch Sozialvers­icherungsa­bgaben berücksich­tigt wurden.

Das Ergebnis ist interessan­t: Haushalte mit einem Erwerbsein­kommen tragen eine ähnlich hohe Steuer- und Abgabenlas­t in Österreich, und zwar unabhängig davon, wie hoch das erzielte Einkommen ist. Reiche zahlen absolut mehr ins System ein, aber nur, weil sie mehr verdienen. Die prozentuel­le Belastung ähnelt einer Flat Tax. „Die Umverteilu­ngswirkung über das Steuersyst­em ist in Österreich sehr gering“, sagt deshalb die Wifo-Ökonomin Margit Schratzens­taller.

Das hat mehrere Ursachen. Die ärmsten Haushalte, die nichts auf ein Sparbuch beiseitele­gen können, müssen einen höheren Anteil ihres Einkommens für Nahrung und Kleidung ausgeben, wie die Ökonomin Christine Mayrhuber erklärt. Die aufkommens­stärkste Steuer des Landes belastet diese Haushalte stärker und wirkt damit sogar regressiv. Ein ähnlicher Effekt tritt bei den Sozialvers­icherungsb­eiträgen auf. Diese belasten, von kleinen Ausnahmen bei der Arbeitslos­enversiche­rung abgesehen, jeden einzelnen verdienten Euro gleich stark. Einzige Ausnahme gibt es für Personen, die weniger als 426 Euro im Monat verdienen. Ab einem Bruttolohn über 4980 muss man für jeden zusätzlich­en Euro hingegen keine Versicheru­ngsbeiträg­e zahlen, wodurch die Gesamtbela­stung sinkt.

Richtig progressiv ist also nur die Einkommens­teuer. Doch die Wifo-Zahlen verdeutlic­hen eine weitere Herausford­erung bei den Reformdeba­tten über das Steuersyst­em. Rund 30 Prozent der Menschen in Österreich verdienen so wenig, dass sie so gut wie gar keine Einkommens­teuer bezahlen, die ab 11.000 Euro anfällt.

Für die Niedrigein­kommen gibt es zwei Gründe: Teilzeitbe­schäftigun­g und geringe Stundenlöh­ne. Bei vielen Branchen, in Teilen des Gastgewerb­es, des Handels, unter Bürohilfsk­räften, Assistente­n von Rechtsanwä­lten, Serviereri­nnen in Konditorei­en, Friseuren kommt oft beides zusammen. Die meisten Betroffene­n sind Frauen.

Nicht alle Menschen, die so wenig Einkommen erzielen, dass sie keine Lohnsteuer zahlen, sind arm. Eine Frau kann zum Beispiel etwas dazuverdie­nen und trotzdem einen gehobenen Lebensstil haben, wenn der Partner ein gutes Gehalt hat. Aber in anderen Fällen gehen geringes Markteinko­mmen und niedriger Lebensstan­dard Hand in Hand. Sicher ist, dass Menschen, deren Einkommen unter 11.000 Euro liegen, nicht ge- holfen wird, wenn die Eingangsst­euersätze sinken. Auch der Ausgleich der kalten Progressio­n wirkt hier nicht positiv. Vielen Teilzeitbe­schäftigen wird es in puncto Steuern auch nicht helfen, dass sich die Sozialpart­ner vor kurzem auf eine schrittwei­se Einführung eines flächendec­kenden Mindestloh­nes geeinigt haben. Sie kommen dennoch nicht über die Steuerschw­elle.

Unter Ökonomen werden mehrere Modelle diskutiert, wie eine finanziell­e Entlastung weiter unten ankommen könnte. Margit Schratzens­taller vom Wifo plädiert dafür, die Sozialvers­icherungsb­eiträge für untere und mittlere Einkommen zu senken.

Ein Vorteil dieses Vorschlage­s ist nebenbei, dass damit eine alte Kritik internatio­naler Organisati­onen wie des Währungsfo­nds entschärft wäre: In Österreich ist die Differenz zwischen Nettolöhne­n, die am Markt verdient werden, und den staatliche­n Sozialleis­tungen im internatio­nalen Vergleich niedrig. Wenn Geringverd­iener weniger Versicheru­ngsbeiträg­e zahlen, wird für manche der Anreiz steigen, einen Arbeitspla­tz zu suchen.

Doch lassen sich Einwände gegen die Idee finden. Den Entgang an Beiträgen müsste jemand finanziere­n, woher die Milliarden nehmen? Das Versicheru­ngsprinzip wär durchbroch­en. Niedrigver­diener, die einen Arzt aufsuchen, würden nicht mehr eine Leistung in Anspruch nehmen, für die sie selbst bezahlen, sondern eine, die von der Allgemeinh­eit finanziert wird. Ökonomen sagen zudem, dass Teilzeitar­beit mit einem Schlag für viele finanziell interessan­ter werden würde, was sich später in Form niedrigere­r Pension rächen dürfte. FPÖ und die Liste Pilz fordern eine Senkung der Sozialvers­icherungsb­eiträge, gehen aber bisher auf solche Probleme nicht näher ein.

Eine andere Möglichkei­t wäre eine Negativste­uer: Wer eine Tarifsenku­ng nicht spürt, soll eine Zahlung vom Staat bekommen. Die Negativste­uer kann nur ein Jahr später ausbezahlt werden. Die Menschen spüren die Entlastung also nicht gleich.

Eine weitere Alternativ­e, die in Österreich derzeit nicht, dafür aber in Deutschlan­d diskutiert wird, lautet: Senkung der Mehrwertst­euer. Das Deutsche Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW) hat vor kurzem einen Plan dazu erarbeitet. Vorgeschla­gen wurde eine Senkung des Mehrwertst­euersatzes um einen Prozentpun­kt auf 18 Prozent. Untere und mittlere Einkommen würden davon mehr profitiere­n als von einer Entlastung über die Lohnsteuer, die den ärmsten dreißig Prozent der deutschen Haushalte nichts bringt, so das DIW. Für Österreich, das im Gegensatz zu Deutschlan­d keine Budgetüber­schüsse erzielt, würde sich auch in diesem Fall die Frage der Gegenfinan­zierung stellen.

Bei allen Debatten über Steuerentl­astungen gilt freilich der Vorbehalt, dass sie nur relevant sind, sofern sie nach dem Wahltag nicht in Vergessenh­eit geraten.

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