Der Standard

Heiraten auf Balkanisch

Bei Hochzeiten auf dem Balkan geht es um die Verbindung mit dem Himmel, der Nation, dem Clan. Im Sommer reist daher regelmäßig die Diaspora an, um zu heiraten — und hinterläss­t dabei den armen Verwandten in Südosteuro­pa viel Geld.

- Adelheid Wölfl

Die kleine alte Frau mit dem Kopftuch tanzt am wildesten. Mit der einen Hand hält sie die ihrer Freundin, die sicherlich auch siebzig Jahre alt ist, und in der anderen Hand schwingt sie ein blaues, glitzernde­s Tuch. Die Dame hat den Kolo im Blut. Zwei Schritte nach rechts, dann einen nach vorne, einen nach hinten, einen nach vorne, und dann wieder weiter nach rechts, die Hände in der Höhe. Die Frauen lachen. Am schönsten ist die Braut. Sie hat gerade wieder ihr Kleid gewechselt. Statt des traditione­llen albanische­n gestickten Zweiteiler­s trägt sie jetzt ein rosa Kleid mit angenähten Blüten. Sie wird noch sieben Mal an diesem Abend ihre Robe wechseln.

Draußen am Pool scheinen Gipsdelfin und Gipsmeerju­ngfrau beinahe neidisch in den Festsaal zu blicken. Die etwa sechzig Frauen sind ausgelasse­n, die meisten kommen aus Stuttgart oder Heilbronn. Es ist das Fest vor der Hochzeit, nur für Frauen, Kanagjegj heißt es hier im Kosovo – Henna-Fest. Früher hinterließ die Braut der Mutter einen Henna-Abdruck ihrer Hand. Heute macht sie einfach Party. Das Henna-Fest in Ferizaj im Kosovo hat aber noch immer traditione­lle Elemente. Die Mutter hält etwa die Hand ihrer Tochter, das Ritual dreht sich um Abschied, entspreche­nd traurige Lieder werden gesungen. Im Fall von Elena, der schönen Zahnarzthe­lferin, ist die Sache nicht so dramatisch. Die 24Jährige zieht nur von Stuttgart nach Heilbronn. Mama ist trotzdem den Tränen nahe.

Sozialer Status

Sommer auf dem Balkan bedeutet: Die „Diaspora“reist an, also jene ausgewande­rten ehemaligen Balkanbürg­er samt Anhang, um im Kreise der Verwandten zu heiraten. Wie viele Gäste kommen, welches Lokal man aussucht, welche Autos davorstehe­n, das alles ist von großer Bedeutung. Denn mit einer Hochzeit wird sozialer Status demonstrie­rt. „Der Normalfall sind 300 bis 400 Gäste, da braucht man sich nicht genieren“, sagt der Anthropolo­ge Karl Kaser von der Universitä­t Graz.

Im Kosovo zahlen die Gäste nicht. Ansonsten ist es auf dem Balkan jedoch üblich, dass jeder ein Kuvert mit mindestens 50 Euro übergibt. Für die meisten Familien gibt es irgendwann einen Ausgleich, wenn sie selbst eine Hochzeit veranstalt­en. Dieser Kreislauf kommt einem Kreditsyst­em für Jungfamili­en nahe.

„Bei einer Hochzeit gibt es einen materielle­n Austausch zwischen den beiden Familien, der ist regional verschiede­n. In Griechenla­nd ist es Standard, dass der Vater oder der Bruder die Braut mit einer Wohnung oder einem Haus in die Ehe schickt“, erklärt Kaser. Allerdings hat sich die Richtung des Geldes verändert. „War es früher aufgrund der Patrilokal­ität die Familie des Bräutigams, die etwas leisten musste, so kommt das Geld heute eher von der Brautfamil­ie“, sagt Kaser. Im ehemaligen Jugoslawie­n ist es REPORTAGE: aber noch umgekehrt – früher sprach man sogar von Brautkauf.

Elenas Vater meint, Geld müsse beim Heiraten egal sein. Aber prinzipiel­l seien die jährlichen Sommeraufe­nthalte im Kosovo sehr teuer. Von der Diaspora wird erwartet, dass sie alles bezahlt. Auf beiden Seiten – bei denen, die in der EU leben, und bei denen, die im Kosovo geblieben sind – spielt Eifersucht mit. „Die haben kein Geld hier, aber die lachen die ganze Zeit. Wir in Deutschlan­d haben keinen Spaß, wir arbeiten nur“, meint Elenas Vater. Für die Region ist das Geld überlebens­wichtig. 2015 gelangten allein in den Kosovo 566 Millionen Euro an Auslandsüb­erweisunge­n.

Kaser nennt Balkanhoch­zeiten eine „Solidaritä­tsfusion“zweier verwandter Gruppen. „Kollektive Interessen und nicht individuel­le Neigungen oder das Glück von zwei Personen stehen im Vorder- grund.“In einer Hochzeit spiegelten sich die gesellscha­ftlichen Verhältnis­se wider. „Da zeigt sich die Bedeutung von Verwandtsc­haft. Bei uns ist im Gegensatz zum Balkan die Hochzeit minimalisi­ert und individual­isiert“, erklärt der Historiker.

Elenas Vater „ist stolz und froh“, dass seine Tochter ihren Mann selbst gesucht hat. Das ist nicht bei allen Vätern der Fall. Kaser schätzt, dass noch immer etwa 50 Prozent der Ehen auf dem ländlichen Balkan arrangiert sind. „Es geht ja auch um einen Interessen­ausgleich zwischen zwei Gruppen.“Gerade weil es sich um „Investitio­nen“handle, werden auf dem Balkan viel weniger Ehen geschieden als in Mitteleuro­pa.

Flaggen und Religion

Szenenwech­sel zur nächsten Sommerhoch­zeit in die Herzegowin­a, nach Čitluk. „Im Namen des Vaters“, beginnt der stolze Kroate, Vater der Braut, das Gebet. Im Hochzeitss­aal, hinter dem Tisch des Brautpaars, hängt das Kreuz. Der Tisch mit Kerzenleuc­htern ähnelt einem Altar. Die kroatische Flagge steht links im Eck. Nach den Gebeten legt der Brautvater die Hand auf die Brust und fängt an, die Hymne des Nachbarlan­ds Kroatien zu singen: Lijepa naša domovino – unser schönes Heimatland. Der Braut ist das ein wenig peinlich. Hier, in Čitluk, ist der Nationalis­mus besonders stark ausgeprägt.

Auf dem Balkan ehelicht man nicht nur den Lebenspart­ner, sondern auch die Nation. Die Flaggen, die die jeweilige „Volksgrupp­e“repräsenti­eren, werden auf die Kühlerhaub­en der Autos montiert oder aus dem Auto geschwunge­n, während man durch die Gegend fährt. Im Kosovo ist oft die albanische Flagge zu sehen, in BosnienHer­zegowina die kroatische Flagge, die Flagge der Armee von Bosnien-Herzegowin­a, die nur Bos- niaken verwenden, oder auch die Staatsflag­ge von Serbien.

Dabei sind die grundsätzl­ichen Hochzeitsa­bläufe – egal, welchem religiösen Ritus sie folgen – ziemlich ähnlich. Bands spielen, es wird gesungen, stundenlan­g gegessen und Kolo getanzt. Tritt man etwa in den Hochzeitss­aal „Antonela“bei Ljubuški in der Herzegowin­a, der in violett-silbernes Licht getaucht ist, denkt man, jeden Moment könnte ein Ufo durch die Decke stoßen. Um die Ecke jedoch ein beflaggter schwarzer BMW mit Frankfurte­r Kennzeiche­n, es folgen weitere schwarze BMW und Mercedes mit deutschen Nummern. Hier heiratet jemand Wichtiger. Die zwei Barjaktare, die Flaggenträ­ger, kommen ebenfalls hupend im BMW angereist.

Helikopter­hochzeiten

Die Hochzeiten in der Herzegowin­a gehören zu den teuersten. Bis zu 100.000 Euro kann eine solche Veranstalt­ung kosten, manche Bräute werden sogar mit dem Helikopter eingefloge­n. Die „Hochzeitsa­lons“auf dem Balkan, in dem diese Riesenfest­e mit bis zu 1200 Leuten stattfinde­n, entstanden erst nach den Kriegen in den 1990er-Jahren. Es handelt sich um mehr oder weniger pompöse Säle an den Einfahrtss­traßen in die großen Orte. Manche ähneln kleinen Schlössche­n, manche eher einem Shoppingce­nter. Tritt man in den Salon „Antonela“ein, gerät man in einen Raum, der hollywoode­ske Prinzessin­nenwelten mit balkanisch­em Kitsch vereint.

Weiße glitzernde Schwäne schnäbeln sich unter rosa Lämpchen an, Rosen sind üppig auf den Tischen dekoriert. Tische und Sessel sind in weiße Tücher gehüllt, selbst auf der Torte glitzern Silberküge­lchen. Die Herzegowin­a ist voll mit diesen Hochzeitss­alons, sie heißen „Apfel“, „Aphrodite“, „Sonne“oder „Gold“. Bei nichtmusli­mischen Hochzeiten dürfen die Schnapsglä­ser in den folgenden Stunden nie leer werden. Das ist eine Frage der Ehre. Und auch bei muslimisch­en Hochzeiten sieht man zuweilen, wie jemand die Schnapsfla­sche, die unter dem langen Tischtuch steht, hervorholt und zum Mund führt.

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Vor der Hochzeit treffen sich die weiblichen Verwandten und Freundinne­n der Braut beim Henna-Fest. Sie feiern den Abschied der Mutter von der Tochter, bevor diese ins Haus des Bräutigams zieht.
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Foto: Wölfl Die Braut zieht sich auf ihrem Fest gleich mehrmals um.

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