Wenn Sport zur Sucht wird
Die Grenze zwischen Fitness und Sportsucht können fließend sein. Bewegung ist zwar gesund, zu viel Ehrgeiz und Besessenheit haben aber durchaus das Potenzial, Körper, Seele und Umfeld krank zu machen.
Wien – Sport ist gesund. Studien liefern immer wieder deutliche Hinweise darauf, dass regelmäßige Bewegung das Risiko für Erkrankungen wie Herzinfarkt, Hirnschlag und sogar Krebs senken kann. Allerdings ist wie so oft auch hier die Dosis entscheidend. Denn immer mehr Sportler übertreiben es. Sie sind sportsüchtig. Studien schätzen vorsichtig, dass rund fünf von 100 Ausdauersportlern wie Joggern oder Radfahrern sportsuchtgefährdet sind. Diese Personen leiden nicht nur psychisch unter ihrer Sucht, sondern schädigen auch ihren Körper.
Die Dunkelziffer dürfte aber um einiges höher liegen. „Das Thema dringt immer mehr ins Bewusstsein, weil es immer mehr Personen betrifft“, sagt der Sportpsychologe Björn Krenn vom Institut für Sportwissenschaften an der Universität Wien. Da Sportsüchtige sich nicht bewusst sind, ein Problem zu haben, sieht man sie auch nicht in der Arztpraxis. „Während die meisten Sportler ein sportliches Ziel haben oder einfach fit sein wollen, dient Sportsüchtigen der Sport lediglich zur Suchtbefriedigung“.
Die Ursachen sind noch nicht eindeutig geklärt. Vermutet wird, dass es weniger das suchttypische Ausschütten von Glückshormonen ist, für das sich Sportsüchtige abrackern. „Forscher gehen derzeit auch davon aus, dass psychische und soziale Komponenten eine wesentliche Rolle spie- len“, erklärt Krenn. Personen mit einem schwachen Selbstwertgefühl verschafft Sport gesellschaftliche Anerkennung. „Sportlich sein gilt als cool und zeitgemäß, man gehört dazu“. Andere haben eine falsche Selbstwahrnehmung, finden sich zu dick, zu unsportlich und wollen das mit extremem Sport kompensieren. Sportsucht tritt daher nicht selten mit Essstörungen auf.
Während Sportler jedoch ihrem Körper Regenerationszeit gönnen, übergehen Sportsüchtige Schmerzen, Krankheit und Erschöpfung. Sportsüchtige lassen sich von Verletzungen nicht beirren und trainieren weiter, gewähren dem Körper keine Erholung. Das Resultat sind chronische und teils irreparable Beschwerden an Gelenken, Knochen, Sehnen und Bändern oder am Herzen, etwa dann, wenn trotz Grippe weitertrainiert wird.
Kein Problembewusstsein
Vor allem Läufer, Radfahrer und Bodybuilder scheinen davon betroffen. Hinzu kommen Schlafstörungen, muskuläre Erschöpfungen, Kopfschmerzen und Appetitlosigkeit. Neben dem Körper leidet auch die Psyche. „Im fortgeschrittenen Stadium setzt dann schon das Aussetzen eines einzelnen Trainings die Betroffenen auf Entzug, sie werden nervös, unruhig, sie können nicht schlafen, werden depressiv, gereizt“, erklärt Krenn. Durch das häufige Sporttreiben werden Freunde und Familie vernachlässigt, Streitigkeiten mit dem Partner nehmen zu.
Sportsucht ist für das soziale Umfeld oft schwer zu erkennen, „da die Symptome vielfältig sind und der Prozess eher schleichend verläuft“, sagt Krenn. Wenn jemand oft verletzt ist, den Sport immer alleine ausübt, nichts mit anderen unternimmt, sich sozial zurückzieht und als einziges Thema nur noch Sport kennt, könnten dies Anzeichen dafür sein. Hilfsangebote von Freunden seien dann wichtig, zum Beispiel gemeinsam Sport zu treiben und die Kontakte wiederaufleben zu lassen. „Ist die Abhängigkeit bereits weit fortgeschritten, kann aber auch mit verschiedenen therapeutischen oder psychologischen Ansätzen versucht werden, eine neue Balance von Sport und anderen Aktivitäten im Alltag zu finden.“