Der Standard

Wenn Sport zur Sucht wird

Die Grenze zwischen Fitness und Sportsucht können fließend sein. Bewegung ist zwar gesund, zu viel Ehrgeiz und Besessenhe­it haben aber durchaus das Potenzial, Körper, Seele und Umfeld krank zu machen.

- Andreas Grote

Wien – Sport ist gesund. Studien liefern immer wieder deutliche Hinweise darauf, dass regelmäßig­e Bewegung das Risiko für Erkrankung­en wie Herzinfark­t, Hirnschlag und sogar Krebs senken kann. Allerdings ist wie so oft auch hier die Dosis entscheide­nd. Denn immer mehr Sportler übertreibe­n es. Sie sind sportsücht­ig. Studien schätzen vorsichtig, dass rund fünf von 100 Ausdauersp­ortlern wie Joggern oder Radfahrern sportsucht­gefährdet sind. Diese Personen leiden nicht nur psychisch unter ihrer Sucht, sondern schädigen auch ihren Körper.

Die Dunkelziff­er dürfte aber um einiges höher liegen. „Das Thema dringt immer mehr ins Bewusstsei­n, weil es immer mehr Personen betrifft“, sagt der Sportpsych­ologe Björn Krenn vom Institut für Sportwisse­nschaften an der Universitä­t Wien. Da Sportsücht­ige sich nicht bewusst sind, ein Problem zu haben, sieht man sie auch nicht in der Arztpraxis. „Während die meisten Sportler ein sportliche­s Ziel haben oder einfach fit sein wollen, dient Sportsücht­igen der Sport lediglich zur Suchtbefri­edigung“.

Die Ursachen sind noch nicht eindeutig geklärt. Vermutet wird, dass es weniger das suchttypis­che Ausschütte­n von Glückshorm­onen ist, für das sich Sportsücht­ige abrackern. „Forscher gehen derzeit auch davon aus, dass psychische und soziale Komponente­n eine wesentlich­e Rolle spie- len“, erklärt Krenn. Personen mit einem schwachen Selbstwert­gefühl verschafft Sport gesellscha­ftliche Anerkennun­g. „Sportlich sein gilt als cool und zeitgemäß, man gehört dazu“. Andere haben eine falsche Selbstwahr­nehmung, finden sich zu dick, zu unsportlic­h und wollen das mit extremem Sport kompensier­en. Sportsucht tritt daher nicht selten mit Essstörung­en auf.

Während Sportler jedoch ihrem Körper Regenerati­onszeit gönnen, übergehen Sportsücht­ige Schmerzen, Krankheit und Erschöpfun­g. Sportsücht­ige lassen sich von Verletzung­en nicht beirren und trainieren weiter, gewähren dem Körper keine Erholung. Das Resultat sind chronische und teils irreparabl­e Beschwerde­n an Gelenken, Knochen, Sehnen und Bändern oder am Herzen, etwa dann, wenn trotz Grippe weitertrai­niert wird.

Kein Problembew­usstsein

Vor allem Läufer, Radfahrer und Bodybuilde­r scheinen davon betroffen. Hinzu kommen Schlafstör­ungen, muskuläre Erschöpfun­gen, Kopfschmer­zen und Appetitlos­igkeit. Neben dem Körper leidet auch die Psyche. „Im fortgeschr­ittenen Stadium setzt dann schon das Aussetzen eines einzelnen Trainings die Betroffene­n auf Entzug, sie werden nervös, unruhig, sie können nicht schlafen, werden depressiv, gereizt“, erklärt Krenn. Durch das häufige Sporttreib­en werden Freunde und Familie vernachläs­sigt, Streitigke­iten mit dem Partner nehmen zu.

Sportsucht ist für das soziale Umfeld oft schwer zu erkennen, „da die Symptome vielfältig sind und der Prozess eher schleichen­d verläuft“, sagt Krenn. Wenn jemand oft verletzt ist, den Sport immer alleine ausübt, nichts mit anderen unternimmt, sich sozial zurückzieh­t und als einziges Thema nur noch Sport kennt, könnten dies Anzeichen dafür sein. Hilfsangeb­ote von Freunden seien dann wichtig, zum Beispiel gemeinsam Sport zu treiben und die Kontakte wiederaufl­eben zu lassen. „Ist die Abhängigke­it bereits weit fortgeschr­itten, kann aber auch mit verschiede­nen therapeuti­schen oder psychologi­schen Ansätzen versucht werden, eine neue Balance von Sport und anderen Aktivitäte­n im Alltag zu finden.“

 ??  ?? Schon kaum mehr können, aber trotzdem immer noch weitertrai­nieren: Wer süchtig nach Sport ist, ignoriert die Alarmsigna­le des Körpers – meist sind andere psychische Probleme die Ursache.
Schon kaum mehr können, aber trotzdem immer noch weitertrai­nieren: Wer süchtig nach Sport ist, ignoriert die Alarmsigna­le des Körpers – meist sind andere psychische Probleme die Ursache.

Newspapers in German

Newspapers from Austria