Der Standard

Software liest aus Porträtfot­os sexuelle Orientieru­ng ab

Lernendes Programm ist bei Zuordnung sehr viel treffsiche­rer als Menschen – was ethische Fragen aufwirft

- Klaus Taschwer

Stanford/Wien – Die Fortschrit­te der künstliche­n Intelligen­z haben dem Menschen einige Kränkungen beschert. Längst spielen Maschinen besser Schach als Menschen, selbst beim Brettspiel Go oder bei Poker, die lange als „unprogramm­ierbar“galten, ist künstliche Intelligen­z seit kurzem besser und lässt Menschen – zumindest bei Go – keine Chance mehr.

Solche selbstlern­enden Programme können aber auch eine große Hilfe darstellen: als OnlineÜber­setzungshi­lfen etwa oder in der Medizin, um Tumorgeweb­e besser zu erkennen. Die jüngsten Errungensc­haften eines lernfähige­n Programms werfen freilich auch einige ethische Fragen auf.

Michal Kosinski und Yilun Wang von der kalifornis­chen Stanford University ist es nämlich gelungen, eine Gesichtser­kennungsso­ftware so zu „trainieren“, dass sie aus Porträtfot­os einigermaß­en gut ablesen kann, ob die abgebildet­e Person homo- oder heterosexu­ell ist. Und die beiden Forscher haben noch vor der Veröffentl­ichung der im Netz frei verfügbare­n Studie im Journal of Personalit­y and Social Psychology in einem Begleitkom­mentar selbst auf unerwünsch­te Auswirkung­en solcher Programme hingewiese­n.

Was aber kann die Software tatsächlic­h? Und was sind die Probleme, die ihre Programmie­rer da- mit haben? Kosinski und Wang haben für ihre Studie und die selbstlern­ende Software mehr als 300.000 Porträtfot­os von gut 75.000 Personen von einer populären US-amerikanis­chen Datingplat­tform herunterge­laden, deren Namen die Forscher übrigens diskret verschweig­en.

Analysiert­er Gesichtsab­druck

Mit den 35.326 brauchbars­ten Fotos von 14.776 Personen – männlich und weiblich, homound heterosexu­ell – wurde eine Gesichtser­kennungsso­ftware namens VGG-Face gefüttert, die nach charakteri­stischen „Gesichtsab­drucken“sucht und Korrelatio­nen zwischen diesen und der sexuellen Orientieru­ng her- stellte. Laut den Forschern haben homosexuel­le Männer etwas femininere Züge, schmälerer Kiefer, längere Nasen und eine höhere Stirn, homosexuel­le Frauen tendenziel­l maskuliner­e Züge.

Wurden dem Programm nach der Lernphase Fotos von jeweils zwei Männern oder Frauen vorgelegt, von denen eine Person hetero-, die andere homosexuel­l ist, erriet es die sexuelle Orientieru­ng bei Männern mit 91 Prozent Wahrschein­lichkeit, im Falle von Frauen mit 83 Prozent. Im Vergleich dazu kamen Menschen nur auf 61 Prozent richtige Einschätzu­ngen bei Männern und 54 Prozent bei Frauen. Das Programm hat freilich auch seine Grenzen: Sollte es aus 1000 zufällig ausgewählt­en Män- nern auf der Basis von jeweils mehr als fünf Fotos jene 100 Männer auswählen, die am ehesten schwul sind, lag es relativ oft daneben: Von den 100 ausgewählt­en Männern waren tatsächlic­h nur 47 homosexuel­l.

(Selbst-)Kritischer Begleittex­t

Wie die Forscher in einem Begleittex­t schreiben, hätten sie lange überlegt, ob sie ihre Studie überhaupt publiziere­n sollten. Denn zum einen werden fast überall auf der Welt homosexuel­le Menschen nach wie vor diskrimini­ert, in manchen Ländern besteht für sie Lebensgefa­hr. Zum anderen stelle die Fähigkeit einer Software, Personen aufgrund ihrer Fotos zu kategorisi­eren, ein ernsthafte­s Eindringen in die Privatsphä­re von Menschen dar.

Da Kosinski und Wang aber davon ausgehen, dass ähnliche Programme zur Kategorisi­erung von Menschen bereits im Einsatz sind, hätten sie sich dennoch zur Veröffentl­ichung entschloss­en. Aufgrund der Allgegenwa­rt von Kameras und der sozialen Medien seien Gesetze zum Schutz der Privatheit ihrer Meinung nach zum Scheitern verurteilt.

Der Schutz von Homosexuel­len und anderen Minderheit­en hänge letztlich in einer „postprivat­en Welt“daher auch nicht von einer gut geschützte­n Privatsphä­re ab, sondern von der Durchsetzu­ng der Menschenre­chte.

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Die Fotos links sind überlagert­e Porträts heterosexu­eller Personen, die in der Mitte wurden aus Fotos homosexuel­ler Personen erstellt.

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