Papierene Massive mit Weitblick
„Heimat und Horror“findet sich nicht nur im Werk Elfriede Jelineks, dem das Literaturhaus Graz ein großes Symposium widmet. Das Herbstprogramm deckt zudem weite Teile der Longlist für den Österreichischen Buchpreis ab. Dazu Ent- und Wiederentdeckungen.
Graz – Dem „Text-Massiv“Die Kinder der Toten von Elfriede Jelinek beizukommen ist die größte Herausforderung, der sich das Literaturhaus Graz diesen Herbst stellt. Mit einem Großaufgebot an hermeneutischen, soziologischen und kulturwissenschaftlichen Bergsteigern sollen Steige gefunden werden. 1995 hat die in Mürzzuschlag geborene Literaturnobelpreisträgerin den 666 Seiten dicken Rammbock wider die österreichische Seele geschrieben, darin Untote aus den saftigen Bergwiesen heraus und in die idyllische Gegenwart der Nation hinein kriechen lassen. Die Pension Alpenrose ist deren Quartier, rasante Bergstraßen und schroffe Schluchten ihr unheilvoller Tummelplatz. Passend der Titel des Veranstaltungsbouquets: Heimat und Horror bei Elfriede Jelinek.
Verdrängte Vergangenheit und literarische Güte nehmen darin vom 19. bis zum 21. Oktober unter anderem die Literaturwissenschafterin Sigrid Löffler („Land der Lamien und Lemuren“), Daniela Strigl („Vom Heimischsein ins Unheimische“) und Fatima Naqvi unter die Lupe.
Letztere unterrichtet an der USamerikanischen Rutgers University und überlegt, warum Jelineks Werk im englischsprachigen Ausland nicht rezipiert wird. Hermann Schlösser beschäftigt sich mit der innerhalb der Nation kontroversiellen Rezeption des Romans, Thomas Ballhausen sucht Verbindungen zu Herk Harveys Film Carnival of Souls, der im Vorfeld auch zu sehen sein wird. Im Anschluss läuft In Ramsau am Dachstein – 1976 von Jelinek für den ORF gedreht.
Daneben warten im Programm kleinere Gipfel. Soeben auf den Longlists für den Österreichischen als auch den Deutschen Buchpreis gelandet, eröffnet etwa Robert Menasse (13. 9.) die Saison im Literaturhaus Graz. Die Hauptstadt heißt sein neuer Roman, der diesen Montag erscheint und Brüssel meint. Die europäische Zentrale hat darin nicht nur an Imageproblemen zu laborieren. Weitere ihrer Sorgen kennt Eva Rossmann, die am 19. September ihren Neuling Patrioten vorstellt: Nationalismus, Terror, Hass.
Um die Liebe dreht sich dagegen alles bei Olga Flor ( Klartraum, 26. 9.), Barbara Frischmuth gibt (28. 9.) Einblick in Entstehung und Sein ihrer zwischen 1986 und 1990 erschienenen Demeter- Trilo- gie, Stefanie Sargnagel (5. 10.) trägt aus ihren Statusmeldungen vor, Egyd Gstättner (24. 10.) aus Wiener Fenstersturz. Lesungen von Paulus Hochgatterer ( Der Tag, an dem mein Großvater ein Held war, 6. 11.), Doron Rabinovici ( Die Außerirdischen, 15. 11.) Florjan Lipuš ( Seelenruhig, 21. 11.) und Gertraud Klemm ( Erbsenzählen, 23.11.) folgen im November, Michael Köhlmeier ( Der Mann, der Verlorenes wiederfindet, 11. 12.) im Dezember. Auch Flor, Hochgatterer und Rabinovici stehen auf der Longlist für den Österreichischen Buchpreis. Oswald Wiener spricht über „Dandysme in der Globalisierung“(5. 12.).
Altbestand und Ehre
Weil nicht nur Neuerscheinungen lesenswert sind, präsentiert das Grazer Literaturhaus papierene Altbestände in zwei eigenen Reihen. „Grundbücher der österreichischen Literatur seit 1945“widmet sich am 12. Oktober mit Vortrag, Lesung und Gespräch Gert Jonkes Es singen die Steine von 1998, gelesen wird das Stück von den Poetry-Slammern Mieze Medusa und Markus Köhle. Robert Menasses Die Vertreibung aus der Hölle (2001) wird am 27. November wiederentdeckt. „Klassiker revisited“seinerseits nimmt sich diesen Herbst Gotthold Ephraim Lessings Toleranzklassiker Nathan der Weise (16. 10.) vor und am 12. Dezember Mein Büchner von Ferdinand Schmatz.
Junge Autoren bietet als Kontrast die „Montagsbühne“(2. 10.). Ins Radio gelangen Julya Rabinowich, Julia Schafferhofer und Klaus Kastberger als Diskutanten mit der Ö1-Büchersendung Literarische Soirée; wer dabei sein will: Aufzeichnung ist am 10. Oktober.
Noch im September steht die Ablöse des aktuellen Grazer Stadtschreibers Najem Wali durch Radka Denemarková an (14. 9.). „Zum einen setzt sie sich mit Problemen des Individuums in der heutigen Gesellschaft auseinander, zum anderen versucht sie, den Blick auf die Vergangenheit von blinden Flecken zu befreien“, so die Jury. Die Verleihung des Franz-NablPreises an den bosnischen Schriftsteller Dževad Karahasan findet am 18. Dezember statt.