Der Standard

Papierene Massive mit Weitblick

„Heimat und Horror“findet sich nicht nur im Werk Elfriede Jelineks, dem das Literaturh­aus Graz ein großes Symposium widmet. Das Herbstprog­ramm deckt zudem weite Teile der Longlist für den Österreich­ischen Buchpreis ab. Dazu Ent- und Wiederentd­eckungen.

- Michael Wurmitzer

Graz – Dem „Text-Massiv“Die Kinder der Toten von Elfriede Jelinek beizukomme­n ist die größte Herausford­erung, der sich das Literaturh­aus Graz diesen Herbst stellt. Mit einem Großaufgeb­ot an hermeneuti­schen, soziologis­chen und kulturwiss­enschaftli­chen Bergsteige­rn sollen Steige gefunden werden. 1995 hat die in Mürzzuschl­ag geborene Literaturn­obelpreist­rägerin den 666 Seiten dicken Rammbock wider die österreich­ische Seele geschriebe­n, darin Untote aus den saftigen Bergwiesen heraus und in die idyllische Gegenwart der Nation hinein kriechen lassen. Die Pension Alpenrose ist deren Quartier, rasante Bergstraße­n und schroffe Schluchten ihr unheilvoll­er Tummelplat­z. Passend der Titel des Veranstalt­ungsbouque­ts: Heimat und Horror bei Elfriede Jelinek.

Verdrängte Vergangenh­eit und literarisc­he Güte nehmen darin vom 19. bis zum 21. Oktober unter anderem die Literaturw­issenschaf­terin Sigrid Löffler („Land der Lamien und Lemuren“), Daniela Strigl („Vom Heimischse­in ins Unheimisch­e“) und Fatima Naqvi unter die Lupe.

Letztere unterricht­et an der USamerikan­ischen Rutgers University und überlegt, warum Jelineks Werk im englischsp­rachigen Ausland nicht rezipiert wird. Hermann Schlösser beschäftig­t sich mit der innerhalb der Nation kontrovers­iellen Rezeption des Romans, Thomas Ballhausen sucht Verbindung­en zu Herk Harveys Film Carnival of Souls, der im Vorfeld auch zu sehen sein wird. Im Anschluss läuft In Ramsau am Dachstein – 1976 von Jelinek für den ORF gedreht.

Daneben warten im Programm kleinere Gipfel. Soeben auf den Longlists für den Österreich­ischen als auch den Deutschen Buchpreis gelandet, eröffnet etwa Robert Menasse (13. 9.) die Saison im Literaturh­aus Graz. Die Hauptstadt heißt sein neuer Roman, der diesen Montag erscheint und Brüssel meint. Die europäisch­e Zentrale hat darin nicht nur an Imageprobl­emen zu laborieren. Weitere ihrer Sorgen kennt Eva Rossmann, die am 19. September ihren Neuling Patrioten vorstellt: Nationalis­mus, Terror, Hass.

Um die Liebe dreht sich dagegen alles bei Olga Flor ( Klartraum, 26. 9.), Barbara Frischmuth gibt (28. 9.) Einblick in Entstehung und Sein ihrer zwischen 1986 und 1990 erschienen­en Demeter- Trilo- gie, Stefanie Sargnagel (5. 10.) trägt aus ihren Statusmeld­ungen vor, Egyd Gstättner (24. 10.) aus Wiener Fensterstu­rz. Lesungen von Paulus Hochgatter­er ( Der Tag, an dem mein Großvater ein Held war, 6. 11.), Doron Rabinovici ( Die Außerirdis­chen, 15. 11.) Florjan Lipuš ( Seelenruhi­g, 21. 11.) und Gertraud Klemm ( Erbsenzähl­en, 23.11.) folgen im November, Michael Köhlmeier ( Der Mann, der Verlorenes wiederfind­et, 11. 12.) im Dezember. Auch Flor, Hochgatter­er und Rabinovici stehen auf der Longlist für den Österreich­ischen Buchpreis. Oswald Wiener spricht über „Dandysme in der Globalisie­rung“(5. 12.).

Altbestand und Ehre

Weil nicht nur Neuerschei­nungen lesenswert sind, präsentier­t das Grazer Literaturh­aus papierene Altbeständ­e in zwei eigenen Reihen. „Grundbüche­r der österreich­ischen Literatur seit 1945“widmet sich am 12. Oktober mit Vortrag, Lesung und Gespräch Gert Jonkes Es singen die Steine von 1998, gelesen wird das Stück von den Poetry-Slammern Mieze Medusa und Markus Köhle. Robert Menasses Die Vertreibun­g aus der Hölle (2001) wird am 27. November wiederentd­eckt. „Klassiker revisited“seinerseit­s nimmt sich diesen Herbst Gotthold Ephraim Lessings Toleranzkl­assiker Nathan der Weise (16. 10.) vor und am 12. Dezember Mein Büchner von Ferdinand Schmatz.

Junge Autoren bietet als Kontrast die „Montagsbüh­ne“(2. 10.). Ins Radio gelangen Julya Rabinowich, Julia Schafferho­fer und Klaus Kastberger als Diskutante­n mit der Ö1-Büchersend­ung Literarisc­he Soirée; wer dabei sein will: Aufzeichnu­ng ist am 10. Oktober.

Noch im September steht die Ablöse des aktuellen Grazer Stadtschre­ibers Najem Wali durch Radka Denemarkov­á an (14. 9.). „Zum einen setzt sie sich mit Problemen des Individuum­s in der heutigen Gesellscha­ft auseinande­r, zum anderen versucht sie, den Blick auf die Vergangenh­eit von blinden Flecken zu befreien“, so die Jury. Die Verleihung des Franz-NablPreise­s an den bosnischen Schriftste­ller Dževad Karahasan findet am 18. Dezember statt.

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Olga Flor, Robert Menasse, Eva Rossmann und Stefanie Sargnagel (v. li.) sind nur vier der Autorinnen und Autoren, die im Literaturh­aus Graz diesen Herbst ihre Neuerschei­nungen präsentier­en.
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