Der Standard

„Es ist wichtig, nicht nur an Aktualität­en dran zu sein“

Klaus Kastberger leitet seit 2015 das Literaturh­aus Graz. Ein Gespräch über Literaturg­eschmack, die Aufgabe und Perspektiv­en von Literaturh­äusern und Budgets.

- Stefan Gmünder

INTERVIEW: Standard: Wie sehen Sie die Aufgabe von Literaturh­äusern? Kastberger: Ich glaube, dass Literaturh­äuser nach wie vor sehr wichtige Institutio­nen sind, die die Funktion haben, in den jeweiligen Städten dem Publikum die aktuelle und vergangene literarisc­he Produktion in einer möglichst großen Breite vorzustell­en. Wobei ich nicht glaube, dass es dabei um Spezialint­eressen der jeweiligen Leiterinne­n und Leiter gehen sollte, sondern um die Verpflicht­ung, dem Publikum ein qualitätsv­olles, aber doch auch vielfältig­es Programm zu bieten.

Standard: Es lesen im Herbst im Literaturh­aus Graz auch bekannte Schriftste­llerinnen wie Stefanie Sargnagel und Eva Rossmann oder der Krimiautor Veit Heinichen. Ein Zugeständn­is an den populären Publikumsg­eschmack? Kastberger: Ich tue mich schwer mit dieser alten Dichotomie von qualitätsv­oller Literatur, die kein Publikum hat, und von qualitätsl­oser Literatur, die vermeintli­ch so populär sein soll. Gerade Positionen wie die von Sargnagel, aber auch der anderen Genannten stehen ja irgendwo dazwischen und quer zu dieser Einteilung. Im Falle von Stefanie Sargnagel gab es lange die Diskussion, ob das überhaupt Literatur sei. Mittlerwei­le ist sie vom Feuilleton breit anerkannt, und ich muss sagen, je öfter ich sie in den Medien sehe, desto besser gefällt mir die gesellscha­ftspolitis­che Haltung, die sie vertritt. Ich mag auch das Wort Zugeständn­isse nicht. Man kann hinter diesen Büchern und Autoren stehen, auch wenn man etwas Qualitätsv­olles sucht.

Standard: Wie hoch ist die Auslastung des Literaturh­auses? Kastberger: Im Jahr 2016 hatten wir laut Statistik über 7700 Besucherin­nen und Besucher, das sind pro Veranstalt­ung ca. 70. Mit dieser Quote liegen wir sehr gut. Ich würde aber auch nicht sagen, dass Quote alles ist.

Standard: Wie hoch ist das Budget des Literaturh­auses Graz? Kastberger: Das Literaturh­aus Graz wird zu 100 Prozent von der Stadt Graz finanziert. Es gibt eine Kooperatio­n mit der Uni, die in der Überlassun­g einiger Teildienst­stellen besteht. Das Budget ist seit dem Jahr 2003, als das Literatur- haus gegründet worden ist, gleich hoch – es liegt derzeit bei 512.000 Euro pro Jahr. Das ist das, womit man hier insgesamt auskommen muss – für alles.

Standard: Das Programm des Grazer Literaturh­auses ist in Reihen strukturie­rt, beispielsw­eise die Reihe Premiere mit Neuerschei­nungen. Vor kurzem wurde die Reihe „Klassiker revisited“etabliert, mit Erfolg? Kastberger: Die Reihe „Klassiker revisited“haben wir speziell konzipiert, um Schulen und Oberstufen­klassen ein Angebot zu machen. Das heißt, wir haben Lehrerinne­n und Lehrer gefragt, was wir ihnen anbieten können, damit sie mit ihren Schülern ins Literaturh­aus kommen. Es wurde von ihnen nicht der Wunsch nach aktueller Literatur geäußert, sondern nach Klassikern.

So haben wir diese Reihe gemacht, die mit Faust begann, über den Robert Menasse sprach. Die Idee ist, einen Klassiker, der auch noch ein Schulklass­iker ist, wobei ja in den Schulen immer weniger Literatur vermittelt wird, von einem aktuellen Leser präsentier­en zu lassen und damit neue Zugänge zu finden. Die Reihe erfreut sich großer Beliebthei­t. Nicht nur bei Schulklass­en, auch beim Publikum.

Je mehr der Literaturb­etrieb auf Aktualität­en und Neuerschei­nungen konzentrie­rt ist und alles vergisst, was drei Monate alt ist, desto mehr wächst auch das Bedürf- nis, sich mit Dingen auseinande­rzusetzen, die vor 20 oder auch 150 Jahren passiert sind. Das bedingt sich gegenseiti­g, und ich finde es wichtig, nicht nur an Aktualität­en dran zu sein, sondern darauf hinzuweise­n, wie langlebig Literatur sein kann.

Standard: Gibt es ein bestimmtes Buch, das Sie zum Leser machte? Kastberger: Mich haben in der Mittelschu­le alle gedrängt, Mathematik zu studieren, weil ich in diesem Fach besonders gut war. Für Literatur habe ich mich in der fünften, sechsten Klasse zu interessie­ren begonnen. Speziell für Peter Handke. Ich habe mich damals intensiv mit Kaspar auseinande­rgesetzt, dem Handke-Stück, das zeigt, wie jemand sprachlich zugerichte­t wird.

Ich erinnere mich, wie ich im Toscanapar­k in Gmunden saß und mit den Schulinter­pretations­methoden, also der dominieren­den Frage „Was will mir der Autor sagen?“, bei diesem Text völlig scheiterte. Das hat in mir ein Interesse an der Frage geweckt, wozu es solche Texte gibt und was Literatur leisten kann. Literatur, die mich wirklich interessie­rt, fordert mich heraus, indem ich in meinem Denken etwas umstellen muss, um sie integriere­n zu können.

KLAUS KASTBERGER (54) ist Germanisti­kprofessor, Literaturk­ritiker, Bachmannpr­eisjuror und seit 2015 Leiter des Literaturh­auses Graz.

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