„Wir brauchen unbedingt Journalismus“
Wer Macht, Einfluss und Geld hat, will Wahrheit nach seiner Vorstellung konstruieren: Medienwissenschafter Siegfried Weischenberg zu Medienkrise, Mateschitz, Presseförderung, Donald Trump und Armin Wolf.
INTERVIEW:
STANDARD: Sie haben gerade ein Buch über „Medienkrieg und Medienkrise“im Springer-Verlag veröffentlicht. Da muss man 2017 wohl mit Donald Trump beginnen. Versuchen wir’s positiv: Ist Trump ein Glücksfall für Medien? Er lügt so unverfroren, dass er Recherche geradezu provoziert, im Gegensatz zu George W. Bush und den angeblichen Massenvernichtungswaffen des Irak. Und Zuschauerzahlen wie Abonnements steigen markant. Weischenberg: Trump ist, so gesehen, jedenfalls ein Glücksfall für die amerikanischen Qualitäts- und Prestigemedien. CNN, New York Times, Washington Post profitieren ökonomisch und journalistisch. Seit sehr langer Zeit gab es nicht so viel Aufmerksamkeit und Stimulation für kritischen Journalismus.
STANDARD: Hätte man vielleicht auch einfacher haben können als mit Trump an der Spitze der USA. Weischenberg: Dort findet gerade ein sehr interessantes Experiment statt, das auch Folgen für Europa haben könnte. Einerseits zur Frage: Können Politiker ohne oder sogar gegen die Medien überleben? Das finden Politiker auch in Deutschland sehr attraktiv. In den USA haben Politiker immer von neuen Medien profitiert. Roosevelt vom Radio, Kennedy vom Fernsehen und Obama vom Internet. Aber sie brauchten immer Unterstützung der Medien. Trump hingegen ist gegen den Widerstand der Medien ins Weiße Haus gekommen.
STANDARD: Ist der Begriff Widerstand nicht zu drastisch? Weischenberg: Wenn ich etwa CNN sehe, frage ich mich: Können und dürfen Medien in bestimmten Fällen den Pfad der objektiven Berichterstattung verlassen, wenn es einer guten Sache dient? CNNModeratoren wie Wolf Blitzer oder Christiane Amanpour und viele mehr orientieren sich derzeit jedenfalls nicht strikt daran. Man kann fast sagen, die haben das Projekt, nicht nur Donald Trumps Lügen offenzulegen, sondern ihn als Präsident loszuwerden. Das unterscheidet sich von klassischem Nachrichtenjournalismus.
STANDARD: Aufdecken von Unwahrheiten, etwa von Politikern, ist eine Grundfunktion von Journalismus. Weischenberg: Mir geht es um die klassische Trennung von Nachricht und Kommentierung. Diese Trennung wird etwa bei CNN im Moment nicht so genau genommen, weil man es für eine gute Sache hält, Trump schon in der Berichterstattung Schranken aufzuzeigen. Ich sehe gelegentlich die Interviews von Armin Wolf in der ZiB 2. Ich finde seine Interviewtechnik interessant. Er fragt sehr hartnäckig nach. Das ist nach meiner Beobachtung bei Politikern im deutschen Fernsehjournalismus fast unüblich. Außenminister Sigmar Gabriel reagiert regelrecht pampig, wenn in Interviews nachgefasst wird. Mir scheint: Bei Armin Wolf haben sich österreichische Politiker schon daran gewöhnt, dass er nachfragt.
STANDARD: Gibt es objektive Berichterstattung, wie sie viele Menschen von Medien fordern? Weischenberg: Man muss mit Wahrheit und solch absoluten Begriffen in Zusammenhang mit Journalismus sehr vorsichtig sein. Viele verstehen darunter wahrscheinlich eine Berichterstattung, die mit ihrer jeweiligen Meinung korrespondiert. Das ist letztlich ein Wahrnehmungsproblem. Medien nehmen nicht anders wahr als Menschen und Gruppen. Sie operieren da mit blinden Flecken und Unterscheidungen. Und es entsteht in der Berichterstattung etwas Neues, eine Medienrealität. Journalismus korrespondiert mit Neuem, mit Aktuellem. Und eigentlich funktioniert das ja auch, bei aller Kritik. STANDARD: Red-Bull-Chef Dietrich Mateschitz gründet gerade mit einigen angesehenen Journalisten eine Medienplattform, die „näher an die Wahrheit kommen soll, als das traditionelle Medien können“.
Das hört sich für mich so an, als wollte er näher an seine Wahrheit herankommen. Für viele, die Macht, Einfluss und Geld haben, ist es sehr attraktiv, dass sie eine Wahrheit konstruieren, die ihren eigenen Vorstellungen entspricht. Leute, die Geld und Macht haben, wollen natürlich gerne, dass ihre Wirklichkeitskonstruktionen durchgesetzt werden. Prinzipiell sind die nicht näher an der Wirklichkeit als andere. Entscheidend ist für mich Vielfalt. Ein ganz wesentlicher Faktor auf dem Medienmarkt ist, dass es ganz unterschiedliche Perspektiven gibt und dass man auswählen kann. Wenn man das nicht kann, hat man ein Problem.
Standard: Sie regen in Ihrem jüngsten Buch auch an, über Presse- oder Medienförderungen nachzudenken. In Österreich gibt es direkte staatliche Presseförderung. Der Medienminister will die Höhe der Förderung an der Zahl der angestellten Journalisten bemessen. Das würde die Höchstförderung für profitable Massentitel wie „Krone“oder „Kleine Zeitung“bedeuten und auch Gratiszeitungen fördern.
Ob man nach dem Matthäus-Prinzip – Wer hat, dem wird gegeben werden – gerade der Kronen Zeitung noch mehr in den Rachen werfen soll, das ist natürlich diskutabel. Aber ich denke, es gibt Lösungen. Die müssen möglichst politikfern sein. Und ich würde mir wünschen, dass es einen Qualitätsmaßstab gibt – so schwierig der zu definieren ist.
Armin Wolf fragt sehr hartnäckig nach. Das ist bei Politikern im deutschen Fernsehjournalismus fast unüblich.
STANDARD: Braucht man überhaupt noch Journalismus, fragen Sie in Ihrem Untertitel. Ihre Antwort?
Wir brauchen unbedingt Journalismus. Aber wir müssen uns um dessen Qualität intensiver kümmern, als wir das in der Vergangenheit getan haben. Das betrifft die Ausbildung, das betrifft eine stärkere ökonomische Absicherung des Journalismus.
69), Kommunikationswissenschafter und Publizist, lehrte und forschte etwa an den Unis Münster, Leipzig, Hamburg, wo er Institutsdirektor war. 2013 emeritiert. pÜber Kritikfähigkeit, Gaukler, Ge
schäftsleute: derStandard.at/Etat