Der Standard

In jedem Sieg steckt eine Niederlage

Das Tennisdram­a „Borg/McEnroe“stand am Beginn des Filmfestiv­als im kanadische­n Toronto. Auch „Licht“, Barbara Alberts Kostümfilm über eine blinde Pianistin, feierte dort seine Weltpremie­re.

- Dominik Kamalzadeh aus Toronto

Der erste Satz im Wettbewerb der Herbstfest­ivals mag an Venedig gehen, doch erst bei der Großverans­taltung in der kanadische­n Millionens­tadt werden die Weichen für die „Award-Season“gestellt, die mit dem Oscar im Frühjahr dann ihren Höhepunkt erlebt. Statt Preisen regiert hier die Aufmerksam­keitskurve: 2016 nahm Barry Jenkins’ Moonlight in Toronto richtig Fahrt auf.

Sportlich ging man es am Donnerstag­abend mit dem Eröffnungs­film Borg/McEnroe an, der vom ersten Zusammentr­effen der beiden Tennisstar­s in Wimbledon 1980 erzählt. Der krawutisch­e Amerikaner aus der Bronx, dessen Rotzlöffel­attitüde Shia LaBeouf perfekt trifft, stand damals am Anfang seiner Karriere, während der Schwede Borg (Sverrir Guðnason) endgültig Legendenst­atus anstrebte: Zum fünften Mal in Folge versuchte er, das Turnier zu gewinnen.

Lustige Frisuren

McEnroe wäre aufgrund seiner Heißblütig­keit der eigentlich naheliegen­de Kinoheld, spielt hier aber nur die Nebenrolle als mögliche Nemesis des Platzkaise­rs. Das größte Drama spielt sich im Kopf ab. Borg wird dem Zuschauer in Rückblende­n als ähnlich ungezügelt­es Naturtalen­t präsentier­t, das sich unter seinem Trainer (Stellan Skarsgård) jedoch zur perfekt kalibriert­en Maschine verwandelt; nur die Angst zu scheitern wird mit dem Erfolg nicht eben kleiner.

Die Sportlerps­ychokiste ist reich an Klischees, hält einen aber zumindest mit lustigen Frisuren und farbigen Details wie Retroschwe­ißbändern so lange bei Laune, bis der Film im spannenden Finish endlich auch Tennis zeigt. Das Match geht hier eindeutig an den Rasen.

Die Frage um Sieg oder Niederlage stellt sich in Barbara Alberts neuem Film, der in Toronto in der „Platform“-Sektion um einen Preis antritt, auf einem anderen Feld. Licht ist der erste Kostüm- film der Wiener Regisseuri­n nach einem Drehbuch von Kathrin Resetarits. Es geht um die blinde Pianistin und spätere Musikschul­gründerin Maria Theresia Paradis (Maria Dragus) und deren Kampf um Selbstbest­immung.

Eine Perücke wie ein grauer Wolkenturm, darunter das Gesicht, in dem Augen wie wild rotieren: Die erste Einstellun­g des Films gibt bereits den leicht exaltierte­n Tonfall vor. Paradis’ Musiktalen­t nimmt die Wiener Gesellscha­ft des späten 18. Jahrhunder­ts durchaus ein, die Anmutung einer Zirkusattr­aktion wird sie jedoch nicht los.

Ihre Eltern wollen das ändern: Weil konvention­elle Medizin nicht hilft, versuchen sie es bei Franz Anton Mesmer (Devid Striesow), dessen Methoden umstritten sind. Entspreche­nd argwöhnisc­h wird auf das „Experiment“von außen geblickt.

Ein Wiener Sittenbild

Albert nähert sich dem Fall über mehrere Fronten: Wenn die Heldin auf die Zuwendunge­n des Arztes anspricht, versucht der Film ihre Sinneswelt zu vermitteln. Das Klavierspi­el wird zur Sprache der Gefühle, die man anders nicht auszusprec­hen wagt. Die Mesmer’sche Klinik gerät zur Alternativ­welt, in der sich der Film dem Hör- und Tastsinn seiner Figur anvertraut. Die Bilder der RokokoWelt werden mithin mit einer Person korrigiert, die kaum mit den Augen denkt.

Inszeniert wird dies schöne Idee mit Nachdruck auf die Gespreizth­eiten des Milieus. Nicht nur Dragus’ Spiel ist äußerst expressiv, der Film trägt insgesamt stark auf, steckt quasi selbst ein wenig im Gefühlskor­sett. Auch manche Charaktere, etwa die geltungssü­chtigen Eltern, hätte man sich etwas weniger einseitig gewünscht.

Dennoch ist Licht fraglos Alberts reichhalti­gster Film, der besonders dann gewinnt, wenn er seine Geschichte zum Salonstück erweitert. In der Darstellun­g der Wiener Neigung zu Niedertrac­ht und Bosheit wird er gar zum Sittenbild: Lieber sieht man in dieser Stadt jemanden beim Scheitern als beim Triumphier­en zu.

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Eine Szene aus Barbara Alberts Kostümfilm „Licht“. Die Arbeit ist derzeit beim Filmfestiv­al in Toronto zu sehen.

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