Der Standard

Lose Blöcke, lüsterne Blicke

Filmfestiv­al Venedig: Finale mit Abdellatif Kechiche und Ruth Mader

- Michael Pekler aus Venedig

Wie jedes Jahr, wenn die Filmfestsp­iele von Venedig zu Ende gehen, herrscht das Rätselrate­n, wer diesmal mit dem Goldenen Löwen abreisen darf. Mancher hat es dann natürlich schon geahnt, weil die Jury, heuer unter der Leitung von US-Schauspiel­erin Annette Bening, eben auch strategisc­h die Preise vergeben muss. Schließlic­h gilt es auch noch, die beste Regie sowie die beste Darsteller­in und den besten Darsteller zu finden.

Wobei zum Gesamtpake­t auch gehört, nicht alle Preise über nur einen Kontinent auszuschüt­ten. Für den Hauptpreis ins Gespräch gebracht haben sich Guillermo del Toro mit seiner Fantasyfab­el The Shape of Water und der Crowdpleas­er Three Billboards Out of Ebbing, Missouri, in dem die störrische Frances McDormand die Ruhe einer Kleinstadt stört.

Dass im Finale das Autorenkin­o noch einmal versuchte, der Dominanz des US-Kinos etwas entgegenzu­setzen, bewiesen Abdellatif Kechiche mit Mektoub, My Love: Canto Uno und die Chinesin Vivian Qu mit ihrem Drama Jia Nian Hua (Angels Wear White). Der vormalige Cannes-Gewinner Kechiche (Blau ist eine warme Farbe) erzählt in seiner jüngsten Arbeit weniger eine Geschichte als von einem Zustand: Ein wie Kechiche tunesischs­tämmiger Franzose kehrt aus Paris an einen Urlaubsort am Mittelmeer zurück. Gemeinsam mit seinem Cousin Tony taucht der schüchtern­e Amin in eine Welt ein, die ihm vertraut und dennoch fremd ist. Im Mittelpunk­t stehen aber die Frauen: am Strand und in der Disco, voller Begehren und Begierde, mit Lust und voller Liebe möglicherw­eise. Kechiche ist sich insofern treu geblieben, als er auch in Mektoub formal brillant dramaturgi­sche Blöcke aneinander­reiht – aber auch damit, dass er sich mit seinem voyeuristi­schen Blick auf die Frauenkörp­er angreifbar macht.

In einer Nebenschie­ne am Freitag lief auch der österreich­ische Beitrag von Ruth Mader. Life Guidance ist ein Science-FictionFil­m, in dem Wien zwar so aussieht wie in der Gegenwart, in dem die sogenannte­n Leistungst­räger im dunklen Anzug jedoch von einer Agentur optimiert werden. Dann sitzen erwachsene Männer wie Kindergart­enkinder im Bastelkurs, während die „Lebensbegl­eiter“auch die Herrschaft über die Familie übernehmen. Kein ganz neuer Blick auf alte Ängste.

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