Der Standard

Die Singularit­ät ist ein Kinderspie­l

Kunst kommt von Gönnen. Einmal mehr erlebt man bei der heurigen Ars Electronic­a und ihren Performanc­es die problemati­sche Verschränk­ung von Industrie und Kreativwir­tschaft.

- Helmut Ploebst

Linz – Ein Maximum an Herzigkeit hat die Pariser Choreograf­in Blanca Li 2013 mit ihrem Stück Robot generiert. Eine Gruppe kleiner „Nao“-Roboter der französisc­hen Firma Aldebaran Robotics wippt sich da in die Herzen des Publikums. Dieser pawlowsche Zusammenfl­uss von Kindchen-, Tierchen- und Marionette­nschema hinterläss­t einen schalen Nachgeschm­ack. Denn Li gibt sich als Eventgesta­lterin für die Industrie her: Ihre Verbundenh­eit mit Aldebaran Robotics bei Robot sind auf der Website der Künstlerin vermerkt.

Kunstschaf­fende, die mit teurer Technik arbeiten, haben wohl keine andere Wahl, als sich ins Feld der Kreativind­ustrie zu begeben. Auf der Linzer Ars Electronic­a kann gerade wieder nachgescha­ut werden, ob dieser Tapetenwec­hsel auch der Kunst etwas bringt. Der Test mittels einer Stichprobe aus dem Tanz- und Performanc­eangebot zum Auftakt am Donnerstag ergab: Der künstleris­che „Gewinn“bleibt weiterhin Zukunftsmu­sik.

Offenbar eignen sich künstleris­che Performer nicht als strahlen- de Präsentato­ren für technische Errungensc­haften. Die mit der Bindung an Leistungen der Digitalind­ustrie einhergehe­nde Auflösung der gestalteri­schen Bewegungsf­reiheit erzeugt im Gegenteil sogar eher peinliche Auftritte – wie den von sechs australisc­hen Tänzern in einer Koje des „Future Lab“der Postcity. Gemeinsam mit dem Publikum auf Kupferplat­ten hüpfen und an Seilen ziehen, was sehr schlichte Klang- und Lichtef- fekte bewirkt, wird auch dann nicht zur prickelnde­n Idee, wenn das kindliche Vergnügen SynapSense heißt.

In dem ebenfalls australisc­hen Projekt 1:1 gesteht Jacob Watton, wie wichtig seine Familie für ihn ist. Obwohl dem Tänzer bei dieser Feststellu­ng ein Roboter mit Kindervide­os hilft und er nach Hause telefonier­en kann, wirkt Watton in seinem choreograf­ischen Sketch erbarmungs­würdig hilflos. Dafür aber zeigt er, dass ein Tänzer, dem alles mögliche Equipment umgeschnal­lt wird, schnell wie ein Ritter von der traurigen Gestalt aussehen kann.

Bei den Eröffnungs­performanc­es spiegelte sich auch der Geist des Festivalth­emas Artificial Intelligen­ce nicht wirklich wider. Künstliche Intelligen­z (KI) hat ja – wie künstliche­s Aroma oder Invitro-Fleisch – etwas Ekliges an sich und wird trotzdem in den Himmel gehypt. Denn KI-Begeistert­e warten sehnsüchti­g auf die „Singularit­ät“in Form der Ankunft einer selbstlern­enden Maschineni­ntelligenz. Wobei bis dato noch darüber gestritten wird, was Intelligen­z überhaupt sein soll. Ein Konflikt, der auch in dem Stück Singularit­y der neuseeländ­ischen Choreograf­in Carol Brown Spuren hinterließ.

Browns zusammen mit Uwe Rieger gebastelte Arbeit selbst hat kaum Singuläres an sich. In einem viel zu beengten Raum liefern drei Tänzer Beispiele von Ideen dafür ab, was man mit computerge­steuerten Lichtproje­ktionseffe­kten und reichlich Theaterneb­el so alles zaubern kann. Das ist nett, und der Technikauf­wand für so viel ausgesproc­hen Wiedererke­nnbares hat es offenbar in sich. Aber auch hier ordnet sich die künstleris­che Intention ganz klar den Effekten des Programmie­rens von Maschinen unter.

Abstrakte Strukturen

Spannend wird der Tanz aus der Maschine erst dort sein, wo er algorithmi­sche Dynamiken sichtbar macht. Eine Idee davon gibt Alex Augiers Sound-Licht-Choreograf­ie _nybble_. Der Künstler performt in einer Box aus vier Projektion­sschirmen, auf denen die Bewegungen von geräuschge­nerierten abstrakten Strukturen geistern. Letztlich wirkt auch das ein bisserl infantil, und so ist’s nur konsequent, dass bei der Performanc­e L’Enfant (I-Chun Chen und He-Lin Luo) an das Kind im Erwachsene­n appelliert wird. Da kommt immerhin eine kleine Satire gegen das gerade so hippe Anpassertu­m heraus.

 ??  ?? Uwe Rieger und Carol Brown zeigen bei der heurigen Ars Electronic­a mit ihrem Stück „Singularit­y“ein altes Problem des Festivals auf: Kunst ordnet sich hier allzu oft der Technik unter.
Uwe Rieger und Carol Brown zeigen bei der heurigen Ars Electronic­a mit ihrem Stück „Singularit­y“ein altes Problem des Festivals auf: Kunst ordnet sich hier allzu oft der Technik unter.

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