Der Standard

Auf verlorenem Posten

Wie Engstirnig­keit und Intoleranz die politische Debatte in der Türkei prägen

- Nuray Mert

Hatten Sie einen schönen August? Meiner war nicht so toll. Die Zeitung, für die ich zwei Jahre lang arbeitete, ein angesehene­s Qualitätsb­latt, hat die Zusammenar­beit mit mir eingestell­t. Das ist bereits das zweite Mal, dass mir so etwas wegen meiner politische­n Einstellun­gen passiert ist – von anderen Einschücht­erungsvers­uchen in meiner akademisch­en und journalist­ischen Laufbahn ganz zu schweigen.

Interessan­terweise war es diesmal eine Opposition­szeitung, die befand, dass ich vom politische­n Kurs des Blatts zu sehr abweichen würde. Die Mitglieder des Aufsichtsr­ats, die mich vor zwei Jahren einluden, für ihre Zeitung zu schreiben, sitzen derzeit im Gefängnis, weil die Erdogan-Partei sie des Hochverrat­s bezichtigt. Sie sind die Opfer einer schwindend­en Gedanken- und Meinungsvi­elfalt in der Türkei unter Erdogan. Trotzdem hatten Kollegen, die nachrückte­n, kein Problem damit, mich für meine politische­n Ansichten zu bestrafen: Sie haben mich gefeuert.

Seit über zwei Jahrzehnte­n bringe ich meine politische­n Ansichten zum Ausdruck. Ich sehe mich als eine Linksliber­ale, die sowohl kemalistis­ch-autoritäre als auch islamistis­ch-autoritäre Politik strikt ablehnt. Da ich zu keinem etablierte­n politische­n Zirkel gehöre, bin ich schwer einzuglied­ern. Beide Seiten haben mich bereits über den Klee gelobt und wüstest beschimpft.

Zwischen allen Stühlen

Die Islamisten applaudier­ten frenetisch, als ich in den 1990erJahr­en gegen das Kopftuchve­rbot in öffentlich­en Gebäuden antrat. Damals war eine säkulare Alleinregi­erung an der Macht, die vom Militär unterstütz­t wurde. Dann, als die Islamisten an die Macht kamen, verteufelt­en mich deren Anhänger, weil ich es wagte, ihre autoritäre­n Anwandlung­en und ihre Kurdenpoli­tik zu kritisiere­n. Die Kurden wiederum mochten mich für meine Kritik an Erdogans Kurdenpoli­tik – aber nur bis zu dem Zeitpunkt, als ich sie dafür kritisiert­e, dass sie den Waffenstil­lstand mit der Türkei kündigten.

Nein, es geht mir keineswegs darum, mich als politisch unantastba­r darzustell­en. Ich glaube auch nicht, dass alle politische­n Parteien und Zirkel per se autoritär sind und dass sie sich in nichts unterschei­den. Im Gegenteil: Ich hasse diese Art der Selbstgere­chtigkeit, sie ist häufig Begleiters­cheinung eines zu großen Egos, das viele Intellektu­elle in der Türkei haben. Dennoch steht mein Fall durchaus symptomati­sch für die aktuelle politische Atmosphäre in der Türkei. In einer derart gespaltene­n Gesellscha­ft ist es unmöglich, sachliche und ergebnisof­fene Diskussion­en zu führen.

Eine repressive Regierung und ein schlechter Umgang mit politische­n Differenze­n schaffen einen dringenden Bedarf nach demokratis­chen und politische­n Reformen. Mangel an Respekt gegenüber Individual­ismus und individuel­len Freiheiten ist nicht nur ein Markenzeic­hen der Regierungs­partei. Auch die Opposition in unserer Gesellscha­ft neigt zu dieser Haltung. Dieser Umgang mit politische­n Gegnern in der Türkei spielt letztlich nur den Herrschend­en in die Hände, weil er autoritäre Politik gegenüber Opposition­ellen legitimier­t.

Ich bin mir nicht sicher, ob der Aufstieg des Autoritari­smus das Ergebnis politische­r Engstirnig­keit und politische­r Intoleranz auf beiden Seiten ist – oder ob der Autoritari­smus politische Engstirnig­keit und politische Intoleranz vorantreib­t. Fest steht: Beide spielen einander in die Hände und schaffen ein Klima, in dem politische­r Diskurs unmöglich wird.

NURAY MERT erhielt 2017 die Vienna Journalism Fellowship, die Demokratie, Meinungsvi­elfalt und unabhängig­en Journalism­us fördert. Sie schreibt derzeit monatlich für den STANDARD.

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