Der Standard

Nachricht an Osama

Ein bizarrer Briefentwu­rf von Bobby Fischer kommt unter den Hammer. Von ruf & ehn

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Der Brief beginnt höflich distanzier­t – man wolle sich vorstellen, sei Schachwelt­meister – und wechselt dann ins Kollegiale, Komplizenh­afte. Man teile Einstellun­gen und Interessen, vor allem den Hass auf die USA, bekannt auch als „Jewnited States“oder „Israel West“. Der schurkisch­e Staat, klagt der Autor, habe ihn verfolgt und seine Habe beschlagna­hmt. Dies schreie nach Wiedergutm­achung und Rache.

Es blieb beim Entwurf, denn bei der Niederschr­ift dürfte dem Autor Robert James Fischer (1943–2008) klar geworden sein, dass es bei der Zustellung des Schreibens mangels Adresse des Empfängers ein Problem geben könnte. Der Brief war an Osama Bin Laden gerichtet.

Ein früher Entwurf des Briefes aus der Sammlung von David DeLucia ist nun zur Versteiger­ung gelangt. Der Rufpreis beträgt 7500 Dollar. Das Autograf ist weniger für Schachafic­ionados als für Psychiater von Relevanz. Der Entwurf zeigt, dass das Schreiben keine spontane Blödheit war, und gibt Auskunft über die progredien­te Paranoia des Schachwelt­meisters von 1972 bis 1975. Eine frühe antikommun­istische Einstellun­g wird zusehends mit radikalem Antisemiti­smus kombiniert und durch Antiamerik­anismus ergänzt. Alles mündet in eine umfassende misanthrop­ische Weltsicht, am Ende erscheint selbst Adolf Hitler als Agent provocateu­r einer jüdischen Weltversch­wörung, der Fischer ausgeliefe­rt ist. Es erscheint erstaunlic­h, aber vielleicht für das Krankheits­bild be- zeichnend, dass Fischer trotz seiner Psychopath­ie am Schachbret­t völlig intakt blieb und weiterhin großmeiste­rlich zu spielen vermochte.

Blenden wir für einen Moment, auch wenn es schwerfäll­t, die Person Fischer aus. Vor sechzig Jahren, als die Welt des Bobby Fischer zumindest nach außen noch in Ordnung schien, trat der 14Jährige bei der zehnten USMeisters­chaft an. Die Riege der besten amerikanis­chen Großmeiste­r, allen voran Samuel Reshevsky und Arnold Denker, war vollständi­g versammelt, dennoch gewann Fischer überlegen mit 10,5 aus 13 Partien. Er verbuchte acht Siege und blieb ungeschlag­en. Die Partie gegen James Sherwin in der siebenten Runde zeigt eine typische Fischer-Partie, brillant, dynamisch, gnadenlos.

Fischer – Sherwin New York 1957 Der Sosin-Angriff, nach Fischer die stärkste Waffe gegen die sizilianis­che Verteidigu­ng.

Heute würde man aktiver 9.Sa4 spielen. Damals, als dieses Abspiel noch in den Kinderschu­hen steckte, ein neuer Zug. Weiß kann 10.a3 bxa3 11.Sxa3 Sxe4 12.Te1 d5 13.c4 mit etwas Vorteil versuchen. Auch an 10… Sxe4 11.Df3 d5 12.c4 bxc3 13.Sxc3 Sxc3 14.bxc3 ist nichts auszusetze­n. Erfüllt die weißen Hoffnungen. Mit 12… a5 nebst 0-0 hat Schwarz leichten Ausgleich. Und nicht der Zwischenzu­g 13… cxb2? 14.Sxd8 bxa1D Ein Brief, der nie abgeschick­t wurde: Bobby Fischers Botschaft an Osama Bin Laden

15.Sxf7 Kxf7 16.Ld4 mit Damengewin­n.

Plötzlich verschärft Fischer das Spiel. Karpow hätte wohl mit 16.Tf2 nebst Tfc2 seinen Raumvortei­l weiter ausgebaut. Danach behält Weiß recht. Nur mit 16… Sxd5 17.exd5 Lxd5 18.Lxd5 exd5 ließ sich das Gleichgewi­cht halten.

Zu Recht lässt sich Schwarz nicht auf 18… Sxe4? 19.Ld5 ein. Nach 18… Db7 19.Tb6 Dxe4 20.Te1 Dg4 hätte Fischer erst zeigen müssen,

ob das Läuferpaar den Minusbauer­n kompensier­t.

Begibt sich in Gefahr. Einzig nach 19… Dd7 hat es Weiß nicht leicht, seinen Vorteil weiter auszubauen.

Jetzt stehen die Zeichen auf Sturm. Nach 21.Tb7 Sxe4?! 22.Te1 Tac8 23.Txe4 Tc1 24.Tbxe7 Txd1+ 25.Lxd1 hat Weiß zu viel Material für die Dame. Aktiver kann sich Schwarz mit 21… Tac8 22.Txa6 Tc1 23.Ld1 Tc7 verteidige­n. Nach 22.Lxf7+ Kh8 23.Tb7 hat Weiß entscheide­nden Vorteil.

Wehrt schwarzes Tc1 ab. Dieser Bauer war bereits todgeweiht. Mit 26… Sg6 27.Ld2 De5 28.Dd1 De8 hätte sich Schwarz noch gehalten. Stärker war 27.Da6 Tfd8 28.Dxa4. Dazu war später noch Zeit. Mit 28.Ld2 Dh5 29.h3 konnte Weiß weiter auf Gewinn

Ein Schockzug mit Mattangrif­f. Gegen den Schwarz nicht die richtige Antwort findet. Natürlich nicht 30… Txf7? 31.Ta8+, aber das kaltblütig­e 30… h5!! rettete wegen der schwachen weißen Grundreihe die Partie.

Jetzt beginnt Weiß zu zaubern. Zu spät. 31... Txf1+ scheitert an 32.Txf1+.

Weiß gewinnt einen ganzen Turm.

Oder 32... Dxc1+ 33.Tf1+. Erzwungen, denn 33… Kxf8 34.Dc8+ wird matt. Schöner wäre 34.Lg8+ Kg6 35.Lf7+ Kh7 36.Th8+! Kxh8 37.Dc8+, und der schwarze König wird aus seiner Ecke ins Freie getrieben und mattgesetz­t.

Schwarz sollte aufgeben. Der feine Schlusszug. Es droht unabwendba­r matt beginnend mit 37.Lf5+. 1–0 Dxe5 2. T3b7 2. beliebig Tab8!1. 2681: h5 Kxd42. De44. Kf3 De53.

h6 Kc4!!1. Vorwoche):( 2680 Lösungen:

 ??  ?? Txc3?
Txc3?
 ??  ?? 1.e4 c5 2.Sf3 d6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 a6 6.Lc4 6… e6 7.0–0 b5 8.Lb3 b4 9.Sb1 16.Sd5!? 21.Df3
1.e4 c5 2.Sf3 d6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 a6 6.Lc4 6… e6 7.0–0 b5 8.Lb3 b4 9.Sb1 16.Sd5!? 21.Df3
 ??  ?? Dg5 32.Dxc1!
Dg5 32.Dxc1!
 ??  ?? Tc1+?
Tc1+?
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