Der Standard

Bewährungs­proben für Mays „paralysier­te Regierung“

Harter Brexit-Kurs auf dem Prüfstand des Parlaments – Zehntausen­de demonstrie­ren für EU-Verbleib

- Sebastian Borger aus London

Viermal tagt das Unterhaus, ehe es wegen der Jahrestref­fen aller großen Parteien schon wieder eine dreiwöchig­e Pause einlegt. Gleich zu Beginn dieser Woche hat Theresa Mays schlingern­de Minderheit­sregierung zwei harte Bewährungs­proben vor sich. Und natürlich geht es um den harten BrexitKurs der Konservati­ven, gegen den am Samstag mindestens 50.000 EU-Freunde in London demonstrie­rten.

Mit neuen Vorschläge­n zur Begrenzung der Einwanderu­ng hat sich Expremier Tony Blair zu Wort gemeldet, er warnt gleichzeit­ig aber eindringli­ch vor dem Brexit: „Er würde unsere Stellung in der Welt untergrabe­n.“

Heute, Montag, soll das Parlament in zweiter Lesung über das EU-Austrittsg­esetz abstimmen. Die Regierungs­vorlage sorgt dafür, dass sämtliche seit dem EWG-Beitritt 1973 geltenden Brüsseler Vorschrift­en und Direktiven am Austrittst­ag im März 2019 zu britischem Recht werden. Erst dann soll nach und nach jede einzelne der rund 12.000 Gesetzesre­geln daraufhin überprüft werden, ob sie einer Anpassung auf rein britische Verhältnis­se bedarf. Wer seiner Vorlage nicht zustimme, warnt Brexit-Minister David Davis, „ebnet den Weg für einen chaotische­n EU-Austritt“.

Das richtet sich gegen eine Handvoll Rebellen in den eigenen Reihen, vor allem aber gegen die Labour-Opposition. Davis’ Gegenspiel­er dort, Keir Starmer, hat seine Fraktion auf die Ablehnung des „vollkommen fehlerhaft­en“Gesetzes festgelegt. Die Empörung richtet sich vor allem gegen einen Passus, mit dem der Regierung die Vollmacht eingeräumt würde, Einzelheit­en ohne Beteiligun­g des Parlaments zu verändern.

Kritik aus eigenen Reihen

Diese sogenannte HeinrichVI­II.-Klausel, benannt nach dem despotisch­en Tudor-Monarchen (1509–1547), sollte „kein souveränes Parlament der Welt“zulassen, glaubt der frühere Tory-Generalsta­atsanwalt Dominic Grieve, in- tellektuel­ler Kopf des kleinen Häufleins von EU-Freunden bei den Konservati­ven. Dass sie gegen ihre Regierung stimmen werden, gilt aber als unwahrsche­inlich.

So dürfte das Gesetz in die Ausschüsse überwiesen werden. Deren Besetzung ist am Dienstag Gegenstand einer weiteren Parlaments­abstimmung. Eine Handvoll fanatische­r EU-Feinde in der Labour-Fraktion werden die weni- gen konservati­ven Rebellen wohl neutralisi­eren.

Der Eindruck einer dauernd auf der Kippe stehenden, schwachen Regierung bleibt bestehen. In Umfragen liegen die Konservati­ven seit Wochen hinter Jeremy Corbyns Labour-Partei zurück. Und zuletzt verloren sie eine Reihe von Nachwahlen zu Kommunalve­rtretungen – in der Anhäufung ein wichtiger Stimmungsi­ndikator. Sogar konservati­ve Medien machen aus ihrer Unzufriede­nheit kein Hehl. Die Downing Street wirke „paralysier­t“, schrieb der Leitartikl­er der Times, weil selbst kleinste Rebellengr­üppchen die Vorhaben der Regierung zu Fall bringen könnten. Der Brexit-Streit schwäche das Kabinett so sehr, dass andere Themen keine Rolle spielten.

May wirke entscheidu­ngsschwach und taub für die Bedürfniss­e der Wirtschaft, glauben selbst langjährig­e Parteispen­der der Torys. Dass in der Partei ein reaktionär­er Exzentrike­r wie Jacob Rees-Mogg als möglicher Vorsitzend­er gehandelt wird, ist ein Ausdruck von Mays Schwäche.

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Foto: AP / John Stillwell Die Brexit-Gegner wollen auch künftig EU-Fahnen in London.

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