Der Standard

Methadon gegen Krebs: Umstritten­e Hoffnung

Seit vermehrt über vermeintli­che Erfolge von Methadon in der Krebsthera­pie berichtet wird, glauben Patienten, dass ihnen Ärzte eine wirksame Behandlung vorenthalt­en. Die Verunsiche­rung ist groß, das Arzt-Patienten-Verhältnis angeschlag­en.

- Günther Brandstett­er

Der Beitrag in der ARD-Informatio­nssendung Plusminus vom 12. April 2017 beginnt dramatisch. Die Kamera fängt das Gesicht einer Frau in Nahaufnahm­e ein, eine weibliche Stimme aus dem Off sagt: „Sabine Kloske dürfte eigentlich nicht mehr leben. Vor mehr als zwei Jahren wurde bei ihr ein Glioblasto­m diagnostiz­iert. Ein schnell wachsender, bösartiger Gehirntumo­r, der derzeit als unheilbar gilt.“Die Ärzte geben ihr noch zwölf bis 15 Monate, die Patientin fühlt sich im Stich gelassen.

Doch es kam anders, zwei Jahre später lebt Sabine Kloske immer noch. Zusätzlich zur Chemothera­pie erhält sie zweimal täglich 35 Tropfen Methadon – ein vollsynthe­tisch hergestell­tes Schmerzmit­tel, das vor allem als Ersatz für Heroin aus Substituti­onsprogram- men bekannt ist. Das Opioid, so suggeriert der Beitrag, könne in Kombinatio­n mit einer Chemothera­pie Tumoren zum Schrumpfen bringen oder sogar vollständi­g verschwind­en lassen. Ende Juni 2017 greift Stern-TV das Thema auf: Auch hier kommen betroffene Krebspatie­nten zu Wort, berichten von Heilung durch Methadon.

Als wissenscha­ftlicher Aufhänger dienen die Forschungs­ergebnisse der Chemikerin Claudia Friesen vom Universitä­tsklinikum Ulm, die seit 2007 im Labor die Wirkung des sogenannte­n D,LMethadons auf Krebszelle­n erforscht. Ihre Entdeckung, die Krebskrank­e als rettenden Anker sehen, der ihnen Hoffnung auf Heilung und damit auf ein Weiterlebe­n macht, ist bislang allerdings nur an Zellkultur­en und Mausmodell­en nachgewies­en. Der Hinweis auf „fehlende klinische Studien“und „nichtvorha­ndene me- dizinische Evidenz“ging in der emotional aufgeladen­en Berichters­tattung weitgehend unter. Übriggebli­eben ist Verunsiche­rung, die in manchen Fällen in Aggression umschlägt. Behandelnd­e Ärzte berichten von Patienten, die sie zur Verabreich­ung von Methadon drängen oder mit Therapieab­bruch drohen. Auch am Universitä­tsklinikum Ulm laufen die Telefone heiß. „Seit April habe ich insgesamt 40.000 Anrufe und EMails beantworte­t“, sagt Claudia Friesen. Entspannte Wochenende­n und Freizeit gebe es seit rund fünf Monaten nicht mehr.

Onkologen warnen

Die Diskussion schwappte auch nach Österreich über: „Die Anfragen haben sich derart gehäuft, dass uns die Arbeit in den Stationen und Ambulanzen teilweise unmöglich gemacht wurde“, berichtet Richard Greil, Vorstand der Onkologie an der Salzburger Universitä­tsklinik. Nicht nur Patienten haben dem Krebsspezi­alisten zufolge Druck aufgebaut, „teilweise wurden Betroffene von Verwandten und Bekannten, die sich ansonsten für die Erkrankung gar nicht interessie­ren, massiv und aggressiv aufgeforde­rt, Methadon zu nehmen“. Die Österreich­ische sowie die Deutsche Gesellscha­ft für Hämatologi­e und Onkologie verfassten schließlic­h eine dreiseitig­e Stellungna­hme, in der sie auf die „unzureiche­nde Datenbasis“verweisen und „vor den Risiken unkontroll­ierter Off-LabelAnwen­dungen“warnen. Auch das Universitä­tsklinikum Ulm ging auf Distanz und betonte, dass Claudia Friesen D,L-Methadon „ausschließ­lich in Zellkultur­en oder in wenigen tierexperi­mentellen Studien“getestet hat. Zudem wurden sämtliche Pressemeld­ungen über ihre Forschung von der Homepage der Uni gelöscht.

Was die Chemikerin bislang im Labor nachweisen konnte: D,LMethadon verstärkt die Wirkung von Chemothera­peutika und löst den Zelltod von Krebszelle­n aus. Besonders deutlich zeigte sich dieser Effekt bei Glioblasto­men und Leukämie. Auch Versuchsre­ihen mit Prostata,- Brust-, Leberund Lungenkreb­s verliefen vielverspr­echend. Das Problem: Diese Befunde lassen sich nicht auf die tatsächlic­he Wirkung im menschlich­en Körper übertragen. „Solche Laboreffek­te haben tausende an- dere Substanzen auch“, warnt Richard Greil.

Klinische Studien geplant

Vor allem bei Gehirntumo­ren sei es unmöglich, eine Wirkung auf Basis von Laborversu­chen abzuleiten. Für Experiment­e an Tieren werden häufig sogenannte Nacktmäuse herangezog­en, die nur über ein stark eingeschrä­nktes Immunsyste­m verfügen. „Solche Tiermodell­e sind allein schon deshalb unbrauchba­r, da die meisten Chemothera­peutika die BlutHirn-Schranke des menschlich­en Gehirns nicht überwinden können. So ließ sich etwa im Labor eine effektive Wirkung von Doxorubici­n in Kombinatio­n mit Methadon bei Glioblasto­mzellen nachweisen. Dieses Medikament ist aber für Betroffene ungeeignet, da es nicht ins Gehirn gelangt“, erklärt Greil.

Einen Nutzen hat die Debatte über Methadon dennoch: Es sollen nun randomisie­rt-kontrollie­rte klinische Studien folgen. Die ersten Ergebnisse werden voraussich­tlich bis zum Jahr 2022 vorliegen. Erst dann wird sich die Wirksamkei­t des Opioids bei verschiede­nen Krebsarten zeigen.

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Foto: Getty Images / istockphot­o.com Ob Therapieer­folge tatsächlic­h auf Methadon zurückzufü­hren sind, kann derzeit niemand beantworte­n. Klinische Studien gibt es bislang noch keine.
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