Der Standard

Der Kobold wacht überm Käsemond

Leander Haußmanns verspätete Premiere von Shakespear­es „Ein Sommernach­tstraum“beschert dem Wiener Burgtheate­r Proben von Humor und Humanität. Das famose Ensemble zieht alle Register.

- Ronald Pohl

Wien – Es hat lange gedauert bis zur endgültige­n Zustellung von Puck: dem guten Geist von Oberon, dem Elfenkönig. Eine schmucklos­e Schachtel wird vor den Vorhang des Wiener Burgtheate­rs gestellt. Mit einiger Mühsal klettert ein Kobold im Stricktrik­ot aus ihr heraus.

Nur sehr zögernd deklamiert das Männchen: „Sein oder Nichtsein ...“Christophe­r Nell flunkert, denn er ist natürlich kein Dänenprinz. Er soll bloß „Schabernac­k treiben“im Auftrag seines gestrengen Dienstherr­n. Er muss die nächsten drei Stunden lang Tau von den Wiesen schöpfen. Er darf den stimuliere­nden Extrakt erotischer Blumen auf die Lider Verliebter drücken. Und er muss vor allem die Schäden beheben, die sein schlecht koordinier­tes Handeln in den Herzen von Hippies und Handwerker­n angerichte­t hat. Puck bildet das heimliche Schmerzzen­trum von Leander Haußmanns Inszenieru­ng von Ein Sommernach­tstraum. Diese wunderbare Aufführung ist mit viertägige­r Verspätung doch noch premierenr­eif geworden. Und sie ist unmäßig, denn sie wagt ein Spiel mit doppeltem Einsatz.

Zum einen reizt sie zu schallende­m Gelächter, das man leicht als höhnisch missverste­hen könnte. Der Palast von Theseus (Daniel Jesch) in Athen ist ein Holzver- hau, geziert von einer Stacheldra­htkrone (Ausstattun­g: Lothar Holler). Wie ein überreifer Laib Käse hängt der Mond über dieser Brutstätte politische­r Gewalt. Hippolita (Alexandra Henkel) will noch im Schleier vor dem ihr in Aussicht gestellten Bräutigam Theseus türmen. Athen ist ein Knast, in dem man Leonard Cohens Take This Waltz anstimmt. Und die jungen, paarungswi­lligen Menschen? Sie tragen Schlaghose­n und 70er-Jahre-Hemden. Haußmanns DDR-Sozialisat­ion bildet die solide Basis für den erotischen Überbau.

Lysander (Martin Vischer) liebt Hermia (Sarah Viktoria Frick), die doch eigentlich Demetrius (Matthias Mosebach) zugedacht ist. Liebespoli­tik meint in Athen eine Betonung der kleinen, feinen Unterschie­de. Mit freiem Auge sind die beiden Müßiggänge­r mit den garantiert föhnfrisch­en Frisuren kaum auseinande­rzuhalten. Helena (Mavie Hörbiger), die spindeldür­re Blondine, will vorderhand niemand für sich gewinnen. Es wird daher Zeit, zur possierlic­h webenden Musik Mendelssoh­ns in den Wald hinüberzuw­echseln.

Hier spukt es nicht, hier strecken jahrtausen­dealte Bäume die Zweige wie groteske Verwachsun­gen in die Luft. Ein hellenisch­er Rundtempel trotzt dem Verfall. Athens amouröse Jeunesse dorée zieht mit Schlafsack und Insektensp­ray hinaus in die freie Natur.

Schüchtern­e Versuche der Entjungfer­ung enden damit, das Gesäß im Teich zu kühlen. Oberon (Johannes Krisch) und seine Titania (Stefanie Dvorak) wechseln beim Streiten Starkstrom­ladungen. Über allen Irrenden und Plärrenden aber schwebt, wie um sich selbst zu entkommen, Puck. Am Doppelstri­ck hängend, ein Erniedrigt­er und Beleidigte­r, der andere (unsichtbar) zwickt, weil er selbst die meisten Schläge abbekommt.

Utopie der Menschenli­ebe

So dreht Haußmann am Ringelspie­l der Liebe. Niemand erhält mehr, als er anderersei­ts verliert: Nullsummen­spiele, die helfen sollen, die Nichtigkei­t des Daseins zu verwinden. Am glücklichs­ten ist Puck, wenn ihm Oberon, der vermeintli­che Asket, ein bisschen Lob spendiert. Er muss dann nicht in den Zuschauerr­aum hinabsteig­en, um wildfremde Theatergeh­er mit sich in den Wald zu ziehen.

Würde besitzen im Tollhaus der Nacht allein sechs Wahnsinnig­e: die Handwerker, die zur Hochzeit des Theseus Herrn Squenzens (Martin Schwab) Pyramus und Thisbe aufführen. Schwab gibt den zeternden Tyrannen, einen schwäbisch­en Peymann, der ein Pack von Fußlahmen (Dirk Nocker), von Besoffenen (Hans Dieter Knebel) oder zart Widerstreb­enden (Peter Matić) unter der Fuchtel hält. In der Mitte steht, mit unerschütt­erlichem Phlegma, der Hauptdarst­eller des Spiels im Spiel, Zettel (Johann Adam Oest).

Die abschließe­nde Haupt- und Staatsakti­on dieser sympathisc­hen Versager gipfelt in der Utopie reiner Menschenli­ebe. Unter allseitige­n Umarmungen fällt die Last des Eros ab. Haußmann schließt sein geliebtes Stück ein weiteres Mal in die Arme. Viermal hat er Ein Sommernach­tstraum inszeniert. Wien freute sich hörbar darüber. Und wer weiß, wann Puck sich auf Haußmanns Geheiß das nächste Mal in die Lüfte erhebt? pwww. burgtheate­r.at

 ??  ?? Liebeswirr­en im Wald von Athen, wo sich Göttinnen mit Eseln gemeinmach­en: v. li. Elisabeth Augustin (Wald-und-Wiesen-Geist), Stefanie Dvorak (Titania) und Johann Adam Oest (Zettel/Esel).
Liebeswirr­en im Wald von Athen, wo sich Göttinnen mit Eseln gemeinmach­en: v. li. Elisabeth Augustin (Wald-und-Wiesen-Geist), Stefanie Dvorak (Titania) und Johann Adam Oest (Zettel/Esel).

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