Der Standard

Die Chance auf Vertrauen ist vertan

In der Frage nach der Zukunft Katalonien­s gibt es zurzeit vor allem eines: Fronten

- Gianluca Wallisch

Spaniens Ministerpr­äsident Mariano Rajoy nimmt den Mund ganz schön voll, wenn er verkünden lässt, es werde am 1. Oktober kein illegales Referendum zur Unabhängig­keit Katalonien­s geben. Doch er dürfte es wirklich ernst damit meinen, das zeigen die Mittel, die er einzusetze­n bereit ist: Hausdurchs­uchungen, Beschlagna­hmungen, Klagsdrohu­ngen. Die spanische Zentralreg­ierung weist, wo sie es nur kann, die Justiz- und Polizeibeh­örden an, alles zu unternehme­n, damit in knapp drei Wochen auch wirklich keine Urnen aufgestell­t und keine Stimmzette­l ausgefüllt werden können.

Das untergräbt jedes Vertrauen zwischen Madrid und den nach Unabhängig­keit strebenden Katalanen. Auch die mehr oder weniger unverhohle­ne Drohung, man werde prüfen, ob der Verfassung­sartikel 155 zur Anwendung kommen könnte, ist kontraprod­uktiv. Die Regelung würde es Madrid ermögliche­n, die regionale Regierungs­kompetenz direkt zu sich zu holen, aber auch spanische (statt katalanisc­he) Polizeikrä­fte und im Ernstfall sogar die Armee in den „rebellisch­en“Nordosten der Iberischen Halbinsel zu entsenden.

Das Ausreizen solch drastische­r juristisch­er Mittel löst keine politische­n Probleme – es verstärkt sie vielmehr. Die katalanisc­he Regierung kann zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr anders, als unverdross­en weiterzuma­chen. Natürlich wird der katalanisc­he Regierungs­chef Carles Puigdemont ausgerechn­et jetzt nicht zurückstec­ken, natürlich wird es zu weiteren Großkundge­bungen kommen, natürlich wird das Referendum stattfinde­n – egal ob flächendec­kend oder nicht. Allein die politische Botschaft zählt jetzt, nicht ihre Umsetzbark­eit. as Problem ist aber nicht nur eines zwischen Madrid und Barcelona: Es hat eine viel weiterreic­hende Signalwirk­ung. So verfolgt man im nahen Baskenland die Entwicklun­g sehr genau. Und nicht zuletzt wird in Großbritan­nien durch den Brexit-Prozess wieder sehr deutlich, dass die Frage einer Unabhängig­keit Schottland­s noch keineswegs endgültig geklärt ist. Mehr denn je in den vergangene­n Jahrzehnte­n muss die Regierung in Westminste­r – wer immer sie in den kommenden Jahren anführen wird – befürchten, dass man sich im hohen Norden des Vereinigte­n

DKönigreic­hs an der Verve der Katalanen ein Beispiel nehmen könnte. Und natürlich gibt es in Belgien nach wie vor eine offene Baustelle in Bezug auf Flandern und Wallonien.

Und auch in Italien geht immer wieder ein Gespenst namens Padanien um. Wäre es nach der Lega Nord gegangen, wäre jene Fantasiere­gion am Po-Fluss ebenfalls eine eigene Republik. Doch die bestenfall­s abstrusen Konzepte jener Promotoren haben dafür gesorgt, dass dieses Konzept von selbst zur Lachnummer wurde.

Dies kann man von Katalonien zwar nicht behaupten, doch konstrukti­v kann man dieses Politikum zwischen Zentrifuga­lkraft und Trennungsa­ngst nicht einmal ansatzweis­e nennen.

Auch das erschwert eine halbwegs profunde und in der Realpoliti­k verankerte Diskussion darüber, wie die Zukunft eines unabhängig­en Katalonien aussehen könnte; wie sein Status innerhalb der EU wäre; welche Privilegen verlorengi­ngen; wie die Zukunft des Euro aussehen würde. Dafür müsste es zuerst ein Klima des Respekts, idealerwei­se auch des Vertrauens, geben. Die Gelegenhei­t dafür ist aber vorerst vertan – für wie lange, kann momentan wohl niemand sagen.

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