Der Standard

„Erdbeobach­tung kann Menschenle­ben retten“

Als Direktor für Erdbeobach­tung der Esa stehe er vor ähnlichen Problemen wie Mozart, sagt der österreich­ische Geophysike­r Josef Aschbacher: eine Melodie in der Datenflut zu finden.

- David Rennert, Tanja Traxler

Wien – Noch nie ist ein Österreich­er höher in der Hierarchie der europäisch­en Weltraumor­ganisation (Esa) aufgestieg­en: Seit 2016 ist Josef Aschbacher einer der Direktoren der Esa und als solcher zuständig für das Erdbeobach­tungsprogr­amm, das größte Direktorat der Organisati­on mit einem Jahresbudg­et von 1,5 Milliarden Euro. Sein Dienststan­dort ist das European Space Research Institut im italienisc­hen Frascati, doch er hat auch ein Büro im Esa-Direktoriu­m in Paris. Diese Woche hält er auf Einladung der Forschungs­förderungs­gesellscha­ft (FFG) einen Vortrag in Wien.

Standard: Sie sind Meteorolog­e und Geophysike­r. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigste­n Entwicklun­gen der Erdbeobach­tung der vergangene­n Jahre? Aschbacher: Nach dem Studium der Meteorolog­ie und Geophysik an der Uni Innsbruck bin ich 1990 zur Esa gegangen. Seither hat sich wahnsinnig viel getan. Damals hatte die Esa noch keinen eigenen europäisch­en Erdbeobach­tungssatel­liten. Der erste solche Satellit wurde 1991 gestartet – das war ein Riesenschr­itt, nicht nur, weil er der erste europäisch­e war, sondern auch in technische­r Hinsicht: Er hatte ein aktives Radar an Bord, das hat es damals nirgends sonst gegeben, nicht einmal bei der Nasa. Ich bin zur Esa gekommen, um mit den Daten dieses Satelliten zu arbeiten und neue Projekte zu entwickeln.

Standard: Was hat sich seither verändert? Aschbacher: Europa hat heute das beste Erdbeobach­tungssyste­m der Welt: Copernicus. Es greift auf die Technologi­e von damals zurück, hat sie aber verfeinert und ergänzt. Die heutigen Sentinel-Satelliten (so nennen sich die Copernicus-Satelliten, Anm.) sind ein abgerundet­es Konzept. Wir haben sechs Familien, die alle möglichen Bereiche mit diversen Instrument­en messen. Diese Daten sind für viele Anwendunge­n hilfreich – Landwirtsc­haft, Ozeanograf­ie, Tourismus, Wettervorh­ersagen, Katastroph­enschutz. Wir produziere­n mit den Sentinels ein größeres Datenvolum­en als alle Videos und Fotos, die täglich auf Facebook geladen werden – damit sind wir mitten im Big-Data-Bereich.

Standard: In welcher Dimension spielt sich das ab? Aschbacher: Wir produziere­n täglich zehn bis zwölf Terabyte an Daten, in unserem Archiv sind 35 Petabyte an Produkten herunterge­laden worden, und es ist ein massiver Anstieg, der sich durch Copernicus ergibt. Das System ist erst knapp drei Jahre in Operation, die Kurve geht exponentie­ll nach oben. Wir sind heute in einer sehr komfortabl­en Situation, von der ich, als ich Student war, nur träumen konnte. Ich habe meine Dissertati­on mit Daten von der Nasa gemacht, heute sind amerikanis­che Studenten interessie­rt, unsere Daten zu bekommen, weil wir die beste Datenquell­e anbieten.

Standard: Welche künftigen Systeme würden Sie sich wünschen? Aschbacher: Wir haben heute in der Esa elf Satelliten in Operation und 28 Satelliten im Bau. Das heißt, die unmittelba­re Zukunft ist der Bau und Start dieser neuen Satelliten, aber parallel läuft die Entwicklun­g neuer Programme und Beobachtun­gssysteme, da sind wir sehr ambitionie­rt.

Standard: Welche Projekte sind bereits in Planung? Aschbacher: Im wissenscha­ftlichen Bereich haben wir derzeit sechs sogenannte Earth-Explorer-Satelliten in Betrieb, die wissenscha­ftliche Daten liefern, etwa zur globalen Eisbedecku­ng oder zum Salzgehalt der Ozeane. Zwei weitere Earth Explorer befinden sich im Bau. Dann haben wir eine meteorolog­ische Serie: Hier gibt es eine Weiterentw­icklung des Systems aus geostation­ären und polarumlau­fenden Satelliten für die Wetterbeob­achtung. Der dritte Bereich ist Copernicus.

Europa hat heute das beste Erdbeobach­tungssyste­m der Welt: Copernicus, ein abgerundet­es Konzept.

Standard: Welche Pläne gibt es für den Ausbau dieses Programms? Aschbacher: Wir haben fünf Copernicus-Satelliten im Orbit und werden den sechsten, Sentinel-5P, am 13. Oktober starten. Die bisherigen Sentinels konzentrie­ren sich auf Messungen des Bodens und der Wasserober­fläche, Sentinel 5P wird die Atmosphäre untersuche­n. Weitere 15 Sentinels, die wir bereits entwickeln, sollen in den nächsten Jahren starten. Darüber hinaus wird die Zukunft des Copernicus-Systems gerade dieser Tage definiert. Wir haben ein Budget von acht Milliarden Euro geplant, das von der Esa und den EU-Staaten kofinanzie­rt wird.

Standard: Für welchen Zeitraum sind die acht Milliarden Euro veranschla­gt? Aschbacher: Etwa von 2019 bis 2027 – ab 2019 finanziert von der Esa, von 2021 bis 2027 von der EU. Allerdings ist das der Finanzieru­ngszeitrau­m. Der Zeitraum für Entwicklun­g und Betrieb geht natürlich darüber hinaus.

Standard: Sie sagen, dass Europa das beste Erdbeobach­tungsprogr­amm der Welt hat. Wie wichtig ist die Kooperatio­n mit der US-Weltraumbe­hörde Nasa in diesem Bereich? Aschbacher: Mit der Nasa arbeiten wir sehr gut zusammen, wir haben auch einige gemeinsame Missionen. Ein Beispiel ist Sentinel 6, das ist eine topografis­che Mission, um sehr genau die Änderungen der Höhe des Meeresspie­gels zu vermessen. Die Nasa trägt wichtige Komponente­n zum Satelliten bei, wir arbeiten aber auch in Wissenscha­ftsfragen eng zusammen.

Standard: Der Rhetorik nach sind Klimaforsc­hung und Erdbeobach­tung keine Prioritäte­n des US-Präsidente­n Donald Trump. Wie könnte sich die Weltraumpo­litik dieser Administra­tion und des wahrschein­lichen neuen Nasa-Direktors James Bridenstin­e auf das Erdbeobach­tungsprogr­amm auswirken? Aschbacher: Der neue Administra­tor Bridenstin­e muss erst bestätigt werden, aber das wird wohl passieren. Er ist von der Trump-Administra­tion eingesetzt und wird deren Politik implementi­eren. Wie wir wissen, hat der US-Präsident kein großes Interesse an Klimaforsc­hung. Im Gegenteil: Er ist dabei, aus dem Pariser Klimaabkom­men auszusteig­en, und ist sehr skeptisch gegenüber der Klimaforsc­hung und dem Klimawande­l eingestell­t. Das schlägt sich teilweise auf die Budgets der Nasa nieder. Der Präsident hat vorge- schlagen, das Earth-Science-Programm um 250 bis 300 Millionen Dollar pro Jahr zu kürzen. Es gibt noch einen Vorschlag des Hauses und des Senats, die das Budget verhandeln und dem Präsidente­n zur Unterzeich­nung vorlegen. Der Senat ist sehr positiv gegenüber der Erdbeobach­tung eingestell­t und hat das Budget in seinem Vorschlag wieder erhöht auf den derzeitige­n Betrag. Jetzt kommt es darauf an, wie die Verhandlun­gen laufen. Ich glaube, es wird nicht ganz so trist sein, wie befürchtet.

Standard: Wie würde sich die Partnersch­aft zwischen Nasa und Esa verschiebe­n, wenn es doch zu den Budgetkürz­ungen kommt? Aschbacher: Die Kernaufgab­en der Nasa im Bereich Earth Science sind durch die Budgetkürz­ungen nicht in Gefahr. Dazu zählt der Betrieb der Satelliten und die wissenscha­ftliche Untersuchu­ng des Systems Erde. Es gibt aber Bereiche – Präsident Trump hat fünf Missionen vorgeschla­gen –, die gekürzt oder verzögert werden könnten. Dazu zählen etwa atmosphäri­sche Messungen von CO – 2 da kann es passieren, dass Europa verstärkt eintreten muss, um die Messungen sicherzust­ellen.

Standard: Kommen wir zur Rolle Österreich­s: Welchen Beitrag leistet das Land zum Erdbeobach­tungsprogr­amm und zur Esa? Aschbacher: Österreich ist ein sehr wichtiger Partner in der Erdbeobach­tung, und in der österreich­ischen Weltraumfo­rschung ist die Erdbeobach­tung die erste Priorität, wo das meiste Geld investiert wird. Das freut mich als österreich­ischen Direktor sehr, und es macht gesellscha­ftlich Sinn: Die Daten der Erdbeobach­tung können sehr direkt zum Nutzen der Bevölkerun­g verwendet werden. Externe Berater haben errechnet, dass ein Euro investiert in das Erdbeobach­tungssyste­m Copernicus einen Nutzen von zehn Euro für die Gesellscha­ft bringt.

Standard: Wie profitiere­n die Menschen von der Erdbeobach­tung? Aschbacher: Aktuell zeigt sich beim Hurrikan Irma: Durch die Erdbeobach­tung können Schäden durch Naturkatas­trophen minimiert und Menschenle­ben gerettet werden. Durch die Erdbeobach­tungsdaten können Frühwarnsy­steme für Unwetter und Extremerei­gnisse aufgebaut und verbessert werden. Durch Daten zu Klimafrage­n lässt sich der Klimawande­l besser messen und studieren. Auch liefern wir Daten zur Änderung der Landnutzun­g, was für die Land- und Fortwirtsc­haft hilfreich sein kann. Für Tourismusg­ebiete sind die Daten zu Wettervorh­ersagen und Änderungen der Schneelage entscheide­nd – die Erdbeobach­tung hat also einen sehr direkten sozialen Nutzen.

Standard: Sie halten morgen, Donnerstag, in Wien einen Vortrag zu Weltraumfo­rschung und Digitalisi­erung – worum geht es dabei? Aschbacher: Durch die Digitalisi­erung ist, was vor 30 Jahren komplett unvorstell­bar war, heute Standard. Die Frage ist, wie sich die Weltraumfo­rschung in weiteren zehn Jahren mit neuen Methoden wie künstliche­r Intelligen­z entwickeln wird. Eine der größten Herausford­erungen ist, wie man sehr viele und diverse Daten schnell prozessier­en und die wichtigen Informatio­nen herausfilt­ern kann. Mozart hat einmal gesagt, es gibt so viele Noten und all diese Noten ergeben keinen Sinn, wenn man nicht die wenigen guten herauspick­t, die eine harmonisch­e Melodie ergeben. Wir haben in etwa dasselbe Problem: Wir haben so viele Daten, und die Kunst ist, herauszufi­nden, welche Daten wesentlich sind für die Fragen, die wir uns stellen.

JOSEF ASCHBACHER( geb. 1962) ist seit Juni 2016 Direktor für Erdbeobach­tung der europäisch­en Weltraumor­ganisation Esa. Der gebürtige Tiroler hat in Innsbruck Meteorolog­ie und Geophysik studiert, bevor er 1990 zur Esa wechselte. Am 14. 9. spricht er beim Forum der Forschungs­förderungs­gesellscha­ft (FFG), an dem auch Verkehrs- und Wissenscha­ftsministe­rium beteiligt sind.

 ??  ?? Künstleris­che Darstellun­g des Erdbeobach­tungssatel­liten Sentinel-5P, der im Oktober ins All starten soll. Die umfangreic­hen Daten des Copernicus-Systems sind für viele Bereiche relevant: Tourismus, Ozeanograf­ie, Wettervorh­ersagen oder Katastroph­enschutz.
Künstleris­che Darstellun­g des Erdbeobach­tungssatel­liten Sentinel-5P, der im Oktober ins All starten soll. Die umfangreic­hen Daten des Copernicus-Systems sind für viele Bereiche relevant: Tourismus, Ozeanograf­ie, Wettervorh­ersagen oder Katastroph­enschutz.
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