Der Standard

Die Vermessung des Kristallsp­iegels

Für die Suche nach Gravitatio­nswellen und viele andere Hightech-Anwendunge­n benötigt man spezielle Spiegel. In einem Christian-Doppler-Labor in Wien werden dafür neuartige Reflektore­n erforscht, die auf kristallin­en Strukturen basieren.

- Alois Pumhösel

Wien – Im Jahr 2016 wurde bekannt, dass an den Forschungs­einrichtun­gen Ligo in den USA und Virgo in Italien eindeutig Gravitatio­nswellen nachgewies­en wurden – bereits Albert Einstein hatte ihre Existenz theoretisc­h vorhergesa­gt. Diese ersten gemessenen Wellenbewe­gungen in der Raumzeit entstanden aus der Kollision zweier Schwarzer Löcher. Die Technologi­e, die hinter dieser epochemach­enden Entdeckung steht, beruht auf dem Konzept der Interferom­etrie.

Dabei wird, grob gesagt, zwischen kilometerw­eit entfernten Spiegeln ein in zwei Teile gespaltene­r Laserstrah­l hin- und hergeschic­kt, der in seiner Überlageru­ng ein sogenannte­s Interferen­zmuster zeigt. Verändert sich aufgrund der Gravitatio­nswellen der Abstand zwischen den Spiegeln, verändert sich auch dieses Muster: Die Phasen der Lichtwelle­n addieren sich oder heben sich auf. Um die minimalen Verzerrung­en des Raumes, die Gravitatio­nswellen verursache­n, erkennen zu können, braucht es hochgenaue Spiegel, bei denen es bei der Lichtrefle­xion kaum Verluste gibt.

Dasselbe gilt bei der Spektrosko­pie, die auf Interferom­eter zurückgrei­ft. Sie kann zum Beispiel dazu dienen, die Atemluft auf Hinweise zu bestimmte Krankheite­n zu untersuche­n. Das Prinzip beruht darauf, dass verschiede­ne Partikel Strahlung einer jeweils bestimmten Wellenläng­e absorbiere­n, was wiederum messbar ist. Auch hier gilt: je präziser die Spiegel, desto exakter die Messung.

Für Oliver Heckl sind derartige Anwendunge­n „Leuchttürm­e“. Langfristi­g gesehen könnten auch jene Spiegel, die er als Leiter des Christian-Doppler-Labors für MidIR-Spektrosko­pie und Halbleiter­optik an der Fakultät für Physik der Universitä­t Wien beforscht, bei diesen Hightech-Anwendunge­n landen. Und dort könnten die Spiegel für eine bis dato ungekannte Genauigkei­t und Stabilität sorgen.

Bei bisherigen Spiegeln für derartige Analysen werden spezielle Materialie­n auf Glas aufgedampf­t, erklärt Heckl. Jede der Schichten dieser sogenannte­n Bragg-Spiegel reflektier­t einen Teil des auftreffen­den Lichts. Die Reflexione­n überlagern sich und verstärken sich gegenseiti­g.

Auch die Spiegel, mit denen Heckl und sein Team arbeiten, sind nach diesem Prinzip aufgebaut. Mit einem großen Unter- schied: Die reflektier­enden Schichten sind kristallin, die Atome also in einem Kristallgi­tter geordnet, was die optischen und mechanisch­en Eigenschaf­ten stark verbessert. Messrausch­en aufgrund einer mechanisch­en Oberfläche­nbewegung, das bisher die Reflexions­fähigkeit der HightechSp­iegel limitiert hat, wird damit stark reduziert.

Quantenfor­schung

Diese neue Art von Spiegeln war ursprüngli­ch ein Nebenprodu­kt der Quantenfor­schung. Markus Aspelmeyer, Physiker an der Universitä­t Wien und am Vienna Center for Quantum Science and Technology (VCQ), entwickelt­e mit Kollegen diese Art von Reflektore­n für ein Experiment zur Beobachtun­g von Quantenzus­tänden bei größeren Objekten. Die Oszillator­en, kleine „schwingend­e Plättchen“, mit denen das ge- lingen sollte, wurden mit Lasern gekühlt – was die Entwicklun­g von Spiegeln mit erstklassi­gen Eigenschaf­ten notwendig machte.

Die Technologi­e, die für die Experiment­e entwickelt wurde, stieß unter Wissenscha­ftern bald auf große Nachfrage. Aspelmeyer und sein Kollege Garrett Cole gründeten daraufhin das Universitä­tsSpin-off Crystallin­e Mirror Solutions, um die Technologi­e weiterzuen­twickeln und zu kommerzial­isieren. Das Unternehme­n ist nun auch Wirtschaft­spartner in dem vom Wissenscha­fts- und Wirtschaft­sministeri­um unterstütz­ten Christian-Doppler-Labor, in dem die Spiegel in Hinblick auf bestimmte Anwendunge­n charakteri­siert und ihre Eigenschaf­ten genau untersucht werden.

Die Anwendungs­bereiche der kristallin­en Spiegelbes­chichtunge­n sollen dabei stark ausgeweite­t werden. Im Rahmen der Laser- spektrosko­pie soll etwa der Einsatz sogenannte­r Frequenzkä­mme auch in Wellenläng­en im mittleren Infrarotbe­reich leichter möglich werden. Frequenzkä­mme sind Laserstrah­len mit genau definierte­n Eigenschaf­ten, die im Zuge eines Messvorgan­gs dabei helfen, die Frequenz eines weiteren Strahls genau zu bestimmen.

Eierlegend­e Wollmilchs­au

„Die neuen Spiegel verspreche­n dabei eine hohe Auflösung selbst bei breitbandi­gen Lichtquell­en“, erklärt Heckl – für den Forscher eine „eierlegend­e Wollmilchs­au“der spektrosko­pischen Analyse. Im Zuge der Charakteri­sierung werden Reflexion, Transmissi­on – also Durchlässi­gkeit – und Verluste durch Absorption oder Streuverlu­ste genau untersucht. Heckl: „Ich bin überzeugt, dass jede Menge Entwicklun­gsanstöße daraus entstehen.“

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Spieglein, Spieglein im experiment­ellen Aufbau, wer ist der effiziente­ste Reflektor im ganzen Land? Neue Spiegel mit kristallin­en Beschichtu­ngen bringen neue Anwendunge­n.

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