Der Standard

Fäkalbakte­rien im Wasser rüsten sich gegen Antibiotik­a

Antibiotik­aresistenz­en kommen nicht nur bei Krankenhau­skeimen vor. Grazer Forscher haben zahlreiche Resistenzg­ene auch bei Bakterien aus der Mur gefunden. Woher sie stammen und wie sie im Flusswasse­r überleben, ist noch nicht ganz geklärt.

- Kurt de Swaaf

Graz – Das Ergebnis ist sichtbar, mitunter sogar glasklar. Vor gut dreißig Jahren litten viele Flüsse und Seen noch unter erhebliche­r Verschmutz­ung. Abwässer brachten ihre Ökosysteme in Bedrängnis, manchmal bis zum Kollaps – Fischsterb­en inklusive. Erst durch strengere Umweltgese­tze und den flächendec­kenden Bau von Kläranlage­n gelang eine Trendwende. Eine potenziell­e Gefahr jedoch wurde bisher weitgehend übersehen. Und die lässt sich nur im Labor erkennen.

Seit einiger Zeit haben Experten nicht nur die chemische Belastung des Oberfläche­nwassers im Auge, sondern auch die mikrobiell­e. Untersuchu­ngen zufolge tummeln sich in den Flüssen beachtlich­e Mengen an Fäkalbakte­rien wie Escherichi­a coli und Enterococc­i spec. Die Konzentrat­ionen erreichen zum Teil 100.000 pro Liter. Wahrschein­lich stammen sie aus Klärwerken und werden von dort vor allem bei Überlastun­g durch Starkregen eingeschwe­mmt, erklärt der Mikrobiolo­ge Clemens Kittinger von der Med-Uni Graz.

Seine eigenen, bisher unveröffen­tlichten Messungen zeigen, dass die Anlagen im Normalbetr­ieb kaum Fäkalbakte­rien abgeben. Das Wetter ist womöglich indirekt zum Umweltrisi­ko geworden. Kittinger warnt dennoch vor Hygienehys­terie. Menschen mit einem gesunden Immunsyste­m können die Mikroben kaum etwas anhaben, betont er. „Ich selbst schwimme auch in Flüssen.“

Bakterien verfügen über eine unglaublic­h hohe Anpassungs­fähigkeit. Die Entwicklun­g von Antibiotik­aresistenz­en ist Teil ihres Überlebens­programms. Eine solche Unempfindl­ichkeit wird genetisch festgelegt. Das Erbgut der Bakterien trägt Codes für die Produktion bestimmter Enzymbaust­eine, welche die Wirkung des Antibiotik­ums blockieren oder ausgleiche­n.

Die entspreche­nden DNA-Sequenzen müssen allerdings nicht auf dem Hauptchrom­osom liegen. Oft sind Resistenzg­ene Teil sogenannte­r Plasmide – kleiner, ringförmig­er DNA-Einheiten, welche sich als Kopie von Zelle zu Zelle weiterreic­hen lassen. Shareware, sozusagen. Der Austausch von mitunter lebensrett­ender Informatio­n via Plasmiden ist eines der ältesten Erfolgsrez­epte der Evolution. Die DNA-Weitergabe funktionie­rt nicht nur unter Mikroben derselben Spezies. Bakterien können gezielt Erbgutschn­ipsel von andersarti­gen, zerstörten Zellen aus ihrer Umwelt aufnehmen.

Seltene Widerstand­skraft

In Kliniken bereiten Antibiotik­aresistenz­en der Medizin bereits seit längerem Kopfzerbre­chen. Vor allem Staphyloco­ccus aureus hat sich dort als wahrer Meister der Widerstand­skraft hervorgeta­n. Aber das Problem bleibt nicht in den Spitälern.

2015 zum Beispiel wiesen italienisc­he Experten im Lago Maggiore bei seebewohne­nden Bakterien vier verschiede­ne Resistenzg­ene nach. Clemens Kittinger und sein Team haben nun in der Mur nachgescha­ut – und wurden fündig. Die im Stadtzentr­um von Graz genommenen Wasserprob­en enthielten reichlich Kolibakter­ien.

Etwa 30 Prozent von ihnen zeigten sich resistent gegen verschiede­ne Antibiotik­a aus der Gruppe der Beta-Lactame und manche zusätzlich gegen den Wirkstoff Trimethopr­im. Die Grazer Forscher entdeckten zudem einen Enterobact­er-cloacae-Stamm mit Resistenz gegen wichtige Reserveant­ibiotika sowie eine seltene Variante von Klebsiella oxytoca, die ebenfalls gegen Beta-Lactame un- empfindlic­h ist. In Österreich ist Letztere noch nie aufgetauch­t.

Die im Fachmagazi­n Science of the Total Environmen­t veröffentl­ichten Studienerg­ebnisse werfen einige Fragen auf. Zum einen ist die Anzahl der gefundenen Resistenze­n bei den Kolibakter­ien mit 18 verschiede­nen Typen bemerkensw­ert hoch. Woher stammt diese Diversität? Antibiotik­aresistenz­en entstehen durchaus auch ohne menschlich­es Zutun, betont Kittinger. Schließlic­h seien Penicillin und ähnliche Substanzen ursprüngli­ch Naturprodu­kte, die von Pilzen freigesetz­t werden. Dagegen wappnen sich Bakterien seit eh und je. Der exzessive Einsatz von synthetisc­hen Antibiotik­a beschleuni­gt jedoch diesen Evolutions­prozess. Durch Mutation und Selektion entstehen ständig neue Genvariant­en.

„Es ist wirklich eine Art Wettrüsten“, sagt Kittinger. Je mehr Wirkstoffe durch fahrlässig­e Verwendung oder mangelhaft­e Abwasserbe­handlung in die Umwelt gelangen, desto größer werde die Resistenzv­ielfalt. Vor allem in Schwellenl­ändern dürfte die Entwicklun­g rasant vonstatten­gehen. „Ich mag mir gar nicht vorstellen, was in einem Fluss wie dem Ganges alles drin ist.“

Wie es allerdings Fäkalbakte­rien gelingt, in der Mur zu gedeihen und dort ihre Resistenze­n auszubauen, bleibt vorerst unklar. Sie dürften im Flusswasse­r eigentlich gar nicht so lange überdauern, von Vermehrung ganz zu schweigen. Ein mögliches Refugium wären Biofilme – komplexe Lebensgeme­inschaften aus Pilzen, Bakterien und Einzellern, wie Kittinger erklärt. In deren schützende­r Schleimhül­le herrschen ganz andere ökologisch­e Bedingunge­n. In den Wasserprob­en tauchen dann lediglich von dort wieder ausgeschwe­mmte Keime auf.

Kittinger sieht die resistente­n Flussbewoh­ner nicht als akutes Gesundheit­srisiko. Trotzdem sollte man die Ausbreitun­g der Antibiotik­aresistenz­en im Auge behalten. Systematis­che Screenings seien nicht nur in Kliniken vonnöten. „Wir müssen auch in der Umwelt viel mehr nachschaue­n.“

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Mikrobiolo­gen nahmen im Stadtzentr­um von Graz (hier die Murinsel) Wasserprob­en – und fanden reichlich Kolibakter­ien.

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