Der Standard

Eine Frau, die uns das Gruseln lehrt

US-Aktrice Chrysta Bell („Twin Peaks“) kommt mit ihrem Album „We Dissolve“im November nach Wien

- Christian Schachinge­r

Wien – Der Begriff „lynchesk“oder englisch „Lynchean“ist in der Nachfolge von Franz Kafka und „kafkaesk“David Lynch zugeschrie­ben. Er bezeichnet das verstörend­e Gefühl, das einen beschleich­t, wenn man zum Beispiel die aktuell laufende dritte Staffel der Serie Twin Peaks des US-Regisseurs anschaut und einem von der hier jenseits aller Logik und des Raum-Zeit-Gefüges geschilder­ten dunklen Seite der menschlich­en Natur etwas schwindlig wird. Ja, es existiert so etwas wie Realität, aber sie bedeutet für jeden Menschen etwas anderes.

Das Werk des gelernten bildenden Künstlers Lynch – zwischen Film, Fotografie, Tafelbild, Collage und zuletzt musikalisc­h mit dunkel-dräuenden, Gänsehaut wie Angst machenden Blues- und Schlurfbal­laden –, es steckt voller Anspielung­en auf die gesamte Kunstgesch­ichte mit Schwerpunk­t Duracell-Taschenlam­pe. Dankenswer­terweise will uns der Künstler aber niemals sagen, was er uns damit eigentlich sagen will. Und gegen ein wenig Gruseln in schlecht ausgeleuch­teten Räumen hat man ja noch nie etwas gehabt.

Die aus Texas stammende, auch als Model tätige Schauspiel­erin und ursprüngli­ch vom Jazz kommende Sängerin Chrysta Bell ist in der Nachfolge von Julee Cruise die aktuelle Muse David Lynchs. Sie spielt in der dritten Staffel von Twin Peaks nicht nur die alienhafte und etwas verstrahlt wirkende FBI-Agentin Tammy Preston. Seit gut zehn Jahren (Inland Empire) arbeitet sie mit David Lynch auch musikalisc­h immer wieder zusammen. Sie hat heuer etwa auch den einst von Angelo Badalament­i komponiert­en Serientite­lsong Falling neu eingesunge­n. 2011 veröffentl­ichte man mehr oder weniger im Teamwork schon das Album This Train oder im Vorjahr die hübsche EP Somewhere in the Nowhere.

Angewandte­r Lynchismus

Chrysta Bells aktuelles Soloalbum We Dissolve ist unter der Regie des von PJ Harvey bekannten Multiinstr­umentalist­en John Parish entstanden und hat neben einschlägi­gen Szenegröße­n wie Adrian Utley von Portishead oder Stephen O’Malley von Sunn O))) auch Progrockve­teranen wie Keyboarder Geoff Downes von Yes auf die Gästeliste gesetzt.

Musikalisc­h bewegt sich Bell mit klarer, eindringli­cher, sehr gern auch einmal flüsternde­r Stimme dabei mit Songs wie Heaven, De- vil inside Me, Slow oder Gravity im Fahrwasser von Portishead, Lana Del Rey, ein wenig Trip-Hop und gut verhalltem Pop mit kräftigen Melodiegit­arren zwischen Cowboy-Boots und Zeitlupen-Surf. Sie hat also offensicht­lich ihre Lektion in Sachen angewandte­r Lynchismus gelernt.

Allerdings ist eines erstaunlic­h. Ein in puncto Weltunterg­angsblues bei PJ Harvey geschulter Produzent und Multiinstr­umentalist wie John Parish produziert derart glatt, dass man das Album trotz mitunter zart rauerer Arrangemen­teinspreng­sel auch in der spätestens seit der Regentscha­ft des Smooth Operator von Sade Adu zum Klischee gewordenen Cocktailba­r als Soundtapet­e verwenden könnte.

Wie Livevideos aus der im Sommer absolviert­en Europatour­nee auf Youtube zeigen, kommt das Ganze vor Publikum allerdings entschiede­n eindringli­cher über die Bühne. Um den vollen Lyncheffek­t zu erzielen, kann man sich im Konzert nach vorheriger Absprache ja spontan vom Sitznachba­rn erschrecke­n lassen.

Chrysta Bell wird am 23. 11. erstmals nach Österreich kommen. Sie wird als Headliner das dreitägige Blue Bird Festival im Wiener Porgy & Bess eröffnen. Es steht heuer ganz im Zeichen von SingerSong­writerinne­n. Neben Chrysta Bell präsentier­t man auch Größen wie Anna Ternheim, Mary Ocher, Dillon und die britische Folklegend­e Vashti Bunyan. psongwriti­ng. at

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Die texanische Schauspiel­erin und Songwriter­in Chrysta Bell, die als verstörend­e FBI-Agentin zurzeit in „Twin Peaks“zu sehen ist, gastiert mit ihrer Band Ende November beim Wiener Blue Bird Festival.

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