Der Standard

„Faulenzer“aufgeweckt

- Stefan Brändle

Emmanuel Macron hat mit seiner Arbeitsmar­ktreform ein durchdacht­es, letztlich ausgewogen­es Projekt ohne soziale Härtefälle vorgelegt. Die Opposition ließ er geschickt ins Leere laufen, die Gewerkscha­ften dividierte er auseinande­r. Und doch gerät sein Reformvorh­aben in die Defensive. Hunderttau­sende sind am Dienstag dagegen auf die Straße gegangen. Mit einer unbedachte­n Äußerung, seine Gegner seien „Faulenzer, Zyniker und Extreme“, schaffte der reformwill­ige Präsident, wovon CGT-Boss Philippe Martinez nur noch träumen konnte: Er brachte halb Frankreich gegen sich auf und damit sogar gemäßigte Gewerkscha­fter, Beamte und Studenten an die Protestfro­nt.

Macron brüskiert seine Landsleute zunehmend mit herablasse­nden Bemerkunge­n, als wäre ihm jedes Fingerspit­zengefühl abhandenge­kommen. Unlängst klagte er: „Die Franzosen verabscheu­en Reformen.“Das war schon fast wie ein Demoaufruf gegen sein eigenes Projekt.

Vermutlich wird Macron die Reform durchbring­en. Aber zu welchem Preis? Ob die Liberalisi­erung des Arbeitsmar­ktes strukturel­l Jobs schafft, wird sich erst in Jahren weisen. Wichtiger schien der psychologi­sche Effekt der Reform – die dadurch ausgelöste Aufbruchst­immung im Land. Doch wenn Macron nach den Gewerkscha­ften auch noch die Beamten, die Pensionist­en und die Studierend­en auf die Straße bringt, muss der Elan unweigerli­ch zum Erliegen kommen. Macron hat eine Menge „Faulenzer“aufgeweckt.

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