Der Standard

Russlands Großmanöve­r ängstigt die Nachbarn

Ein russisch-weißrussis­ches Großmanöve­r an der Westgrenze beunruhigt die Nachbarn. Der letzten Truppenübu­ng dieser Art folgte die Krim-Annexion. Moskau nennt das Manöver „rein defensiv“und spricht von Hysterie.

- André Ballin aus Moskau

Das Szenario des Militärman­övers „Sapad 2017“lautet wie folgt: „Nach Weißrussla­nd und Kaliningra­d sind extremisti­sche Gruppen eingedrung­en, um Terroransc­hläge auszuführe­n. Die illegalen Banden haben Unterstütz­ung von außen – Bewaffnung und Militärfah­rzeuge aus der Luft und von See. Zur Neutralisi­erung des Gegners, der Unterbindu­ng seines Rückzugs und der Blockade der Luftwege werden Heereskräf­te mit Unterstütz­ung der Luftwaffe, Luftabwehr und Flotte im Operations­gebiet eingesetzt.“

Von 14. bis 20. September wird die akribisch geplante und großangele­gte Truppenübu­ng Sapad 2017 laufen (Sapad heißt auf Russisch „Westen“). Laut Konzept in zwei Etappen: Zunächst wird der Feind großräumig isoliert, und dann üben die russischen und weißrussis­chen Verbände das Zusammenwi­rken der verschiede­nen Teilstreit­kräfte „bei der Abwehr einer Aggression gegen den Unionsstaa­t“. Offizielle­n Angaben nach sind 12.700 Soldaten, 70 Flugzeuge, zehn Marineschi­ffe und 680 Militärfah­rzeuge, darunter rund 250 Panzer, beteiligt. Der Großteil davon befindet sich in Weißrussla­nd, aber trainiert wird von der finnischen Grenze bis hin zur Ukraine.

Die Feindstaat­en haben Fantasiena­men wie Wesbarija und Lubenija. Auf Übungskart­en sind sie aber klar verortet und nehmen Litauen und Teile Polens und Lettlands ein. Der dritte „Feind“Vaišnorija im Westen Weißrussla­nds hat politische Wurzeln: 1994, bei der letzten Wahl in Weißrussla­nd mit echter Konkurrenz, gewann in diesen Gebieten der Nationalis­t Sjanon Pasnjak vor dem seither regierende­n Langzeit- diktator Alexander Lukaschenk­o. Zudem leben dort viele Weißrussen mit polnischen Wurzeln. Es ist unklar, ob die Bevölkerun­g dort als politisch unzuverläs­sig eingestuft wird. Klar war in jedem Fall, dass die baltischen Staaten und Polen auf die Veröffentl­ichung des Szenarios, in dem sie nur wenig verschleie­rt als Aggressore­n dargestell­t wurden, irritiert und verärgert reagierten (siehe unten). Die Nato kritisiert­e Sapad 2017 als Einschücht­erungsvers­uch, auch wenn Generalsek­retär Jens Stoltenber­g „keine unmittelba­re Bedrohung“für die Mitgliedsl­änder erkannte.

Streit um Absicht und Zahlen

Zweifel gibt es vor allem an den russischen Zahlenanga­ben: Laut dem Wiener Dokument der OSZE müsste Russland ab einer Truppenstä­rke von 13.000 Soldaten eine umfangreic­he Beobachtun­g des Manövers zulassen. Die genannte Zahl von 12.700 bleibt knapp unter der kritischen Grenze. Die deutsche Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen schätzt die tatsächlic­he Stärke der teilnehmen­den Einheiten allerdings auf rund 100.000 Soldaten.

Zudem äußerten westliche Beobachter die Befürchtun­g, dass Russland mit der Übung trainingst­echnisch auf die sogenannte Suwalki-Lücke ziele, den 100 Kilometer langen polnischli­tauischen Grenzstrei­fen, der als Schwachste­lle gilt und dessen Einnahme das Baltikum von Polen abtrennen würde.

Moskau weist die Verdächtig­ungen als „Hysterie“zurück. Die Zahlen von der Leyens entspräche­n nicht den Tatsachen, teilte der Generalsta­b mit. Deutschlan­d habe im Vorfeld alle nötigen Informatio­nen bekommen. Das Manöver habe zudem „reinen Verteidigu­ngscharakt­er“, betonte Russlands Vizevertei­digungsmin­ister Alexander Fomin.

Alle Nachbarn seien ausreichen­d über Umfang und Ziel der Übung informiert worden. Um Spannungen zu vermeiden, seien speziell Schießplät­ze in einem gewissen Abstand von der Grenze gewählt worden. „Aber selbst das hat nichts geholfen“, klagte seinerseit­s der Chef des weißrussis­chen Generalsta­bs Oleg Belokonjew.

Das russische Außenminis­terium vermutet hinter der „künstliche­n Aufregung“rund um das Militärman­över den Versuch, die Aufrüstung der westlichen Militärall­ianz und vor allem die Aufstockun­g der Nato-Kontingent­e im Baltikum und in Polen zu rechtferti­gen.

In Moskau wird stattdesse­n die Nato zur Gefahr erklärt. Die Manöver seien nötig, um die Einsatzber­eitschaft der Truppe aufrechtzu­erhalten, meint der russische Militärexp­erte Wiktor Litowkin. Nato-Jets flögen an der russischen Grenze, darunter auch Flugzeuge, die potenziell Atombomben tragen könnten. Die Nato halte im Laufe eines Jahres 40 Übungen ab, darunter auch Großmanöve­r mit 25.000 Mann im Baltikum, Polen und Rumänien, rechnete er vor.

Die Frankfurte­r Allgemeine Zeitung präsentier­t andere Zahlen: Demnach haben russische Einheiten seit Beginn 2015 dreimal so häufig (124-mal) geübt wie ihre Nato-Pendants. Selbst bei den Großmanöve­rn ist Russland der Statistik nach doppelt so aktiv.

Klar ist: Russland hat in den vergangene­n Jahren seine militärisc­hen Aktivitäte­n deutlich ausgebaut. Die russischen Streitkräf­te sind nicht nur bei Manövern aktiv, sondern auch in zahlreiche­n Konflikten. Der Übung Sapad 2013 folgte nur wenige Monate später der Anschluss der Krim, an dem, wie Präsident Wladimir Putin später zugab, auch russische Einheiten beteiligt waren.

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Moskau und Minsk lassen bei einer Großübung – wie hier im Jahr 2013 – an der Westgrenze regelmäßig die militärisc­hen Muskeln spielen. Heute, Donnerstag, beginnt „Sapad 2017“.
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