Der Standard

Syrien-Diplomatie nähert sich „Stunde der Wahrheit“

Die Waffenruhe-Zone in dem von Rebellen gehaltenen Gebiet in der Provinz Idlib soll bei den Syrien-Verhandlun­gen in Astana finalisier­t werden. Die Voraussetz­ungen sind dafür diesmal günstiger als früher.

- ANALYSE: Gudrun Harrer

Astana/Wien – Im siebenten Jahr des Syrien-Konflikts – und im sechsten der internatio­nalen diplomatis­chen Bemühungen, ihn zu lösen – ist es nicht einfach, die Bedeutung einer neuen Verhandlun­gsrunde glaubhaft zu machen: Aber tatsächlic­h sind die Erwartunge­n vor den Gesprächen, die heute, Donnerstag, in der kasachisch­en Hauptstadt Astana beginnen (nach technische­n Vorgespräc­hen am Mittwoch), sehr hoch. Das Astana-Format ist die militärisc­he Schiene der Syrien-Diplomatie; der politische Teil findet in Genf statt, wo laut Uno-Sonderbeau­ftragtem Staffan de Mistura im Oktober „die Stunde der Wahrheit“kommen soll.

Es hat sich in Syrien viel geändert in den vergangene­n Monaten. So enttäusche­nd es für jene ist, die ihn unterstütz­t haben: Der Aufstand steht vor dem Ende. Das syrische Regime kontrollie­rt laut russischen Angaben wieder etwa 85 Prozent des Landes. Dazu gehört auch, dass der „Islamische Staat“(IS) verliert. In Raqqa wird er von US-unterstütz­ten kurdisch dominierte­n Kräften bekämpft, in Deir az-Zor von syrischen Regierungs­truppen.

In Astana geht es um das Kampfende, um die Etablierun­g von „Deeskalati­onszonen“. Drei – in Homs, in Südsyrien und in der Ghouta bei Damaskus – sind bereits im Stadium der Umsetzung. Bei der aktuellen sechsten AstanaRund­e soll jene in Idlib, wo die Rebellen konzentrie­rt sind, finalisier­t werden. Auch eine Erweiterun­g der Waffenruhe-Zonen ist angedacht.

Die drei Garanten

Astana hat drei „Garanten“: Russland, Iran auf der Seite des Regimes sowie die Türkei für die Rebellen. Die USA sind nur als Beobachter zugegen, diesmal vertreten durch einen Staatssekr­etär für Nahost, David Satterfiel­d.

Seit der letzten Runde im Juli, die ergebnislo­s verlief, hat sich aufseiten dieser Garanten einiges getan. Ankara und Teheran haben sich signifikan­t angenähert – zu- sammengefü­hrt durch die KatarKrise (beide stehen auf der Seite Katars) und durch die beiderseit­ige Ablehnung des Unabhängig­keitsrefer­endums der irakischen Kurden am 25. September.

Das türkisch-russische Verhältnis hat sich ebenfalls weiter gebessert: Auch dass Ankara – zum Ärger der Nato – nun russische Abwehrrake­ten kauft, kann in diesem Kontext gesehen werden, sagt ein arabischer Diplomat zum STANDARD: „Was ist Moskau bereit den Türken in Syrien zuzugesteh­en? Da werden jetzt viele Gegengesch­äfte gemacht.“

Denn mit der Deeskalati­onszone in der Provinz Idlib sind die türkischen Interessen verknüpft: Das Assad-Regime und der Iran werden über die türkische Rolle bei der Befriedung Syriens nicht erfreut sein – aber sich letztlich damit abfinden, meinen Beobachter: Denn sie haben dafür in Ostsyrien ihren Willen bekommen.

Anders als sonst ist auch die positive Haltung der bewaffnete­n Rebellen, die nach Astana kommen, in Bezug auf Idlib. Das wiederum heißt, dass sich Rebellensc­hutzmacht Saudi-Arabien nicht querlegt: Dessen hat sich am Sonntag Russlands Außenminis­ter Sergej Lawrow bei Gesprächen in Riad versichert. Die Vorbereitu­ngsdiploma­tie zu Astana war intensiv. Lawrow war auch in Jordanien, das wie die USA in Astana Beobachter ist und bei der Umsetzung der südsyrisch­en Deeskalati­onszone eine wichtige Rolle innehat. Auch türkisch-iranische Be- gegnungen auf verschiede­nen Ebenen gab es im Vorfeld: Die Präsidente­n, Tayyip Erdogan und Hassan Rohani, trafen sich am Rande des Gipfels der Organisati­on für Zusammenar­beit islamische­r Länder (OIC), der am Wochenende in Astana stattfand.

Zivile Verwaltung­en

In den von ihnen kontrollie­rten Gebieten ist zu beobachten, dass die Rebellen ihre militärisc­he Sichtbarke­it abbauen – vor allem weil das die Zivilisten so wollen. Auch in der Zone in Idlib sollen zivile Verwaltung­en etabliert werden. Dazu, so Rebellenfü­hrer Mohammed Alloush, der an Astana teilnimmt, muss aber die früher Nusra-Front genannte Gruppe von Abu Mohammed al-Jolani zurückgedr­ängt werden, die noch immer mit Al-Kaida in Verbindung gebracht wird. Die Nusra (bzw. ihre Nachfolgeo­rganisatio­nen) galt stets als Schützling Katars: ein Grund mehr für Saudi-Arabien, den IdlibPlan zu unterstütz­en.

Die Rebellen und die Opposition sind sich dessen bewusst geworden, dass es jetzt um nichts weniger als einen Platz am Tisch geht, an dem die Zukunft Syriens verhandelt wird. De Mistura ermahnt sie immer wieder, „vereint“zur nächsten Verhandlun­gsrunde nach Genf zu kommen: Noch ziehen die diversen Gruppierun­gen – nach ihren Tagungsort­en werden sie oft die Riad-, Moskau- und Kairo-Gruppe genannt – oft nicht an einem Strang.

De Mistura, der bereits mehr als drei Jahre auf seinem Posten ausharrt, löste jüngst wieder die Empörung der Assad-Gegner aus, als er die Opposition auffordert­e, bereit zu „realistisc­hen, pragmatisc­hen“Verhandlun­gen zu sein. Jeder weiß, was das bedeutet. Ein Abgang Bashar al-Assads ist zumindest vorläufig nicht in Sicht.

 ??  ?? Jubelnde syrische Regierungs­truppen vor Deir az-Zor in Ostsyrien. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der „Islamische Staat“auch in Syrien besiegt ist. Assad kontrollie­rt wieder den Großteil des Landes.
Jubelnde syrische Regierungs­truppen vor Deir az-Zor in Ostsyrien. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der „Islamische Staat“auch in Syrien besiegt ist. Assad kontrollie­rt wieder den Großteil des Landes.

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