Der Standard

One-Man- Show für die liberale Wiederaufe­rstehung

2013 flog die FDP aus dem Bundestag. Nun kommt sie wohl wieder rein und vielleicht sogar gleich in die Regierung. Parteichef Christian Lindner hat gelernt: Er spricht nicht nur über Geld und hat die Mittelschi­cht im Blick.

- REPORTAGE: Birgit Baumann aus Potsdam

„Glaubst du, er tritt in SchwarzWei­ß auf?“Melanie, Jusstudent­in, kichert. Ihre Freundin grinst ebenfalls und schmachtet übertriebe­n: „Christian, ich will eine Opposition von dir!“Man wartet in der Potsdamer Schinkelha­lle auf FDPChef Christian Lindner. Mancher nippt am Sekt, man trägt Seidentüch­er und Perlenkett­en, manche sind so gekleidet, als müssten sie danach schnell auf die Yacht. Aber jetzt gibt es erst einmal eine Art Popkonzert und davor zur Einstimmun­g einen Film.

Dieser zeigt vor allem: Lindner. Müde, abgehetzt, nachdenkli­ch – und immer schwarz-weiß. In Berlin sagen viele: Es ist der beste Wahlspot in diesem Wahlkampf, anders als die der anderen Parteien. Er wird auch viel geklickt, und das kann Lindner nur recht sein.

Seine FDP hat harte Jahre hinter sich. 2009 war sie mit Guido Westerwell­e, der 2016 verstarb, mit fulminante­n 14,6 Prozent und vollmundig­en Versprechu­ngen für große Steuersenk­ungen in den Bundestag gezogen.

Doch in der schwarzgel­ben Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel konnte sie nichts durchsetze­n. 2013, der Schock: Die Liberalen flogen aus dem Bundestag, dem sie seit 1949 durchgehen­d angehört hatten. Niemand mehr interessie­rte sich für sie, Lindner tingelte lange Zeit unbeachtet von den Medien über die Dörfer.

„Manchmal muss dich jemand zwingen, neu anzufangen. Weil du dann neu denken musst“, sagt seine Stimme im Clip. Dann steht der 38-Jährige auf der Bühne und wird von seinen Anhängern mit großem Applaus begrüßt.

Dieser steigert sich noch, als sich Lindner gleich die Konkurrenz vornimmt. Grüne und Linke – „so langweilig wie eingeschla­fene Füße“. Die große Koalition „hat keine großen Probleme gelöst“.

Aber jetzt gebe es ja bald wieder echte Opposition im Bundestag, sagt er. Nämlich die FDP, die in Umfragen zwischen acht und zehn Prozent liegt.

Als Lindner über Digitalisi­erung spricht, ertönt Gelächter. „Der Akkustand ist niedrig“erscheint auf der Leinwand hinter ihm, beabsichti­gt war das nicht. Aber Lindner baut es gleich in seine Rede ein: „Wenn der Akkustand in der Schule niedrig ist, kann man das nie wieder aufholen.“Digitalisi­erung und Bildung, das sind seine Themen.

Jobs durch Digitalisi­erung

„Wir werden durch die Digitalisi­erung Millionen Arbeitsplä­tze verlieren, aber wir werden auch Millionen neue schaffen“, erklärt er und geht dabei auf der großen Bühne herum. Weißes Hemd, keine Krawatte, der Anzug so tailliert wie jener von Sebastian Kurz oder Karl-Theodor zu Guttenberg. Lindner birst fast vor Energie.

Architekt Peter, seit Jahrzehnte­n FDP-Wähler, ist durchaus angetan. „Ich finde die FDP gut, weil sie niemandem vorschreib­t, wie man leben soll, und auf Eigenveran­twortung setzt“, sagt er. Aber er findet, die FDP müsse sich mehr um „normale Leute“kümmern. Und ihm missfällt, dass der Wahlkampf komplett auf Lindner zugeschnit­ten ist: „Klar, in der Opposition musst du zuspitzen. Aber das ist mir zu viel Personenku­lt.“

Apropos „normale Leute“. Auf deren Beachtung legt auch Lindner größten Wert. „Es wird so viel über Ränder gesprochen. Über Flüchtling­e und Superreich­e“, klagt er. Er will lieber „über die paar Dutzend Millionen Menschen dazwischen“reden, „die sehr viel arbeiten und abgeben“.

Lindner weiß, welches Image der FDP immer noch anhaftet: dass sie die Partei der sozialen Kälte ist und sich nur um Reiche sorgt. Daher hat er jetzt in seinem Wahlkampfg­epäck auch den Polizisten und die Krankensch­wester.

„Der Traum vom Eigenheim darf nicht ein Luxus für wenige sein“, sagt er, sondern er müsse auch für den Polizisten und die Krankensch­wester erschwingl­ich sein. Das gelte übrigens genauso für Wertpapier­e. Diese nämlich sollten zur Privatvors­orge dienen.

Und die Digitalisi­erung bringe auch dem Stuckateur Chancen. Der nämlich könne gut verdienen, wenn er die „Wohnung des IT-Experten hübsch macht“.

„Dornige Chancen“

Grundsätzl­ich lautet sein Credo: „Keine Biografie darf eine Sackgasse werden, aus der man sich nicht durch Tüchtigkei­t befreien kann.“Griffig formuliere­n kann er. Das zeigt auch ein Video, das der Stern gerade ausgegrabe­n hat. Es stammt aus dem Jahr 1997, man sieht den 18-jährigen Lindner in Anzug und im geliehenen Benz.

Porträtier­t für die Deutsche Welle wurde der Junglibera­le, weil er schon als Schüler eine PR-Firma hatte. Seine Lebensphil­osophie lautete damals, Probleme seien nichts anderes als „dornige Chancen“.

In Potsdam spielt er zum Schluss bei seiner Bitte um Stimmen dann doch noch einmal auf das Image der FDP an und sagt: „Wenn Sie Bundesliga­profi oder TV-Star sind, können Sie von uns keine größere Entlastung erwarten.“Die FDP kämpfe jetzt für den Mittelstan­d. Und er verspricht für die Zeit nach der Wahl: „Sie können mich festnageln: Wir werden wieder Fehler machen, aber nicht dieselben, wir denken uns neue aus.“

 ??  ?? Der FDP-Wahlkampf ist völlig auf Parteichef Christian Lindner zugeschnit­ten. Er ist derzeit noch Fraktionsc­hef in Nordrhein-Westfalen, will aber nach der Wahl nach Berlin wechseln.
Der FDP-Wahlkampf ist völlig auf Parteichef Christian Lindner zugeschnit­ten. Er ist derzeit noch Fraktionsc­hef in Nordrhein-Westfalen, will aber nach der Wahl nach Berlin wechseln.

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