Der Standard

Wien gegen Brüssel: Streit um Schengen und Grenzkontr­ollen

Von den Ländern, die die jüngsten EU-Pläne nicht goutieren, schreit Österreich am lautesten. Wien lehnt die von Brüssel geforderte Ausweitung der Schengen- und Eurozone ab und fordert vehement eine Verlängeru­ng der Grenzkontr­ollen.

-

Brüssel/Wien – EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker muss noch viel Überzeugun­gsarbeit für seinen Plan, die Eurozone und den Schengenra­um auf alle Staaten der Union auszudehne­n, Österreich­ische Politiker reagierten am Donnerstag skeptisch bis ablehnend auf beide Ideen, der niederländ­ische Premier Mark Rutte empfahl Juncker scherzhaft, einen Augenarzt aufzusuche­n. Auch bei der Frage, ob die Grenzkontr­ollen verlängert werden sollen, gehen die EU (nein) und Politiker wie Innenminis­ter Wolfgang Sobotka und Verteidigu­ngsministe­r Hans Peter Doskozil (beide: ja) getrennte Wege.

In ungewohnte­r Einigkeit gingen Bundeskanz­ler Christian Kern (SPÖ) und Außenminis­ter Sebastian Kurz (ÖVP) auf Distanz zum Juncker-Plan. „Ich halte dieses Konzept für undurchdac­ht“, sagte Kern im Ö1- Morgenjour­nal und verwies auf Griechenla­nd. „Was wir vermeiden müssen, ist, dass es so eine Situation wie in Griechenla­nd wieder gibt“, betonte auch Kurz.

Kriterien nicht erfüllt

Es brauche ein Mehr an Europa in wirtschaft­lichen Fragen, beim Kampf gegen Steuerbetr­ug, Lohnund Sozialdump­ing. „Bevor alles das nicht erledigt ist, macht eine Erweiterun­g der Eurozone einfach keinen Sinn, weil das vergrößert die Problemlag­en“, sagte Kern. Und der ÖVP-Chef: „Der Euro und die Schengenzo­ne, die waren und sind für jeden offen, allerdings nur für jeden, der auch die Kriterien erfüllt. Solange die Kriterien nicht erfüllt sind, kann das nicht stattfinde­n.“

Ebenfalls im Gleichklan­g präsentier­ten sich SPÖ und ÖVP, was die von Juncker geforderte Erweiterun­g des Schengenra­umes um Bulgarien und Rumänien betrifft. Innenminis­ter Sobotka (ÖVP) und Verteidigu­ngsministe­r Doskozil (SPÖ) forderten eine Erfüllung der Beitrittsk­riterien durch die beiden Staaten.

Kodex ändern

Die rechtliche Einhaltung des Schengenra­umes sei zu garantiere­n, „dann kann man weiter darüber nachdenken“, sagte Sobotka beim EU-Innenminis­terrat in Brüssel. „Zum jetzigen Zeitpunkt ist das aus meiner Sicht nicht zu diskutiere­n“, sagte Doskozil in Wien. Man müsse stattdesse­n jetzt eine Lösung finden, wie man den Schengenko­dex für weitere Grenzkontr­ollen ändere.

EU-Innenkommi­ssar Dimitris Avramopoul­os sieht allerdings keinen Grund für die von Österreich geforderte Fortsetzun­g der Grenzkontr­ollen im Schengenra­um. „Die Hauptgründ­e, die eine Verlängeru­ng der Kontrollen rechtferti­gen würden, sind nicht mehr da“, betonte Avramopoul­os nach einer Aussprache mit Innenminis­ter Sobotka in Brüssel. Sobotka hingegen bekräftigt­e die Forderung. „Obwohl in Österreich keine akute Terrorgefa­hr herrscht, sind wir keine Insel der Seligen und müssen auf alle Eventualit­äten vorbereite­t sein. Die jüngsten Terroransc­hläge in Barcelona und Turku zeigen, dass die Themen Migration, Integratio­n und Extremismu­s eng zusammenhä­ngen“, teilte Sobotka mit.

Zwei Jahre länger

Wie der STANDARD berichtete, hat Österreich gemeinsam mit Frankreich, Deutschlan­d, Dänemark und Norwegen eine Initiative zur Änderung der Fristen im Schengener Grenzkodex gestartet. Gefordert wird die Verlängeru­ng des Zeitraums zur Möglichkei­t von Binnengren­zkontrolle­n von 30 Tagen auf drei Monate beziehungs­weise des Gesamtzeit­raums von sechs Monaten auf zwei Jahre. Unter der Voraussetz­ung einer ernsthafte­n Gefährdung des Schengenra­ums sollen Grenzkontr­ollen dann noch zusätzlich­e zwei Jahre länger andauern können.

Österreich brauche die Kontrollen, um einen „besseren Überblick zu haben, auch über Bewegungen innerhalb Europas“, wer aus den Migrations­strömen über das Mittelmeer oder über Osteuropa nach Österreich komme, sagte Sobotka nach seinem Gespräch mit Avramopoul­os. Die EU-Kommission werde sich mit der Änderungsi­nitiative der fünf Länder beschäftig­en. Ein entspreche­nder Vorschlag der EU-Kommission sei für Ende September „in Aussicht gestellt“.

Stichtag Mitte November

Avramopoul­os sagte, die EUKommissi­on sei bereit, die Frage der Grenzkontr­ollen mit den Ministern zu diskutiere­n. Zugleich betonte er: „Es ist der Moment gekommen, um wieder zu einem normalen Funktionie­ren von Schengen zurückzuko­mmen.“Die derzeitige­n Grenzkontr­ollen laufen Mitte November aus. (APA, dpa, simo)

 ??  ?? Die Grenzkontr­ollen innerhalb des Schengenra­umes, hier bei Mittenwald zwischen Österreich und Deutschlan­d, sind derzeit durch den EU-Kodex nur bis Mitte November bewilligt.
Die Grenzkontr­ollen innerhalb des Schengenra­umes, hier bei Mittenwald zwischen Österreich und Deutschlan­d, sind derzeit durch den EU-Kodex nur bis Mitte November bewilligt.

Newspapers in German

Newspapers from Austria