Der Standard

„Man braucht ein Bullshit-Barometer“

Der Journalist und Autor Simon Hadler plädiert in seinem neuen Buch „Wirklich wahr!“dafür, wieder mehr mit Fakten zu argumentie­ren – die sind jedoch oft ganz anders, als man weithin vermutet. Das zeigt Hadler in mehr als 80 Infografik­en.

- Fabian Schmid

Wien – Das Internet besteht zu einem Großteil aus Pornografi­e – heißt es immer wieder. Je nach Meldung sollen einmal mehr als die Hälfte aller Inhalte, dann wieder ein riesiger Teil der versandten Daten aus Pornos bestehen. Doch ob das wirklich stimmt, weiß niemand – tatsächlic­h gibt es Anlass zur Skepsis. „Als das Internet neu war, wollten die Republikan­er in den USA unbedingt Regulative einführen, und haben deshalb das Netz als Pool an Nazis, Bombenbast­lern und Perversen dargestell­t“, erklärt der Autor Simon Hadler. So entstand der Mythos von der überwältig­enden Masse an Pornografi­e im Internet. „Der Punkt ist: Wir wissen nicht, ob es stimmt“, so Hadler. Für sein neues Buch Wirklich wahr! hat er sich mit 80 derartigen Fragestell­ungen beschäftig­t, der Grafiker Stefan Rauter steuerte dazu Infografik­en bei.

Asylmythen

Die Recherche entwickelt­e sich aus Hadlers letztem Buch Die Angst vor dem Ansturm, in dem er Mythen über die Asylbewegu­ngen einem Faktenchec­k unterworfe­n hat. „Ich war damals schockiert und bass erstaunt über das Ausmaß des Hasses im Netz“, sagt Hadler. Er wollte daraufhin allgemein der Frage nachgehen, wie unser Bild in der Welt, vermittelt durch Medien und Social Media, entsteht. Dabei befeuern sich klassische Medien und soziale Medien selber, stellt Hadler fest. „Immer weniger Personal muss mit immer geringerem Aufwand immer aggressive­r um die Leser kämpfen. Recherchet­iefe bleibt dabei auf der Strecke“, sagt Hadler, der seit 20 Jahren bei ORF.at selbst als Journalist tätig ist. Gleichzeit­ig greifen User selbst auf immer verkürzter­e Formen der Kommunikat­ion zurück. Hadler erinnert hier beispielsw­eise an Memes, also etwa mit kurzen Texten versehene Bilder, die etwa im US-Präsidents­chaftswahl­kampf eine Rolle spielten: „Noch impulsgest­euerter kann Kommunikat­ion nicht ablaufen – man holt sich im Freundeskr­eis billige ‚Likes‘ ab, ohne selbst nachdenken oder kreativ sein zu müssen.“

Meldungen prüfen

Nutzern rät er, sich ein „persönlich­es Bullshit-Barometer zuzulegen, das mit der Zeit immer feiner kalibriert wird“. Begegnet ihnen eine Meldung im Netz, sollten sie etwa kurz prüfen, in welchem Zusammenha­ng etwa ein Institut, das eine Studie veröffentl­ich hat, sonst vorkommt. Wird ein „Experte“etwa immer nur von Akteuren einer bestimmten Partei zitiert, sollte man vorsichtig sein. Wichtig sei es auch, aus dem Text die tatsächlic­he Quelle zu destillier­en. „Fehlt eine Quelle, kann ich den Inhalt gleich vergessen. Ist die Rede von ‚Anrainern‘, ‚Informante­n‘ oder ‚informiert­en Kreisen‘, ebenso“, sagt Hadler.

„Weltsicht umgeworfen“

Um seine Thesen gleich in der Praxis zu zeigen, folgen in Hadlers Buch auf einen rund 50 Seiten langen Essay dann jene 80 kurzen Texte mit Infografik­en, die vermeintli­ch bekannte Fakten infra- ge stellen. „Ich kann kaum glauben, wie sehr durch die Recherchen meine eigene Weltsicht umgeworfen wurde“, sagt Hadler. Es ginge auch darum, Sachverhal­te in einem größeren Kontext zu betrachten: „Fake-News, sind ein Modethema, das weit überschätz­t wird – vor allem in einer globalen Perspektiv­e.“So sei ein viel drängender­es Problem, dass es etwa zwischen Nord- und Südhalbkug­el eklatante Unterschie­de in der Kommunikat­ionsinfras­truktur gäbe. Das illustrier­t etwa die Statistik der Online-Enzyklopäd­ie Wikipedia: Mehr als die Hälfte ihrer Artikel stammt aus einer Region, die gerade einmal 2,5 Prozent der Landfläche der Erde ausmacht. Simon Hadler, „Wirklich wahr! Die Welt zwischen Fakt und Fake“. € 22,00 / 272 Seiten. Deuticke, Wien 2017

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Fakt: Mehr als die Hälfte der Wikipedia-Artikel stammt aus einer Region, die 2,5 Prozent der Landfläche der Erde ausmacht.
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Foto: Öser Simon Hadler ist Autor und Journalist bei ORF.at.

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