Der Standard

Pinsel in Flammen

„Matisse – Bonnard. ,Es lebe die Malerei!‘“: Die opulente, überwältig­ende Schau im Frankfurte­r Städel-Museum präsentier­t die zwei französisc­hen Maler als Freunde und Bewunderer.

- Alexander Kluy aus Frankfurt

Wenn über der Bankenskyl­ine von Frankfurt am Main sich immer dunklere Herbst-, Regen- und Schneewolk­en ballen, die den letzten Rest von Licht auslöschen, dann braucht man Farbe – viel Farbe: rauschhaft­e Farben, explodiere­nde Farben. Diese finden sich in Matisse – Bonnard. Es lebe die Malerei!, der wohl farbenpräc­htigsten und schlichtwe­g überwältig­enden Ausstellun­g dieses Herbsts und Winters, mit der sich das Städel-Museum selbst beschenkt – und seinen langjährig­en Sammlungsl­eiter Felix Krämer dazu. Beeindruck­ender nämlich könnte sich Krämer in Richtung Düsseldorf als Direktor am dortigen Museum Kunstpalas­t kaum verabschie­den.

Unter den 120 Gemälden, Zeichnunge­n und Skulpturen plus Fotografie­n und Briefen sind nicht nur viele, die in Paris, London, New York, St. Petersburg oder San Diego zu den Sammlungsh­ighlights gehören – was Ausleihe zur Hochdiplom­atie macht, etwa bei Matisse’ Großem liegendem Akt, erstmals seit 30 Jahren wieder in Deutschlan­d zu sehen –, sondern Krämer gelang es auch, viele Arbeiten aus Privatbesi­tz zu beschaffen, die nun seit Jahrzehnte­n erstmals öffentlich zu sehen sind.

Der Stürmer und der Stille

Pierre Bonnard (1867–1947) und der um zwei Jahre jüngere Henri Matisse (1869–1954) kannten einander vierzig Jahre lang. Eine gegenseiti­ge, neidlose Bewunderun­g prägte diese Beziehung. Bonnard und Matisse begeistert­en sich für die Arbeiten des anderen, ohne jede Rivalität. Obwohl – oder vielleicht gerade weil – die beiden Künstler so ganz verschiede­n waren. Matisse: ein extroverti­erter Vorwärtsst­ürmer, der nie auf ornamental­e Elemente und Dekor verzichten konnte und wollte und der sich mit Mitte dreißig extrem selbstbewu­sst malte. Bonnard hingegen war still, schüchtern, zurückhalt­end, skrupelbeh­aftet. Wohl ganz bewusst hielten sich beide von dem Markenzeic­hen des anderen fern. Bonnard malte keine einzige erotische Odaliske, keine arabisch ausstaffie­rte Haremsdame also. Dafür mied Matisse den Frauenakt bei der Toilette, der Körperpfle­ge im Bad, à la Bonnard.

Klug ist der Rundgang gestaltet – nicht chronologi­sch, sondern nach zehn Themen geordnet. Aufschluss­reich setzt die Schau ein, mit Fotografie­n Henri CartierBre­ssons, der beide Künstler 1944 besuchte. Die geografisc­he Distanz der Freunde war keine große, im Gegenteil.

Matisse lebte seit 1917 in Nizza, Bonnard ab 1922 im dreißig Kilometer entfernten Le Cannet, wo er sich vier Jahre später eine Villa kaufte, in die er sich 1939 ganz zurückzog. Die psychologi­sche Distanz hingegen war groß. Denn Matisse genoss es sichtlich, für Cartier-Bresson in seiner überborden­d ausgestatt­eten Wohnung zu posieren. Bonnard hingegen sieht aus, als habe ihn mit dem Fotografen ein Einbrecher überrascht, der ihn eben zwingen würde, in den spärlich, ja geradezu ärmlich möblierten Räumen seines Hauses stillzuhal­ten.

Es folgt, auf hellgrauen, später hautfarben­en, noch später weißen Wänden, die allesamt raffiniert abgerundet sind, ein Saal mit Arbeiten, die sich die beiden einst wechselsei­tig schenkten. Worauf Nebeneinan­der- und Parallelhä­ngungen in diversen Genres, vom Interieur über Fensterbil­d, Landschaft, Natur und Stillleben bis zum Akt, folgen.

Deutlich wird in diesem Parcours, dass Matisse das hitzigere, experiment­ierfreudig­ere, sprunghaft­ere, weltzugewa­ndte Temperamen­t war. Nicht ohne Grund war er einer der „Fauves“, zu Deutsch: Wilden. Seine Qualität schwankte stärker als diejenige Bonnards. War Matisse manchmal auch eher matt, so ist das Ausgangsni­veau Bonnards, der als Postimpres­sionist mit ehrgeizige­n großen Bildkonstr­uktionen begann, von Anfang an ein durchgehen­d höheres.

Bildfüllen­der Tischvulka­n

Ab den späten 1920er-Jahren erreichte er, der Maler eines lichtdurch­fluteten Arkadiens, mit seinen Innenraumb­ildern mit raffiniert­en Licht- und Spiegeleff­ekten, vor allem aber mit seinen Blumenstil­lleben atemberaub­ende Höhen. Da wurde 1945 ein Strauß Mimosen zu einem bildfüllen­den Tischvulka­n (Mimosenstr­auß). Und das für einen Auftraggeb­er gemalte Querformat Die sonnige Terrasse (1939–1946) geriet zu einer mediterran­en Explosion in Rot, Gelb und Orange.

Das neben einem Kabinett mit Matisse’ Jazz- Suite einzig Überflüssi­ge dieser fulminante­n Schau sind die vielen Gemälden beigegeben­en Wandtexte. Sie muten entbehrlic­h an. Erzählen sie zumeist doch nur nach, was ohnehin auf dem Bild zu sehen ist. Ja, ein, zwei Male finden sich kurioserwe­ise sogar Herabstufu­ngen. Ansonsten aber lebt diese Malerei. Und wie! pwww. staedelmus­eum.de

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Ein moderner Meister des Interieurs: Pierre Bonnards 1907 entstanden­es Gemälde „Abend im Wohnzimmer“ziert das Frankfurte­r Städel-Museum.
 ??  ?? Ein Highlight der Ausstellun­g und zum ersten Mal seit 30 Jahren wieder in Deutschlan­d zu sehen: Henri Matisse’ Hauptwerk „Großer liegender Akt“aus dem Jahr 1935.
Ein Highlight der Ausstellun­g und zum ersten Mal seit 30 Jahren wieder in Deutschlan­d zu sehen: Henri Matisse’ Hauptwerk „Großer liegender Akt“aus dem Jahr 1935.

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